Witwer will Pfizer zur Offenlegung von Zoloft®-Unterlagen zwingen

Der Kölner Lothar Schröder ringt nach dem Suizid seiner Frau unter dem Einfluss des Antidepressivums Zoloft® seit Jahren mit deutschen Behörden und dem Pharmakonzern Pfizer. Nun steht er offenbar vor einem Teilerfolg.
Eine Anzeige von Schröder wegen fahrlässiger Tötung und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gegen die Pfizer GmbH, die im Beipackzettel für Zoloft heute vor einem erhöhten Suizidrisiko für Menschen bis zu 25 Jahren warnt, blieb im März 2006 jedoch erfolglos. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe lehnte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens ab, die Behörde folgte der Sichtweise des Pharmariesen. Unter anderem wurde argumentiert, dass die Gefahr eines erhöhten Suizidrisikos bei „älteren Erwachsenen“ über 25 Jahre wissenschaftlich nicht belegt sei.
[...]
Nachdem auch Beschwerden gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft erfolglos blieben, beantragte er Akteneinsicht beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“, das Zoloft 1996 zugelassen hat. Drei Jahre brauchte die Behörde, bis sie einen Termin nannte. Auf die Frage, weshalb dies so lange gedauert hat, erhielt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ keine konkrete Antwort.
[...]
Für die 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln, die Anfang nächsten Monats über den Fall verhandeln will, scheint zumindest der Wunsch Schröders, die internen Akten des Pharmaunternehmens lesen zu dürfen, berechtigt zu sein. Die Einsichtnahme beim Bundesinstitut alleine reiche jedenfalls nicht aus, um den Auskunftsanspruch des Klägers zu erfüllen, heißt es in einer Verfügung. Denn der Zulassungsbehörde würden nicht sämtliche Unterlagen des Medikamentenherstellers vorliegen.

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Nachtrag: Lothar Schröder hat auch ein zwei Blogs zum Thema.
 
[SSRI]
Autor: hockeystick   2009-05-28   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  


amelia   2009-05-28  
Wie kann es eigentlich sein, dass ein Antidepressivum das Selbstmordrisiko erhöht? Gehört es nicht zu den Zielen dieser Medikamente, gerade dieses Risiko zu senken? Ich bin aber medizinischer Laie...


kinomu   2009-05-29  
Eine Hypothese ist, daß das Risiko (bei unter 25jährigen) zu Beginn der Therapie steigen kann, wenn der Antrieb gesteigert ist, sich die Stimmung aber noch nicht gebessert hat.

Längerfristig ist das Selbstmordrisiko niedriger:

OBJECTIVE: In 2003 and 2004, U.S. and European regulators issued public health warnings about a possible association between antidepressants and suicidal thinking and behavior. The authors assessed whether these warnings discouraged use of antidepressants in children and adolescents and whether they led to increases in suicide rates as a result of untreated depression.
[...]
RESULTS: SSRI prescriptions for youths decreased by approximately 22% in both the United States and the Netherlands after the warnings were issued. In the Netherlands, the youth suicide rate increased by 49% between 2003 and 2005 and shows a significant inverse association with SSRI prescriptions. In the United States, youth suicide rates increased by 14% between 2003 and 2004, which is the largest year-to-year change in suicide rates in this population since the Centers for Disease Control and Prevention began systematically collecting suicide data in 1979. CONCLUSIONS: In both the United States and the Netherlands, SSRI prescriptions for children and adolescents decreased after U.S. and European regulatory agencies issued warnings about a possible suicide risk with antidepressant use in pediatric patients, and these decreases were associated with increases in suicide rates in children and adolescents.
American Journal of Psychiatry, September 2007


hockeystick   2009-05-29  
Vorsicht
Während sich in der Publikation sogar konkrete Vorhersagen über zukünftige Selbstmordraten bei weiter rückläufigen Verordnungen finden, rudert jetzt der niederländische Koautor R. HERINGS zurück: "Keiner der Autoren schlussfolgerte, dass durch geringeren Verbrauch von Antidepressiva die Suizidrate ansteigen wird. Das ist eine Korrelationsstudie, und wir sind uns sehr wohl im Klaren darüber, dass wir aus ihr keine kausalen Schlüsse ziehen können. Solche Korrelationen können nur dazu benutzt werden, um über Hypothesen zu spekulieren".3 Pikant ist dabei, dass HERINGS, der beispielsweise vor einigen Jahren für Janssen-Cilag eine Studie zur "erhöhten Rate von Suizidversuchen nach Unterbrechen der Antipsychotikaeinnahme" durchgeführt hat,4 seine Interessenkonflikte in der aktuellen Korrelationsstudie1 verschweigt.5
[...]
Entgegen anders lautender Darstellungen ist ein Anstieg der Selbstmordrate bei Kindern und Jugendlichen aufgrund der Warnungen vor der Verordnung von Antidepressiva nicht zu erkennen. Entsprechende Meldungen, die der Interessenlage der Anbieter entgegenkommen, haben sich als Fehlinterpretation erwiesen.

http://www.arzneitelegramm.de/html/2008_01/0801003_01.html

Das allergrößte Suizidrisiko besteht wohl eher in der Phase des Absetzens der SSRI.

Mechanismen, die zu der erhöhten Suizidalität unter SSRI führen, sind viele vorstellbar. Der Artikel des KSTA geht ja ganz kurz auf die Problematik ein.


kinomu   2009-05-29  
Mittlerweile ist die Patienteninformation deutlich vorsichtiger:
[...]
Daher sollten die Patienten im Verlauf der Therapie engmaschig auf Verhaltensveränderungen und/oder Anzeichen von Suizidgedanken und Suizidverhalten (Suizidalität) überwacht werden. [...] Auch nach Abbruch der Behandlung müssen die Patienten gut überwacht werden, da die Symptome wieder auftreten können.

Wegen der erwiesenen Komorbidität von Depression mit Zwangsstörung, Panikstörung, posttraumatischer Belastungsstörung und sozialer Phobie, sollten bei der Behandlung von Patienten mit diesen Störungen die gleichen Vorsichtsmassnahmen angewendet werden wie bei der Behandlung von Patienten mit Depression.

Patienten mit vorausgegangenen Selbstmordversuchen oder solche mit Suizidgedanken bei Behandlungsbeginn sind besonders sorgfältig zu überwachen. Eine Meta-Analyse von placebo-kontrollierten klinischen Studien zur Anwendung von Antidepressiva bei Erwachsenen mit psychiatrischen Störungen zeigte für Patienten unter 25 Jahren, die Antidepressiva einnahmen, ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten im Vergleich zu Placebo.

Die Patienten und die sie betreuenden Personen müssen aufmerksam gemacht werden auf das mögliche Auftreten von Suizidalität im Rahmen einer antidepressiven Therapie und auf die dringende Notwendigkeit, den behandelnden Arzt in solchen Fällen aufzusuchen.
Stand der Information: März 2009.








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