Qualität von Anwendungsbeobachtungen Mit Anwendungsbeobachtungen sollen Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener Arzneimittel gesammelt werden. Dass dies notwendig ist, zeigen Beispiele wie der Fall Vioxx. Da erst nach Zulassung, wenn das Medikament von einer grösseren Zahl von Patienten über einen längeren Zeitraum eingenommen wird, sich möglicherweise in den Studien wenig beachtete Nebenwirkungen doch als relevant herausstellen können. Anwendungsbeobachtungen sind aber auch erstklassige Marketing-Instrumente. Nicht nur für neue Medikamente, auch bei älteren Präparate soll dies - bevor der Patentschutz abläuft - zu einem Umsatzkick sorgen. Der Arzt erhält als Untersuchungszentrum ein Honorar und als Gegenleistung stellt er eine voher vereinbarte Anzahl von Patienten auf das (teuere) Präparat um. Selbst die Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) weist in den Empfehlungen zur Durchführung von Anwendungsbeobachtungen nur lapidar daruf hin, dass die Anwendungsbeobachtung nicht ausschliesslich aus Marketinginteressen durchgeführt werden darf. Das Thema ist relevant: Nach einer Information des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sind derzeit über 250 Anwendungsbeobachtungen gemeldet, überwiegend bundesweit und jeweils mit Beteiligung einer grösseren Anzahl von Ärzten. Die Eva Susanne Dietrich, Direktorin des frisch gegründeten Wissenschaftlichen Instituts der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG), hat sich in ihrem vorherigen Job bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Qualität Anwendungsbeobachtungen angesehen und ist zu dem erwarteten Ergebnis gekommen (Dietrich ES, Zierold F. Evaluation of Scientific Quality of Postmarketing Surveillance Studies in Germany. Value in Health 2006;9:A219.):
In ihrem neuen Job für die TK rechnet die Direktorin nun aus, dass jährlich 130.000 Patienten in umfassenden Studien behandelt werden könnten, wenn die von der GKV in den Anwendungsbeobachtungen bezahlten hohen Medikamentenpreise dafür eingesetzt würden. Ihre weitere Forderungen: Die existierenden Qualitätsvorgaben müssen eingehalten werden und Medikamenten-Hersteller, die die Anwendungsbeobachtungen durchführen, dazu verpflichtet werden, ihre Methodik und die gewonnenen Studienergebnisse zu veröffentlichen. Nicht sehr weitgehend, da ist selbst die Bundesregierung schon weiter. Das Gesundheitsreformgesetz sieht eine Änderung des Arzneimittelgesetzes vor: Entschädigungen, die an Ärzte für ihre Beteiligung an Untersuchungen nach Satz 1 geleistet werden, sind nach ihrer Art und Höhe so zu bemessen, dass kein Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arzneimittel entsteht. Sofern beteiligte Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen, sind bei Anzeigen nach Satz 1 auch die Art und die Höhe der an sie geleisteten Entschädigungen anzugeben sowie jeweils eine Ausfertigung der mit ihnen geschlossenen Verträge zu übermitteln; hiervon sind Anzeigen gegenüber den zuständigen Bundesoberbehörden ausgenommen. Ein Widerspruch ist zu erkennen, denn der Aufwand für qualitativ hochwertige Studien muss auch vergütet werden. Wo fängt der Anreiz für die Verschreibung an? Wie kann man dies vom Anreiz abgrenzen, gute Daten zu liefern? Nach meiner Meinung ist das Entscheidende, die Anwendungsbeobachungen von den Aktivitäten des Pharmaaussendienstes und des Marketings zu trennen. Nur wenn der Arzt angemesssene Ansprechpartner hat, kann sich das Image dieser Studien verbessern. Nicht alle Ärzte sind gleichermassen für die wissenschaftliche Arbeit berufen. Engagierte Ärzte, die Interesse an der aktiven Mitarbeit an Studien haben, meiden Anwendungsbeobachtungen - aus den oben genannten Qualitätsdefiziten. Weder eine Offenlegung der Vergütung, noch eine Veröffentlichungspflicht der Ergebnisse (wo überhaupt?) motivieren die "guten" Ärzte, zukünftig ihre Zeit und Patienten in solche Beobachtungsstudien zu stecken. [Pharmaindustrie]
gn8 2006-11-08
Soll der Patient ein Honorar bekommen? Das widerspricht dem Ziel der Studien, nämlich die Daten in der unverzerrten klinischen Praxis zu sammeln.
Interessant, dass nur ein Honorar eine vorstellbare Motivation zu sein scheint. Das gilt nach meiner Erfahrung aber vor allem bei Ärzten und Pharmabusiness, Patienten können sich da durchaus noch viele andere "Motivationsmittel" vorstellen. Wir leben noch nicht in Indien, wo Patienten ihre Nieren zur Spende verkaufen (an Tarnfirmen durchaus auch bei uns aktiver Zentralen). Aber das ist nicht der eigentliche Punkt, nur eine kleine Polemik am Rande, mir geht es um die Transparenz. Nach meiner mehrjährigen Erfahrung in den Minenfeldern der Gesundheitsorganisation kann ich mir nur noch einen Weg aus dem mafiösen Desaster vorstellen: Transparenz bis zum Kot***. Strafgesetzbuch ist fast erschöpft, Ethik ist abgefressen, Berufsständisches Recht ist zur Garnitur verkommen, die PR gibt den Rest.
Da sind die Sitten in Deutschland auch besonders verlottert. Wir machen ja internationale Projekte. In Deutschland bekommt man ohne finanzielle Honorierung von keinem Professor, Oberarzt oder niedergelassenen Mediziner auch nur einen Händedruck. Das läuft in anderen Ländern nicht so extrem.
Prinzipiell hast du mit der Transparenz recht. Aber da müsste mal die Bundesgesundheitsministerin mit anfangen. Beispiel: Warum werden denn die schriftlichen Vorabstatements der Verbände und Experten und die Protokolle des Hearings zum Reformgesetz im Gesundheitsausschuss nicht im Internet veröffentlicht?
Na ja, ich würde sie nicht veröffentlichen weil weitgehend weinerliches Getue ohne auch nur einen Ansatz von Verbesserungsvorschlag. Sie wird es wohl deshalb nicht tun, weil die Kritik vernichtend ist. Aber das wiederum lässt mich hoffen: bin heute auf 450 Metern Geschäftsstraße an drei Apotheken vorbei gegangen. Alle hatten Protestplakate im Fenster (Gesundheitspolitik die krank macht - oder so ähnlich). Wenn soviele Apotheker jammern muss was dran sein an den Entwürfen. Übrigens solltest Du einen Abgeordneten haben, der Dir die Protokolle bzw. Anlagen zeigt. Die einschlägigen Verbände haben die Papiere jedenfalls, sind auch nicht geheim klassifiziert.
Klar habe ich einen Abgeordneten. War ja lange genug bei einem beschäftigt. Nur zur Transparenz gehört für mich auch, dass diese Sachen problemlos und offen einsehbar sind.
Einverstanden, gehört für mich auch dazu. Ich werde danach fragen. Aber zurück zum Motivationsmittel für Ärzte: die gehören auch zur Transparenzforderung dazu. Und da mal gerne einer nicht so ganz unheimlich genau: deshalb müssen beide Seiten veröffentlichen. Bei BigPhrama vergleiche ich dann die Summen mit den entsprechenden Positionen in den Bilanzen, korreliere mit F&E und überhaupt. Und bei den Ärzten bekomme ich dann spätestens ab Professor bestimmt unheimlich Lust das zu verrechnen. Ehe Du mir Neid unterstellst: von mir aus kann es verbrannt werden. Bin sowieso gespannt, wer bei Transparenz überhaupt sich noch trauen würde. Die größten Gangster sind bestimmt auch die größten Feiglinge.
>> Kommentieren hockeystick 2006-11-09 -- [Zusatz von strappato] hier >> Kommentieren |
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