Emerging corruption

Vor mir liegt ein Artikel des Wall Street Journals vom 25. September 2006. Darin geht es um den Pharmamarkt in Russland. Mit volkswirtschaftlichen Wachstumsraten von inflationsbereinigt 8,7% (2005) und über $ 9 Milliarden Umsatz für Medikamente (35% Steigerung seit 2004) ist der Markt für die Pharmaindustrie zunehmend interessant. Experten erwarten 2010 Umsätze von $ 15,5 Milliarden.

Seit 2005 gibt es ein staatliches Programm, das armen Familien und Rentnern die Kosten für Medikamente bezahlt. Von den $ 1,4 Milliarden gingen 85% an im Ausland produzierte Arzneimittel. Das Programm soll in den nächsten Jahren auf alle Männer über 65 Jahre, Frauen über 60 Jahre, Schwangere und Kinder ausgeweitet werden. Dazu kommt, dass auch Russland ein demographisches Problem hat und die altersbedingten Gesundheitskosten steigen werden. Novartis bewertet den russischen Pharmamarkt als ähnlich wichtig und interessant, wie China, Indien oder die Türkei als "priority emerging-growth market".

Was nicht im Artikel steht: Russland gehört zu den Staaten mit den grössten Problemen bei Korruption und Geldwäsche - Platz 90 von 146 Ländern in der Liste von Transparency International.
In Russland ist die Korruption nicht Parasit des Systems – sie ist ein tragender Teil. Wie der Moskauer Korruptionsforscher Satarow mit der neuen Studie seines Instituts Indem auf Basis von Umfragen belegt, gilt für die Korruption, was Präsident Putin für die gesamte Wirtschaft versprochen hat: Stabilität im Wachstum. 135.800 Dollar muss ein Unternehmer im Durchschnitt pro Jahr für Schmiergelder ausgeben – ein Anstieg um das 13fache binnen vier Jahren. Insgesamt, so Satarow, zahlt die Wirtschaft 316 Milliarden Dollar pro Jahr für Korruptionszwecke – ein Betrag in Höhe von 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
...
Ärzte präsentieren Unfallopfern im Krankenhaus den feinen Nähfaden oder den haltbareren Gips zum Aufpreis – zu zahlen ist vor der Operation. Ein Monatsgehalt von 200 Dollar macht erfinderisch.
Aus einem ZEIT-Artikel.

Was dies für die ethischen Aspekte im Pharmamarketing
bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Während wir in Deutschland über die Frage diskutieren, wie teuer der Kugelschreiber sein darf, den ein Arzt als Geschenk von der Pharmaindustrie annehmen darf - und dabei grosse Teile der Einflussnahme der Pharmaindustrie auf die Ausgaben im Gesundheitswesen ignorieren - sind dort alle Mittel recht, um von dem Kuchen ein grosses Stück abzukriegen. Auf Kosten der schlecht versorgten Patienten.

Dazu passend eine Studie von 2001 über die Pharmawerbung in russischen Fachzeitschriften: Nur bei 40% der Anzeigen wurde der Wirkstoff genannt, in nur 45% wurde die Indikation angegeben, lediglich 11% der Anzeigen beinhalteten Hinweise zur Sicherheit und zu Kontraindikationen. Die Anzeigen der 6 Unternehmen, die für den Grossteil der Anzeigen verantwortlich waren, hatten weniger Informationen als die der Mitbewerber. Korruption ist durchaus kreativ:
Finally, we observed some promotional methods that we have not seen anywhere else. For example, Searle invited readers to take part in a competition for the best writing about its drugs.
Vlassov V, Mansfield P, Lexchin J, Vlassova A. Do drug advertisements in Russian medical journals provide essential information for safe prescribing? West J Med 2001;174:391–394.
 
[Ausland]
Autor: strappato   2006-10-04   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  








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