Zweiklassen-Fernsehen bei Maischberger

Zweiklassen-Medizin in Deutschland. Für den Journalisten Markus Grill etwas, was nicht zu ignorieren ist. Bei dem gestrigen Maischberger-Talk wähnte er sich daher "wie in einer Talkshow-Sendung aus dem vorigen Jahrhundert", als Maischberger die Gäste über die Frage diskutieren liess, ob Kassenpatienten schlechter behandelt werden als Privatpatienten.

Am vehementesten bestritt die ehemalige Vorzeige-TV-Ärztin Marianne Koch die Ungleichbehandlung. Lediglich bei der Verschreibung von Generika sah Marianne Nachteile für Kassenpatienten.
Nun muss man wissen, dass Frau Koch sich nicht nur mit Ärzten, sondern auch mit den Herstellern von Originalpräparaten gut versteht. Sie selbst ist, was in der Sendung verschwiegen wurde, Präsidentin der "Deutschen Schmerzliga". Hersteller der teuren Schmerzmittel Oxygesic und Palladon ist die Firma Mundipharm. Im Vorstand von Kochs Schmerzliga sitzt auch ein ehemaliger leitender Mitarbeiter von Mundipharm, und Mundipharm stiftet auch den "Deutschen Schmerzpreis" in Höhe von 10.000 Euro, den, potzblitz!, im Jahr 2006 ausgerechnet Marianne Koch bekommen hat.

Dem Fazit von Markus Grill kann man nur zustimmen:
In der Gefahr, die Realität nicht mehr wahrzunehmen, befinden sich aber nicht nur die Abgeordneten, sondern auch Frau Maischberger. Während sie noch wie in einer Talkshow-Sendung aus dem vorigen Jahrhundert diskutieren lässt, ob Kassenpatienten schlechter behandelt werden als Privatpatienten, gibt das Gesundheitsministerium seinen Experten vom IQWiG bereits den Auftrag, auszurechnen, wie viel ein zusätzliches Lebensjahr kosten darf oder welcher Preis für Medikamente noch in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Zwei-Klassen-Medizin ist ein alter Hut. Jetzt geht es um Rationierungen für 70 Millionen Krankenversicherte – nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Aber ich fürchte es wird nicht die letzte Talkshow oder die letzte Dokumentation über diese Frage gewesen sein, während die Gesundheitsökonomen und Politikexperten unbehelligt von gesellschaftlichen Diskussionen die Pflöcke für die Rationierungsentscheidungen einschlagen.
 
[TV-Magazine]
Autor: strappato   2009-05-06   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


sfinxx   2009-05-07  
Zwei-Klassen-Medizin - veraltet?
Wirklich erstaunlich, wie Kritikern der "Zwei-Klassen-Medizin" einfach nicht auffallen will, daß sie sich - sicher ohne es zu wollen - vor einen ganz anderen Karren spannen lassen, als sie glauben. Da habe ich ganz schwer den Eindruck, daß hier viele der Gefahr erliegen, die Realität nicht wahrzunehmen.

Eine gute medizinische Versorgung der Patienten ist nämlich nicht Zweck der Übung. Das wird deutlich, wenn man sich mal vergegenwärtigt, wer alles - außer Journalisten und Patienten - sich gegen Zwei-Klassen-Medizin stark macht.

So werden Ärzte nicht müde, darauf hinzuweisen, daß sie es gar nicht gut finden, wenn Kassenpatienten bei ihnen länger warten müssen als Privatversicherte - und zwar ohne, daß jemals einer der Zuhörer oder -seher einen Lachkrampf bekäme. Aber was sollen sie machen? Von Kassenpatienten kann kein Arzt leben! Die Lösung des Problems ist denkbar einfach: mehr Honorar für Kassenpatienten.

Interessant ist auch, daß die Pharmaindustrie sich doch recht vehement gegen Zwei-Klassen-Medizin und für die Interessen der Patienten einsetzt. Alle müssen gleichermaßen mit ihren hochinnovativen neuen Krebsmedikamenten versorgt werden. Keiner soll eher sterben müssen, nur weil er als Kassenversicherter am Fortschritt der Medizin nicht teilhaben kann.

Es ist sicher kein Zufall, daß Sibylle Herbert - die auf allen Kanälen von früh bis spät unermüdlich gegen Zwei-Klassen-Medizin und für Patientenrechte kämpft - ausgerechnet Herceptin und Avastin als DIE Beispiele für die Benachteiligung von Kassenpatienten anführt - und auf der Internetseite der Firma Roche Patienten Tips gibt, was sie tun können, wenn die Krankenkasse ihnen die teuren Medikamente nicht zahlen will. Das Wort Roche nimmt sie dabei natürlich nicht in den Mund.

HPV- und FSME-Impfung, Viagra, Avastin, Herceptin, Vioxx, Celebrex, und ... für alle!


strappato   2009-05-08  
Die Zweiklassen-Medizin auf der Erstattungsseite gab es immer und wird es immer geben, solange wir in Deutschland das System mit privater und gesetzlicher Krankenversicherung haben. Einschränkungen bei der Bezahlung von Therapien bei der GKV sind notwendig, da begrenzte Mittel verteilt werden müssen. Eine Erhöhung der Ausgaben ist politisch nicht gewünscht und auch nur begrenzt vertretbar, da es zu Opportunitätskosten in anderen Bereichen kommt. Die Diskussion um die "Zweiklassen-Medizin entzündet sich an den Grenzen, wenn Einschränkungen in der Praxis für den Patienten sichtbar werden.

Statt öffentlich immer wieder um um die "Zweiklassen-Medizin" zu diskutieren, sollte der Fokus auf der Frage liegen, wie die Gesellschaft entscheiden will, was nicht bezahlt wird (also rationiert). Das geschieht zur Zeit in Gremien wie dem G-BA, gesteuert von Experten und ausgehandelt von den Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern. Die Patienten haben im G-BA nur eine beratende Stimme. Die Politik hält sich da raus und hat es an die Selbstverwaltungen delegiert.

Der G-BA ist nur die Spitze der Einrichtungen, die über die Bezahlung und Verwendung von Leistungen entscheidet. Medizinischer Dienst der Krankenkassen, Vertragspartner in Versorgungsnetzen, Arzneimittelkommisionen der Krankenhäuser, die Krankenkassen, die KVen durch Arzneimittellisten und andere machen Rationierungsvorgaben. Das ist nicht nur für den Patienten undurchsichtig.

Es gibt alleine ein Dutzend - je nach Zählung - teils gegensätzlich wirkende Instrumente, mit denen die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Kassen gesenkt werden sollen.

Eine öffentliche Diskussion über die Kriterien, nach denen die Gesellschaft über die Erstattung medizinicher Leistungen zu Lasten des Solidarsystems entscheidet ist dringend notwendig.

--
Update aktuell:

Soll es ein "Gesundheitsrat" machen, der entscheidet, welche Behandlungen Kassenpatienten bekommen sollen, wie es von Bundesärztekammer-Chef Hoppe vorgeschlagen wird? Noch ein Gremium mehr, aber kein gesellschaftlicher Konsens.


sfinxx   2009-05-09  
Ich bin nicht so ganz glücklich über meinen Beitrag. Offenbar ist nicht klar geworden, auf was es mir ankommt.

Es ist nicht in Ordnung, wenn Kassenpatienten länger auf Termine warten müssen. Aber ich denke nicht, daß die medizinische Versorgung selber bei Privatversicherten erst- und bei Kassenpatienten zweitklassig ist. Die Sorgen der Patienten sind nur der Ausgangspunkt einer Debatte, die Pharmaindustrie und Ärzteschaft sehr gelegen kommt.

Um nur mal ein paar wenige Beispiele zu nennen, die hier im Blog gelegentlich vorkommen: wer Sortis, Lipobay oder Vioxx etc. nicht bekommen hat, war mit Simvastatin (oder womöglich sogar ganz ohne Cholesterinsenker), Ibuprofen oder Naproxen sicher besser versorgt. Viele Privatpatienten klagen, daß man sie "ausschlachtet". Überversorgung ist eben auch nicht gut für die Gesundheit. Es lohnt sich für Ärzte und Krankenhäuser - deswegen wird es gemacht. Anders gesagt: was Patienten für ihre Gesundheit brauchen bzw. bekommen richtet sich nicht nach medizinischen Kriterien - da liegt das Problem.

Mit den ökonomischen Argumenten hier habe ich Schwierigkeiten.

Rationierung muß sein, denn es sind nicht genügend Mittel da. Rationierung findet schon jetzt statt. Das ist deswegen schlecht, weil sie von lauter verschiedenen undurchschaubaren Institutionen, Gremien, Räten oder Ausschüssen nach intransparenten Kriterien vollzogen wird, wo Patienten entweder gar nicht beteiligt sind, oder nur eine beratende Stimme haben. Rationierung ist aber OK, wenn und solange die Kriterien nach denen rationiert wird auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhen. Habe ich das so richtig verstanden?

Daß Rationierung OK sein soll - ich weiß nicht recht. Da würde ich doch erst noch mal genauer nachfragen wollen: für was genau werden die Mittel denn eingesetzt? Sollte man *das* nicht erst mal diskutieren?

Wer weiß - vielleicht kommt ja sogar dabei raus, daß die Mittel so knapp gar nicht sind, wenn zur Abwechslung mal nach medizinischen Kriterien entschieden wird, was erstattet wird und was nicht?


strappato   2009-05-09  
Sich anschauen, wofür die Mittel eingesetzt werden ist Rationierung, weil es dazu führt bestimmte Leistungen nicht zu bezahlen. Dieses "sich anschauen" ist methodisch schon mal eine Bewertung. Nur soll sich die Gesellschaft auf die Bewertungskriterien einigen. Ich denke, dass IQWiG und der G-BA sind bei der breiten Masse der Patienten völlig unbekannt, obwohl dort über ihre Gesundheitsversorgung entschieden wird, und nicht in Parlamenten. Die Standards setzen Experten und Lobbygruppen, mehr oder weniger auch von der Pharmaindustrie beeinflusst. Bei den Experten geht das soweit, dass es Medizinethiker gibt, die argumentieren, eine Kosten-Nutzen-Bewertung sei ethisch geboten und das englische QUALY-Methode, wäre das Instrument der Wahl. Der nun gewählte deutsche Ansatz für die Kosten-Nutzen-Bewertung hat auch eklatante Schwächen.

Mir fehlt eine breite Diskussion um die Frage, wie es bei der Gesundheitsversorgung weitergehen soll. Stattdessen werden Probleme diskutiert und Skandale ausgebreitet - und der Unmut steigt. Wir haben immer noch eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, nach meiner Meinung, aber auch eines mit den unzufriedensten Patienten - und auch Ärzten und anderen an der Versorgung Beteiligten.

Ich werfe gerne immer wieder einen Blick auf die USA. Der grösste Gesundheitsmarkt der Welt, das teuerste Gesundheitssystem der Welt und die ineffizienteste Versorgung. Die medizinische Versorgung war ein Hauptthema des Wahlkampfs. Die anstehende Gesundheitsreform wird sehr eingehend diskutiert. Obamas Regierung versucht die Diskussion bis an die Bürger zu tragen. Sowohl im Internet als auch Vorort im "real-life". Übrigens hat man sich dort erstmal gegen eine Kosten-Nutzen-Bewertung entschieden. Stattdessen sollen "Comparative-Effectiveness-Assessments" gemacht werden. Also vergleichende Nutzenbewertungen. Die von der Pharmaindustrie bezahlten Gesundheitsökonomen gehen auf die Barikaden, weil diese Nutzenbewertung durch die AHRQ und das NIH durchgeführt werden und sie nicht von der Pharmaindustrie bezahlt mit undurchsichtliche Kosten-Nutzen-Modellen gegenhalten können.


sfinxx   2009-05-10  
Sie verwirren mich. Wie soll ich das verstehen: „schauen, wofür Mittel eingesetzt werden“, sprich: „analysieren“ ist immer auch rationieren? Analysieren einfach so, ohne rationieren – das geht gar nicht???

Ich sehe das ganz anders. Ich halte es grundsätzich für problematisch wenn nicht-medizinische Kriterien - wie z.B. Kosten, Geld, politische oder wirtschaftliche Interessen - medizinische Entscheidungen beeinflussen. Es ist schon lange in Vergessenheit geraten und hört sich zu Zeiten, wo alles einen Preis hat und in Kategorien von Geld und Kosten gedacht wird vermutlich etwas wunderlich an – aber Geld, Kosten sind der Medizin äußerlich, sind Kriterien, die erst einmal in der Medizin nichts verloren haben.

Kosten sind nachgeordnete Fragen, Entscheidungen des Staates, welche medizinischen Leistungen er sich wie viel kosten lassen will. Der Staat wohlgemerkt. DIE Gesellschaft ist eine Abstraktion, die davon absieht, daß es viele unterschiedliche, konkurrierende Interessen gibt und so tut, als seien die in dem gemeinsamen Interesse diese Gegensätze alle aufgehoben (im doppelten Wortsinn).

Das muß notwendigerweise dazu führen, daß tatsächlich irgendwann der Preis von Lebensjahren oder gar der Preis des Lebens berechnet wird - eine Absurdität! Eine Absurdität, über die offensichtlich schon längst allen Ernstes nachgedacht wird.

Wollen Sie einen gesellschaftlichen Konsens darüber? Wie soll das gehen - ist das Leben von wichtigen Politikern oder anderen Promis mehr wert? Da braucht man dann eine erst recht eine *echte* Zwei- oder gar Dreiklassenmedizin. Oder glauben Sie allen Ernstes, daß die Reichen, Mächtigen und Schönen sich dem gleichen Maßstab unterwerfen, den sie für Hinz und Kunz für richtig halten?

Die USA schlagen offenbar genau den Weg ein. Bei CER (comparative effectiveness research) fließen die Kosten in die Beurteilung des Nutzens ein, der dann als medizinischer Nutzen gilt. Da soll man sich mal nicht täuschen, nur weil das Wort "cost" im Namen nicht enthalten ist. Das kann man dann gar nicht mehr rausrechnen. Was wenn sich die Medizin ändert - oder die Kosten? Zurück auf Start? Das wird übrigens auch in den USA durchaus kritisch gesehen.

Im übrigen glaube ich nicht, daß - wie häufig behauptet - medizinische Abwägungen frei zu halten von Kostenüberlegungen Medizin teurer macht. Eher schon dürfte es umgekehrt sein. Nur ein Beispiel: medizinische Argumente gab es keine, die für Vioxx gesprochen hätten. *Das* wäre der beste Grund gewesen, es nicht zu verschreiben – nicht der Preis.

Medizinische Kosten-Nutzen-Abwägungen können zum gleichen Ergebnis führen wie die von wirtschaftliche. Sie tun das auch meistens - aber keineswegs immer.








Stationäre Aufnahme












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