Deutsches Gesundheitswesen im TV-Magazinen

Kein politisches Magazin im deutschen Fernsehen ohne einen Beitrag zum Gesundheitswesen. Gestern waren [plusminus und Frontal21 an der Reihe.

Abrechnungsbetrug
Die Autoren von Frontal21 haben systematischen Abrechnungsbetrug in deutschen Facharztpraxen aufgedeckt. Wobei die Abrechnung ambulanter Leistungen nicht so einfach ist, wie es Frontal21 darstellt. Tipps, wie Ärzte die EBM-Ziffern, die jeweils einzelnen Leistungen oder Leistungskomplexen entsprechen, zu ihren Gunsten optimieren gibt es so lange, wie es den EBM gibt. Die Grenze zwischen der angemessenen vollständigen Dokumentation von Leistungen und dem Abrechnungsbetrug ist fliessend.

Darüber wachen sollen die Prüfungsausschüsse die mit Vertretern der Vertragsärzte (Kassenärztliche Vereinigung - KV) und den Krankenkassen (Spitzenverbände) besetzt sind. Gemäss den Prüfvereinbarungen werden Durchschnittswerte herangezogen und Leistungen bestimmte Zeiten zugeordnet. Eine direkte Plausiblitätsprüfung mit Angaben des behandelten Patienten findet nicht statt. Wenn es um ärztliche Leistungen geht, kann der Arzt eigentlich nur seine Kollegen betrügen. Das von den KVen verteilte Budget ist fix. Mehr Leistungen von allen Ärzten bewirken, dass die einzelne Tätigkeit weniger wert wird, da den Abrechnungsziffern nur Punkte und nicht Beträge zugeordnet sind. Das von den Ärzten kritisierte Hamsterrad und die von ihnen verhasste Muschelwährung.

In dem Frontal21-Fall geht es um ambulante Operationen. Das ist ein besonderes Thema. Ambulante Operationen sind seit Jahren unterbewertet, dem gern gebrauchten Schlagwort "ambulant vor stationär" zum Trotz. Speziell die Einführung des EBM2000plus im April 2005 hatte zu schmerzhaften Honorareinbussen bei den ambulanten Operateuren geführt. Dass nun hier betrügerische Höherbewertungen von Leistungen zu sehen sind, kann man psychisch auf den Frust dieser Ärzte zurückführen - aber physisch besonders auf die extrabudgetäre Vergütung mit einem festen Punktwert, den die Operateure in den meisten KVen nach zähen Ringen erstritten haben. Eine Einladung zur Selbstbedienung.

Wenn nun 2009 die Muschelwährung durch feste Vergütungen ersetzt werden soll ("Euro-EBM"), lässt diese Abrechnungskosmetik erahnen, was auf die Krankenkassen und Versicherte zukommt.

Medikamentenpreise
[plusminus hat die Medikamentenpreise entdeckt. Deutschland, der weltweit drittgrösste Markt für Medikamente, ist ein Hochpreisland in Sachen Arzneimittel. Das ARD-Magazin ging der Frage nach, wie dies kommt und wieder fällt der Begriff "Selbstbedienung". Auch hier ist die Materie komplexer, als es in einen TV-Beitrag dargestellt werden kann. Bei Verhandlungen der Hersteller mit Krankenhäusern und im Rahmen von Rabattverträgen beispielsweise sind schon heute die Apothekenverkaufspreise reines Wunschdenken. Ein Fazit bleibt: Die heutigen Massnahmen zur Kostendämpfung bei Medikamenten sind bürokratisch, unsystematisch und nicht sehr erfolgreich.

Am Rande nett: Mittlerweile scheinen die TV-Magazinmachern überall Pharmaindustrie-Verschwörungen zu wittern. Betont wird, dass man nur in Österreich ein von der Pharmaindustrie unabhängiges Institut (das staatliche ÖBIG) gefunden habe, das für die Redaktion einen Preisvergleich zwischen verschiedenen Ländern durchführen konnte. Klarer Fall von leicht paranoider fachlicher Überforderung. Wir hätten das auch für den NDR erledigt, vergleichbare Aufträge kommen auch von Pharmaunternehmen, die ebenso Unterstützung im verwirrenden europäischen Arzneimittelmarkt benötigen. Auch denen bietet das ÖBIG ihre Pharma-Preisinformation (PPI) als Leistung an.
 
[TV-Magazine]
Autor: strappato   2008-01-09   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  


mager   2008-01-10  
Abrechungsbetrug = Kollegenbetrug != Kassenbetrug
Danke für die Erklärung. Ich habe nach einigen Leserbriefen den Kampf aufgegeben - den Unterschied verstehen Journalisten einfach nicht.


gn8   2008-01-10  
Ärzte verstehen es einfach nicht
Honorarbetrug ist auch (aber nicht nur!) Betrug von Kollegen. Schließlich werden die Beiträge zur Krankenversicherung nicht als absolute Summe festgesetzt, vielmehr wird theoretisch eine bestimmte Anzahl bestimmter Leistungen angenommen als Berechnungsgrundlage. Also werden immer auch die Beitragszahler betrogen. Zusätzlich wird wegen vielfacher Transferleistungen der Staates ins Gesundheitssystem immer auch der Steuerzahler betrogen. Und zu glauben, dass ein Ründchen von Kassen- und Ärztevertretern genug Interesse hätte das wirkungsvoll zu ahnden ist naiv. Schließlich haben die beiden Gruppen jahrzehntelang das intransparente System aufgebaut und gefüttert, von dem sie jetzt am liebsten nichts mehr wissen wollen. Gegen das, was dort lief und läuft, ist Landowsky in Berlin ein kleiner Fisch.


mager   2008-01-11  
Nachhilfe gewünscht!
Das erklär mir bitte genauer: das Budget ist fix - es wurde zwischen Kassen und KVen ausgehandelt. Mehr gibt es nicht. Dazu kommt, daß politisch keine Beitragssteigerung/Leistungsausweitung erwünscht ist.
Wie kann da ein Arzt durch illegales "Punkten" jemand anderen als seine Kollegen schädigen?








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