Aut idem Marketing in Österreich

Österreich unternimmt Schritte zur Reform des Gesundheitswesens. Zu der Einigung zwischen Sozialpartnern und Regierung gehört auch, dass es eine "aut idem"-Regelung ("aut idem", lat. "oder das Gleiche") geben soll. Der Arzt verschreibt nur den Wirkstoff, die Apotheke entscheidet über das Präparat.

In Deutschland ist das schon lange üblich. Nur sind unsere Nachbarn auf halben Wege stecken gelieben. In Österreich orientieren sich die Preise für Generika, Wirkstoffe ohne Patentschutz, am Originalpräparat. Neue Anbieter müssen jeweils einige vorgegebene Prozent darunter liegen. Ab dem 3. Generikum eines Originalproduktes ist die Untergrenze erreicht. Kein echter Preiswettbewerb.

In der Folge wird sich das Marketing dann für Generika ab 2010 statt an die Ärzte an die Apotheker richten. Mit allen unschönen Konsequenzen, die wir hierzulande erlebt haben: Naturalrabatte in Form von Aktionen wie "vier-für-drei", die der Apotheker dann, natürlich der Krankenkasse in Rechnung gestellt hat, konnte erst ein Gesetz stoppen - auch in Österreich.

Zuvor werden die Pharmahersteller in Österreich massiv mit Arzneimittelmustern die Praxen entern. Denn nach den Planungen sichert das Gesetz chronischen Patienten, die auf ein bestimmtes Produkt eingestellt sind, die Versorgung mit dem Präparat auch nach 2010 zu. Zusätzlich sollen die Ärzte einem Patienten weiter ein bestimmtes Medikament verordnen können, wenn dem Kranken nur dieses hilft - eine Herausforderung für die Pharmakommunikation.

Mal zum Vergleich: In Österreich beträgt der Anteil von Generika am Arzneimittelmarkt nur 25% der Packungen und 14,5% vom Umsatzvolumen. In Deutschland sind dagegen 60% aller verkauften Packungen Generika und diese machen 28% des Gesamtumsatzes aus. Trotzdem beklagen die Krankenkassen weiterhin eine zu geringe Generika-Verordnung. Festbeträge, Rabattverträge und andere Massnahmen haben erreicht, dass Deutschland die niedrigsten durchschnittlichen Generika-Preise unter den fünf wichtigsten EU-Pharmamärkten hat. Vor 4 Jahren führte Deutschland noch weltweit die Preise an.

Dagegen geht es in Österreich beschaulich zu. Das wundert nicht, wenn man sieht, wie die Reform erarbeitet worden ist:
Die Sozialpartner - Gewerkschaften und Arbeitgeber - wurden von der Regierung beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten. Diese sind dann fast 1:1 von Bundesgesundheitsministerin Kdolsky durchgewunken worden.

Fazit: Viel Arbeit für die Marketing-Abteilungen, die Strategien zu ändern, aber keine schmerzhaften Einschränkungen für die Pharmaindustrie.

--
Ganz am Rande: Der österreichische Wirtschaftsminister war bis zu seinem Eintritt in die Bundesregierung als Umweltminister 1995 Geschäftsführer eines Generikaunternehmens, das sich in Familienbesitz befindet.
 
[Oesterreich]
Autor: strappato   2008-05-14   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  


siyani   2008-05-14  
hervorragende und realistische schilderung, wie man sie in der schlichten dichte vermutlich nie in einem österreichischen "klassischen printmedium" lesen wird, weil sich das wohl keiner trauen wird. wer legt sichs da schon mit wem an.


sonnenscheinchen   2008-06-05  
aut idem
mit erstauen höre ich in den österreichischen radio nachrichten einen bericht wonach in deutschlan die ärzte und patienten mit "aut idem" alle glücklich sind??? die eigene erfahrung ist eine andere als patientin und auch seitens behandelnder ärzte und auch "im netz" kann man anderes lesen; von wegen compliance...
es ist auch sehr eigenartig, wenn nicht die beste behandlung für den patioenten erfolgen soll, sondern die günstigste - frau kdolsky hat ja damit sicher kein problem und leistet sich den privatarzt... es ist noch mal seltsam, wenn patient generikum schlucken soll in den sleben radionachrichten aber vor gefälschten medikamenten gewarnt wird - waren ja nur kinder irgendwo in afrika... man/ frau ist natürlich am liwebsten gesund, aber dass hat man/ frau ja nicht immer in derhan....


strappato   2008-06-05  
60% aller verkauften Packungen ist viel. Klar ist nicht jeder dabei glücklich, aber es wurde weitgehend akzeptiert. Wir haben ja nicht nur Aut idem, sondern auch Festpreise, z.T. auch für patentgeschützte Arzneimittel. Oder Rabattverträge von Herstellern mit einzelnen Krankenkassen (in Deutschland immer noch grob 200 Krankenkassen), da bestimmt dann die Krankenkassenmitgliedschaft, welches Medikament der Patient bekommt. Dann gibt es noch eine Liste mit zuzahlungsbefreiten Medikamenten, bei der der Patient selber das Interesse haben sollte, das Generika auf dieser Liste zu erhalten (in Deutscland zahlt der Patient über 18 Jahre 10% - mind. 5 Euro, max. 10 Euro - für eine Verordnung aus eigener Tasche). Und noch einiges mehr, beispielsweise Verträge von einzelnen Kassen bei denen die Ärzten, die ein Rabatt-Medikament verordnen, eine Bonuszahlung erhalten.

Oder die Bonus-Malus-Regelung mit Zielvorgaben für die Verordnungskosten von Arzneimitteln. Werden diese Zielkosten unterschritten, erhalten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) einen Bonus zur Weitergabe an diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die wirtschaftlich verordnet haben. Ärztinnen und Ärzte, welche diese Zielkosten überschreiten, müssen nach gesetzlich näher bestimmten Voraussetzungen einen Ausgleich an die Krankenkassen zahlen. Die meisten KVen haben gesonderte Vereinbarungen geschlossen und durch die Rabattverträge hat sich das erstmal erledigt.

Also ein sehr komplexes System mit Mechanismen, die sowohl in das Angebot, als auch in die Nachfrage eingreifen. Daher wird das in Österreich eher ein Fehlschlag werden, denke ich. Krankenkassen, Patient und Ärzte müssen gleichermassen einen Vorteil haben, nur dann wird es wenn auch nicht geliebt, wenigstens halbwegs akzeptiert. So wie ich es bisher sehe, gewinnen in Österreich nur die Krankenkassen.


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Mal vom Umfang:
Am 31. Dezember 2007 bestanden insgesamt 1.997 Rabattverträge mit insgesamt 390.016 unterschiedlichen Rabatten. Somit entfielen rein statistisch auf jede dieser Packungen 22 unterschiedliche Rabattvereinbarungen. Zum Stand 1. Februar 2008 hatten 185 Krankenkassen Rabattvereinbarungen gesclossen, 93 Hersteller und für insgesamt fast 25.000 Produkte (inkl. Dosis/Packungsgrössen-Kombinationen = PZN Pharmazentralnummer). Im Dezember 2007 waren zwischen 23 Prozent (AOK) und 63 Prozent (Knappschaft) der abgegebenen Packungen Rabattarzneimittel. Über alle Krankenkassen erreichten die Rabattarzneimittel im generikafähigen Markt einen Anteil von 36 Prozent an den Verordnungen und von 29 Prozent am Umsatz.

Fast 9.000 PZNs sind von der Zuzahlung befreit, weil der Preis mindestens um 30 Prozent unter dem jeweils gültigen Festbetrag liegt.








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