Ghostwriting-Fall wird weiter diskutiert

Während Deutschland die gekauften Doktorgrade die Medien füllen, wird auf der anderen Seite des Atlantiks das Ghostwriting aufgearbeitet. Zur Erinnerung: Ein Artikel in der NY Times hat in der breiten Öffentlichkeit aufgedeckt, dass der Pharmakonzern Wyeth von 1998 bis 2005 Ghostwriter engagiert hat, 26 medizinische Fachartikel über die Hormonersatztherapie für Frauen in den Wechseljahren zu verfassen. Als Autoren der vermeintlichen Fachartikel fanden sich renommierte Mediziner, die nur wenig oder nichts zum Artikel beigetragen hatten.

Wyeth-Dokumente online
Die auf Anordnung eines US-Bundesgerichst veröffentlichten 1500 Dokumente von Wyeth sind online bei PLOS Medicine zu finden. Sie zeigen detailliert wie von Ghostwritern geschriebene wissenschaftliche Artikel mit Marketing-Aussagen geplant und in Fachzeitschriften platziert worden sind. Aus einem typischen Projektplan vom Dienstleister DesignWrite mit Wyeth:
Client provides data report………. TBD
DesignWrite prepares outline………. 2 weeks
Client internal review………. 2 weeks
DesignWrite prepares first draft………. 4-8 weeks
Client internal review………. 2 weeks
DesignWrite addresses consolidated
client comments (second draft)………. 2-3 weeks
Second draft reviewed by selected author………. 2 weeks
DesignWrite incorporates author comments
(third draft)………. 2 weeks
DesignWrite assists in journal submission………. 2 weeks
Journal provides peer-reviewer comments………. TBD
DesignWrite addresses comments; resubmits………. 2 weeks
Journal acceptance and publication………. TBD

GSK räumt Ghostwriting ein
Ghostwriting ist im Pharmabusiness üblich. Es war daher nur die Frage wen es als nächstes trifft und nicht, ob überhaupt. Den schwarzen Peter hat GlaxoSmithKline (GSK) gezogen, als bekannt wurde, dass GSK (als SmithKline Beecham) für das Antidepressivum Paxil® (in Deutschland und Österreich Seroxat®) Ärzten eine umfangreiche Unterstützung bei der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Artikeln angeboten hatte. Das Programm, GSK-intern "CASPPER" genannt - wie der freundliche Geist aus der in angelsächsischen Ländern bekannten Kinderliteratur - umfasste die ganze Palette des Ghostwritings, von der Entwicklung eines Themas bis zur Einreichung des Manuskripts beim Verlag. Gemäss der internen pdf-DateiBroschüre war das Budget für 50 Artikel im Jahr 2000 bemessen.
CASPPER will enable your physicians to add, to the literature supporting the use of PAXIL, strengthen your relationships with key physicians and thought leaders in the psychiatric field, and ultimately, help you meet your sales goals.
Ein Sprecher von GSK betonte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, dass in den veröffentlichten Artikel die Unterstützung des Autors offengelegt worden sei, und das Programm vor einigen Jahren beendet worden ist.

Die von Ghostwrittern geschriebenen Artikel über Paxil® sind zwischen 2000 und 2002 in fünf medizisnischen Fachzeitschriften erschienen. Vor den Gerichten sind Klagen von hunderten von Patienten gegen GSK anhängig, die gesundheitliche Schäden aufgrund der vom Unternehmen heruntergespielten Risiken des Medikaments anführen.

Politik interessiert sich für Ghostwriting
Kein Gesetz verbietet Ghostwriting. Dennoch ist unstrittig, dass die Autorenschaft bei einem Artikel der von Dritten geschrieben worden ist und zu dem der Wissenschaftler nicht angemessen beigetragen hat, eine unethische Praxis ist, gegen die sich Universitäten und Fachgesellschaften stellen müssen, um die Reputation der Medizinwissenschaft nicht komplett zu verspielen. In den USA haben die Boston University, Tufts University und Harvard Regeln, die ihrem Personal nicht erlaubt, mit ihrem Namen und dem Ansehen der Universität Artikel aufzuwerten, die sie nicht verfasst haben.

Vergleichbare Verhaltensregeln fordert der US-Senator Charles E. Grassley für alle Universitäten. Grassley hatte sich schon durch die unnachgiebige Verfolgung von Professoren, die Honorare von Pharmaunternehmen nicht angegeben haben, in der Pharmabranche unbeliebt gemacht.

Das National Institute of Health (NIH) trägt mit einem jährlichen Budget von 29 Mrd. Dollar zu fast 30% der gesamten Ausgaben in den USA für biomedizinische Forschung bei. Wer zahlt der führt: Hier sieht Grassley für die US-Bundespolitik einen Ansatz, um Institutionen und Personen, die von der Forschungsförderung des NIH profitieren, zur Beendigung der Ghostwriting-Praxis zu zwingen. Der Senator hat Briefe mit Fragen zum Ghostwriting an das NIH geschickt ähnliche Schreiben gingen an acht führende Fachzeitschriften.

Universitäten fürchten um Ruf
Schon Transparenz würde helfen. Sind doch die Universitäten um ihren guten akademischen Ruf besorgt. Die vom Wyeth-Skandal betroffen Universitäten müssen sich kritischen Fragen stellen, wie die Columbia Universität, die gleich drei Autoren in ihren Reihen hat, die für von DesignWrite verfasste Hormon-Artikel ihren Namen hergegeben haben.

Gleich doppelt hat es die University of Wisconsin erwischt. Nicht nur stand ein Professsor der Hochschule bei fünf der Artikel in der Autorenliste, sondern die Universität hatte zudem kurz nach der Veröffentlichung 2001 ein langjähriges mit 1,5 Millionen Dollar dotiertes Fortbildungsabkommen mit Wyeth geschlossen. Ziel war es, Ärzte und Patienten über die Vorteile der Hormontherapie zu informieren.

Der Fall geht bis nach Kanada. Eine Wissenschaftlerin der McGill University in Montreal hat in einem der Paper mit ihrem Namen die Rolle von Estrogen bei der Behandlung von Erinnrungsverlust bei älteren Menschen angepriesen. Die Professorin wollte dazu keine weiteren Erklärungen abgeben, bedauert jedoch ihren "Fehler", die Universität untersucht den Fall.

Australien ist offener. Der betroffene Wissenschaftler, John Eden, bedauert ebenfalls sein Verhalten und räumt ein, dass er früher den Beitrag von DesignWrite offenlegen hätte sollen. Er verweist darauf, dass alle Artikel einem Peer-Review-Verfahren unterzogen worden sind und die Herausgeber der Zeitschriften ihren Teil beigetragen hätten, die positiven Reviews zu veröffentlichen.

Die Rolle der Journals bzw. Verlage und des Prozesses, wie wissenschaftliche Erkenntnisse generiert und bewertet werden kam bisher in der Diskussion zu kurz. Ein Argument Edens, deutet darauf hin, dass der Publikationsdruck Wissenschaftler aufgeschlossener für derartige unmoralische Angebote macht:
We academics are under some pressure to 'publish or perish. Performance evaluation of at least Australian academics includes the number and quality of publications per year.

... und in Deutschland?
Hierzulande hat es in den Medien nur für Artikel über den Ursprungsbericht der NY Times gereicht. Kritische Nachfragen bei deutschen Medizinprofessoren? Nicht zu finden. Der illegale Handel mit Doktortiteln bewegt die Öffentlichkeit und Wissenschaft mehr, als Marketingaussagen, die von Pharmaunternehmen unter dem Deckmantel der Wissenschaft lanciert werden und möglicherweise negative Konsequenzen für Patienten haben können.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2009-08-27   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


plazebo   2009-08-28  
gibt's an dt. Unis/Unikliniken eigentlich explizit Regelungen, die das untersagen? Oder nimmt man an, dass das selbstverständlich nicht gemacht wird?


strappato   2009-08-28  
Mir sind keine bekannt.


hockeystick   2009-08-28  
Kann man irgendwo eine Liste der auf den Wyeth-Papers genannten Autoren (oder eine Liste der einschlägigen Publikationen) bekommen, ohne sich durch die TIFF-Dateien zu quälen? Ich würde ja zu gerne mal nachschauen, ob da nicht ein paar bekannte Gesichter dabei sind.


carla-c   2009-09-04  
Auch in D
Natürlich gibt es auch in D Ghostwriting - aber wer verbirgt sich hinter Strappato, Placebo usw....???? Das weiß ich doch auch nicht.
Ghostwriter sind doch nicht prinzipiell schlecht und korrupt. In der Regel schreiben sie sehr viel besser als irgendein völlig unterbezahlter Doktorand oder Assistent, der auch nicht immer als Autor auf der Arbeit steht. Auch wenn der "Professor" das Manuskript selbst schreibt, kann es durch die Industrie beeinflusst sein.


strappato   2009-09-04  
Klar gibt es Ghostwriting auch in D. Ist auch grundsätzlich erst einmal nichts schlimmes. Ich habe in dem ersten verlinkten Artikel auf die Notwendigkeit hingewiesen. Wichtig ist die Transparenz. Da sollte drunter stehen, wer es bezahlt hat und was jeder Autor zu dem Manuskript beigetragen hat. Gerade das Letztere wird selten veröffentlicht, obwohl es mittlerweile in vielen Zeitschriften bei der Einreichung angegeben werden muss, bleibt es unter Verschluss beim Verlag.

Ghostwriting darf man jedoch nicht verwechseln mit Pseudonymen. Im Namen einer anderen Person gegen Auftrag schreiben ist was anderes als unter Pseudonym Artikel und Bücher zu verfassen.

Im Übrigen ist das hier ein Blog. Da ist persönlich gefärbte Meinung mit drin, geht kaum anders. Das unterscheidet es von Artikeln in Journals, die wissenschaftlich saubere Methoden und Bewertungen vorgeben, die jedoch verzerrte Reviews sind und den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen dienen sollen und den Ruf von Wissenschaftlern und ihrer Hochschulen ausnutzen. Das von Professoren geschriebene kann auch von der Industrie beeinflusst sein, aber wenn es eine profesioneller Publikationsdienstleister im Auftrag eines Unternehmens schreibt, dann ist es dies in der Regel auch.








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