Absinth-Freunde im Öffentlichen Dienst

Ich muss immer wieder staunen, wie unbekümmert Journalisten die Wissenschaft betrachten. Der Spiegel titelte vor einige Tagen: Die 'Grüne Fee' wird entzaubert. Es geht um die gesundheitliche Schädlichkeit des Absinths, einer hochprozentigen Spirituose, traditionell aus Wermut, Anis, Fenchel sowie einer je nach Rezeptur unterschiedlichen Reihe weiterer Kräuter hergestellt, die aufgrund seines Gehaltes an Thujon, einem Nervengift, jahrzehntelang verboten war.

In der dem Artikel zugrunde liegenden pdf-DateiStudie haben die Autoren den Thujongehalt historischer Absinthe untersucht und keine auffällig höheren Konzentrationen als in den heute erhältlichen Absinth-Produkten gefunden. Das Ärzteblatt berichtete ebenfalls von den Ergebnissen.

Der Hauptautor arbeitet am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe. Auffallend ist, dass es nicht seine erste "Entzauberung" ist. Er veröffentlicht seit Jahren Analysen, die die Harmlosigkeit des Absinths zeigen. Es stellt sich die Frage, warum sich ein staatliches Institut so intensiv mit einem Produkt beschäftigt, das kaum eine Marktbedeutung hat und das in den letzten Jahren auch nicht durch sein besonderes Gefährdungspotential für die Gesundheit der Bevölkerung aufgefallen ist. Die Interessen könnten woanders stecken. Die Co-Autoren sind oft in der Absinth-Industrie tätig. Ob bei Herstellern der Kräuterauszüge, Absinth-Destillerien oder Grosshändlern. Als Schlussfolgerung wird in den Papern gerne die Unbedenklichkeit von Absinth, nicht ohne den Hinweis auf die Bedeutung von hochwertigen Absinth-Produkte, geäussert.

Was in den Meldungen nicht erwähnt wird: Thujon bleibt ein Gift. Selbst wenn der Thujon-Gehalt nicht ursächlich zu Schäden führt. So wird in einem Artikel des Ärzteblatts kurz nach der Freigabe von Absinth im Jahr 2001 festgestellt:
Von größerer Bedeutung scheint jedoch das Zusammenspiel der verschiedenen Risikofaktoren zu sein. Die Rolle des Äthanolmissbrauchs und seiner Folgen ist mittlerweile bekannt. Eine Eiweißmangelernährung, nicht selten die Folge des Alkoholismus, ist ebenso wie Stress ein Risikofaktor der akuten intermittierenden Porphyrie, die nachweislich durch Thujongabe ausgelöst werden kann. Sowohl die Porphyrie als auch eine Thujonintoxikation können eine neuropsychiatrische Symptomatik auslösen. Dabei sind vor allem exogene Psychosen und Krampfanfälle zu nennen. Die Krampfbereitschaft wird durch Nikotinkonsum noch erhöht. Die Auswirkungen des Alkohols auf das Nervensystem werden also verstärkt. So entsteht ein komplexes, sich wechselseitig verstärkendes Netz gesundheitsgefährdender Faktoren für den Absinthtrinker (Grafik). Dies gilt in besonderem Maße, wenn eine defekte Hämsynthese vorliegt, die ohne die Exposition von Risikofaktoren häufig latent verläuft. Gleichsinnig wirkende toxische Substanzen addieren bei gleichzeitiger Einnahme ihre Wirkungen gegenseitig nicht nur, sondern potenzieren sie.

Aber solche differenzierte medizinische Betrachtung ist sicher nicht im Interesse der Absinth-Hersteller. Die wollen ihr hochprozentiges Getränk aus der Szene-Ecke rausholen und die mit dem Mythos verbundenen Vorbehalte bei den Verbrauchern ausräumen.

Ach ja, zum Interesse. Wie heisst es unter der Studie:
The CVUA Karlsruhe received no external funding. D.N.-M. and T.A.B. own companies dealing with absinthe; however, no competing financial or other interest that might be affected by publication of the results contained in this study is declared.

"No external funding". Ist das staatliche Untersuchungsinstitut unter die Absinth-Freunde gegangen?
"Vor dem Verbot haben Absinth-Freunde noch viele Flaschen eingelagert", erklärt Forscher Lachenmeier im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Und aus diesen Depots der Prä-Prohibitionszeit stammt das Material für seine Forschungen. Unter Sammlern werden die angestaubten und wachsversiegelten Behältnisse teuer gehandelt. Die Flaschen für die aktuelle Untersuchung wurden in Frankreich, der Schweiz, Spanien, Italien, den Niederlanden und den USA zusammengekauft.
Absinth-Sammlung aus Steuergeldern? Staatliche Unterstützung des Absinth-Antiquitäten-Markts? Oder wie ist das "No funding" zu verstehen?
 
[Public Health]
Autor: strappato   2008-05-04   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  








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