Herstellerfinanzierte Impfquotenmassage

Die von der Uni Greifswald verbreitete PR-Meldung über den Erfolg der HPV-Impfung hat mittlerweile ein vielfaches Echo in der Medienlandschaft gefunden. So meldet etwa die österreichische Zeitung der Standard:
Fast 70 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen greifen auf Impfung zurück.

An der zugrundeliegenden Pressemeldung ist jedoch nicht nur fragwürdig, dass in ihr die Tatsache keine Erwähnung fand, dass der Impfstoff-Hersteller Sanofi Pasteur MSD die Umfrage finanziert hat. Vieles spricht dafür, dass die tatsächliche Impfrate in Deutschland weit unter dem per Umfrage ermittelten Wert liegt.

Hier der entsprechende Abschnitt im Wortlaut:
Im Rahmen der Untersuchung wurden in Mecklenburg-Vorpommern 760 Frauen im Alter zwischen 14 und 65 Jahren sowohl zu ihren Einstellungen als auch zu ihrem Wissen und ihrem Verhalten bezüglich der Prävention befragt.

Die Untersuchung ergab, dass die HPV-Impfung unter den Frauen in Mecklenburg-Vorpommern eine hohe Akzeptanz findet. Zum Zeitpunkt der Umfrage (Februar 2008) waren bereits 68 % der Befragten im Alter zwischen 14 und 17 Jahren gegen HPV geimpft.

Die Impfung wird von der STIKO für die Altersgruppe von 12 - 17 Jahren empfohlen und wird von den gesetzlichen Krankenkassen für diese Altersgruppen auch anstandslos erstattet. Viele Kassen erstatten die Impfung sogar weit über diese Altersgrenzen hinaus, etwa vom 9. bis zum 26. Lebensjahr. Dies wurde auch Anfang 2007 schon pdf-Dateiähnlich gehandhabt.

Die tatsächlich in Deutschland durchgeführten Impfungen dürften also zu einem großen Teil die Altersgruppen von 9 bis 26 Jahren betreffen, sich also auf 18 Jahrgänge verteilen, rund 7 Millionen Mädchen und Frauen. Da wir die genaue Altersverteilung der HPV-Geimpften nicht kennen, vernachlässigen wir an dieser Stelle großzügig die Jahrgänge außerhalb der STIKO-Empfehlung und gehen von einer Gleichverteilung über die Altersstufen zwischen 12 und 17 Jahren aus. Damit bleiben rund 2,4 Mio. Mädchen. (WIr gehen dabei ein wenig vereinfacht von 400.000 Mädchen pro Jahrgang aus.)

Von diesen 2,4 Mio. Mädchen müssten im Februar gut 1,6 Millionen bereits geimpft gewesen sein, um in einer repräsentativ angelegten Umfrage auf die genannte Quote von 68 Prozent zu kommen.

Das erscheint jedoch ausgesprochen unwahrscheinlich. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts wurden bis Januar 2008 in Deutschland und Österreich gemeinsam 2,2 Millionen Dosen Gardasil® verkauft:
Unter der Voraussetzung, dass alle verkauften Dosen auch verimpft wurden, ist von insgesamt mindestens 700.000 geimpften Personen auszugehen (drei Dosen pro Impfling zur vollständigen Impfung).
In Deutschland allein werden also Anfang Februar 2008 bestenfalls rund 640.000 Mädchen mit Gardasil® vollständig geimpft gewesen sein.

Ob der zweite Impfstoff Cervarix® den eklatanten Unterschied ausmacht? Sehr unwahrscheinlich. Cervarix® kam erst im Oktober 2007 in Deutschland auf den Markt, während Gardasil® bereits seit September 2006 verfügbar ist. Der Marktanteil des identisch bepreisten und von der Papierform her unterlegenen Cervarix® dürfte auch heute noch weit unter dem von Gardasil® liegen.

Halten wir fest: Realistisch wäre zum Zeitpunkt der Umfrage eine HPV-Impfquote von maximal rund 30 Prozent in der genannten Altersgruppe.

Die Gründe für die Differenz zu den von den eher fachfremden Autoren der herstellerfinanzierten Studie genannten 68 Prozent werden nicht allein in einer besonderen Impffreude der Mecklenburg-Vorpommerinnen zu suchen sein.
 
[HPV]
Autor: hockeystick   2008-08-27   Link   (7 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2008-08-27  
Es wurden 760 befragt. Auf alle Altersgruppen von 14-65 Jahre verteilt sind dies etwa 15 pro Jahrgang. Also beziehen sich die 68% auf etwa 60 befragte Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren. Ehrlicherweise hätte man schreiben müssen: 68% der 60 befragten Mädchen zwischen 14 und 17. Um mal die statistische Genauigkeit abzuschätzen. Das 95% Konfidenzintervall, das die Präzision der Schätzung festlegt, liegt dann bei 54,5%-79,1%. Die Aussagen: "Über die Hälfte der Befragten" bzw. "nahezu 80% der Befragten" wären gleichermassen richtig wie die "fast 70% der Mädchen".

Ein Punkt der auch zu Fehler führen könnte, ist die Frage der vollständigen Impfung. Ich kenne den Text der Frage nicht, aber bei 3 Impfungen ist diese Aussage potentiell fehleranfällig.


hockeystick   2008-08-27  
Ich tippe ja darüberhinaus auf einen massiven Bias durch die Auswahl der Teilnehmer. Wahrscheinlich haben sie die Umfrage im Wartezimmer beim Frauenarzt gemacht.

Wenn es aber daran liegen sollte, dass die Mehrzahl der Impflinge nach der ersten Impfung nicht wiederkommt, und diese erste Impfung bereits als "gegen HPV geimpft" in die Wertung eingeht, dann passt das nicht zum positiven Tonfall der Pressemeldung. Das Impfschema ist 0-2-6 Monate (Gardasil) bzw. 0-1-6 Monate (Cervarix).


medizynicus   2008-08-27  
Das Marketing ist jedenfalls genial...
ich bin mal gespannt auf die Ergebnisse der ersten Langzeit-Studien - wenn es jemals solche geben sollte.
Die Verquickung von STIKO und Industrie ist ja schon oft diskutiert worden...


kelef   2008-08-28  
ihr schon wieder, ihr bösen.
der standard (und viele andere) versuchen doch nur, sich allgemeinverständlich auszudrücken. ich zitiere aus dem vorigen post: ..... Die Leute möchten heute in einer unübersichtlichen Welt einfache Aussagen hören, an die sie sich halten können. Und die möchten sie sympathisch präsentiert bekommen. .....

mich hat das impfgebaren auch interessiert, und ich habe über ein paar schülerinnen zwischen 15 und 18 in ein paar schulklassen (gymnasium) hier in wien und niederösterreich, sowie bei ein paar 19 bis 23 jährige (fachhochschulen und uni) fragen lassen. niemand kennt jemanden, der geimpft ist. ich kenn' auch niemanden, und in der ex-fabrick auch niemand jemand, also mit anderen worten, alle sind geimpft (und überzeugt von der sinnhaftigkeit), aber keiner gibt es zu. oder - was mir aus vielen gründen viel wahrscheinlicher erscheint - es wird einfach schamlos gelogen.

und das mit "verkaufte dosen" ist ja so eine sache. eigentlich dürften diese mengen ja gar nicht gezählt werden, sondern nur die, die wirklich am patienten zum einsatz kamen. wenn eine so riesige werbekampagne über die länder schwappt, ist natürlich der absatz bei erzeuger und/oder depositeur zunächst riesig, weil stock out geht gar nicht. aber dass der grosshandel ware auf lager hat, und die apotheken auch, heisst noch lange nicht dass auch die ärzte rezepte ausstellen und patienten das zeug bekommen. bei einer haltbarkeit von angenommen zwei jahren wäre es ja eigentlich interessant, was in einem jahr an den erzeuger zurückgeht (unter dem titel: "...und ersuchen wir um gutschrift wegen ablauf ..."). die ware wird dann noch rechtzeitig in ein entwicklungsland verschippert und unter einem neuen titel, nämlich dem der mildtätigkeit, an mehr oder weniger wehrlosen patienten angewendet. das gibt dann auch noch lorbeeren von der presse.


strappato   2008-08-28  
Das ist in der Pharmaindustrie ein bekannter Trick, um Verkäufe besser aussehen zu lassen. Fachausdruck: "channel stuffing".


kelef   2008-08-29  
das ist nicht nur in der pharmaindustrie so. und ausserdem: noch nie verkaufs-tv gekuckt?


hockeystick   2008-08-29  
Bei TW1 fehlt allerdings so ein Counter. ("Nur noch 9 - nein 8 Packungen Sortis auf Lager! Noch sieben!" )








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