SiCKO in den Feuilletons

Am nächsten Donnerstag läuft Michael Moores Film SiCKO über das US-amerikanische Gesundheitswesen in Deutschland an. In Österreich einen Tag später. Weiter geht es mit Reaktionen in den Medien.

Hier war der erste Schwung.
Hier war der zweite Teil.

Die FTD lässt einen Gesundheitsökonomen den Film vorstellen. Wolfgang Greiner relativiert die Situation in den USA und lenkt den Blick auf die Zukunft in Deutschland. Der Trend geht auch in Deutschland zu mehr Wettbewerb, was der Autor nicht bedauert.
Welche Bedeutung hat also "Sicko" für europäische Zuschauer? Es besteht leider die Gefahr, dass sich für die meisten der Genuss in wohligem Grusel erschöpfen wird. Wie bei einem typischen Hollywood-Film ist man letztlich froh, nicht Teil des Geschehens zu sein. Doch wir sollten es uns im Kinosessel nicht zu bequem machen: Die wettbewerbliche Umgestaltung des Gesundheitssystems ist unumgänglich - wegen der sonst steigenden Kosten, insbesondere in einer alternden Gesellschaft, aber auch wegen eines tendenziell teurer werdenden medizinischen Fortschrittes.

Auch Andrian Kreye weist in der Süddeutschen Zeitung auf die über die Situationsbeschreibung in den USA hinausgehende Bedeutung hin.
Nun gibt es bei uns keine amerikanischen Verhältnisse. Doch Moore hat sich mit "Sicko" eines globalen Problems angenommen. Es geht ihm ja nicht um die Millionen Unversicherten in Amerika, sondern um die Bürger mit Krankenversicherung. Und weil die Konzerne auch in den erodierenden sozialen Marktwirtschaften Europas nach Lücken forschen, wird Michael Moore mit "Sicko" erstmals nicht nur Vorurteile bestätigen, sondern als Kassandra auftreten.

Schon im Juli zum Start des Films in den USA hatte die taz die Hintergründe und die Reaktionen dort erklärt. Im aktuellen Kommentar hebt Bert Rebhandl auf die Polemik des Films ab, ohne zu registrieren, dass bei der Frage von Leben oder Tod durch die Verweigerung oder Übernahme der Behandlungskosten, aus der unsachlichen Kritik schnell Zynismus wird.
"Sicko" kümmert sich nicht um die Unterschiede zwischen Selbstironie und kalkulierter Naivität, zwischen "dumm sein" und "sich dumm stellen". Das liegt ganz einfach daran, dass der Kalauer das Genre dieses Films ist. Was an Dokumentarischem noch mitgeliefert wird, stellt den USA kein gutes Zeugnis aus, die Polemik drumherum verfestigt aber eher die ideologischen Fronten, auch wenn Michael Moore sicher das Gegenteil im Sinn hatte: eine paradoxe Intervention.

Selbst der grössten Zeitung Österreichs, der Krone ist SiCKO ein paar Zeilen wert. Christina Krisch schiebt es auf die bekannten Verhältnisse in den USA. Felix Austria.
Anfeindungen prallen an Moore wie immer ab. Es ist, als wollte man einen T-Rex mit einer Federboa verdreschen... Und so hält der provokante "Anwalt der kleinen Leute" bestehende Vorerkrankungen eines ganzen Polit-Systems akribisch in seiner filmischen Anamnese fest.

Im SWR sieht Kathrin Häußler in SiCKO einen von Michael Moores Kämpfen für eine bessere Welt.
Vieles ist heillos übertrieben, kitschig, oft auch absurd - unterhaltsam ist "Sicko" allemal. Denn wie in seinen bisherigen Filmen streut Moore jede Menge sarkastische Bemerkungen ein, die dem Ganzen einiges von seiner messianischen Ernsthaftigkeit nehmen. Dass Moore seine Kranken nach Guantánamo schleppt, mutet allerdings sehr seltsam an. Um seine Thesen zu untermauern, ist dem Provokateur wohl jedes Mittel recht - je drastischer desto besser. Fragt sich nur, ob das deutsche Publikum sich genauso brennend für das US-Gesundheitssystem interessiert wie Herr Moore.

Stefan Benz besinnt sich im Darmstädter Echo auf die einfachste Moral, die der Zuschauer aus dem Film ziehen kann.
Man kann sich „Sicko“ also anschauen und die armen, kranken Amerikaner bedauern. Man mag sich angesichts dieses Films aber auch daran erinnern, was so ein Sozialstaat wert ist und was droht, wenn man die Medizin zu einer Ware wie jede andere macht. Nicht zuletzt deshalb ist „Sicko“ sehenswert.

Der Artikel im Züricher Tagesanzeiger lässt die Hilflosigkeit angesichts der Szenen erkennen.
Die polemischen Prioritäten waren da ganz klar, auf Differenzierung kam es nicht an. Aber der gesundheitlich spürbare Erfolg heiligte die Mittel. Man darf «Sicko» einen Film nennen, mit dem einer bei der Wahrheit bleibt im Bewusstsein, dass Propaganda, auch wo sie Recht hat, halt immer ein wenig lügt.

Geradezu eine Lobeshymne für den Film kommt im Focus von Robert Thielicke.
Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geben die Vereinigten Staaten 15,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die medizinische Versorgung aus, fünf Prozent mehr als Deutschland. Dennoch schaffen sie es nur auf Platz 37 der WHO-Rangliste weltweiter Gesundheitssysteme, zwölf Plätze hinter Deutschland. Pharmakonzerne freuen sich über saftige Gewinnspannen, gleichzeitig ist die Säuglingssterblichkeit eine der höchsten der Industrieländer. Und so ist der Film für Zuschauer hierzulande Trost und Mahnung zugleich. Denn so viel am deutschen Gesundheitssystem zu bemängeln ist – eine nahezu vollständige Privatisierung macht es kaum besser.

Else Buschheuer erinnert sich in westropolis an ihren eigenen Aufenhalt in den USA, wo sie wegen der Kosten auch meist gewartet habe, bis sie ich ziemlich krank war.
moore ist wie zahnschmerzen, aber zahnschmerzen sind, wie wir wissen, ein wichtiges signal dafür, dass irgendwo was modert. ob der typ nun ein weltverbesserer ist oder ein routinierter schmock, eins steht fest: seine filme haben wucht.

 
[SiCKO]
Autor: strappato   2007-10-10   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  








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