Doping und die Pharmaindustrie (Update)

Die Doping-Diskussion droht immer wieder in den Medien in Relativierungen abzudriften. Wie etwa: morgens der Kaffee zum Wachmachen sei doch auch Doping, erlaubtes Doping erhöhe die Chancengleichheit oder Doping sei eh ein Gesellschaftsproblem. Das Fehlen einer einfachen Definition und die für Aussenstehende willkürlich anmutende pdf-DateiWADA Liste der verbotenen Substanzen sind für das Finden des eigenen Standpunkts nicht gerade hilfreich.

Ich meine statt "Doping" sollte man es als das benennen, was es ist: Arzneimittelmissbrauch. Nämlich der

zweckentfremdete Gebrauch von Arzneimitteln in überhöhten Dosen ohne medizinische Notwendigkeit,
Kovar KA. Medikamente mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential: Einteilungen und Wirkungen. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (Hrsg.) Medikamentenabhängigkeit, Hamm 1992.

die übermäßige regelmäßige oder sporadische Verwendung eines Arzneimittels, das vom medizinischen Standpunkt nicht erforderlich ist,
Sellerberg U. Stoff aus der Apotheke – Arzneimittelmissbrauch, Arzneimittelsucht. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), ABDA, Eschborn 2001.

die beabsichtigte, ständige oder sporadische übermäßige Verwendung von Arzneimitteln mit körperlichen oder psychologischen Schäden als Folge
Europäischen Union Richtlinie 2001/83/EG

durch Athleten.

Dann würde die Öffentlichkeit nämlich auch die Pharmaindustrie als Hersteller und Vertreiber dieser Arzneimittel zur Verantwortung ziehen. Beispielsweise das Unternehmen Amgen, Erfinder des Epo, das alleine $ 6,6 Milliarden Umsatz mit den beiden Epo-Produkten Epogen® und Aranesp® macht. Insgesamt ein Markt mit einem Volumen von weltweit $ 11,8 Millarden, jedoch wird nur ein kleiner Teil des Epo-Umsatzes auch von den Ärzten indikationsgerecht verordnet. Und selbst diese Menge entspricht nicht dem eigentlichen Bedarf, sondern wird unethisch vermarktet - zum Schaden von Patienten.

Welches Image hätte ein Automobilhersteller, dessen Produkte zum Grossteil oder bevorzugt als Autobomben enden? Selbst wenn man den Vergleich unangebracht findet - der Aufwand den systematischen Arzneimittelmissbrauch durch Sportler zu verhindern und die mediale Anteilnahme daran sind vergleichbar.

Es mutet schizophren an, wenn durch Doping das Ende des populären Radsports droht, aber Amgen das Radrennen
Tour of California als Hauptsponsor ohne negative Folgen für das Unternehmen in der Öffentlichkeit unterstützen kann.

Solange der Druck auf die Pharmakonzerne nicht erhöht wird, ist der Kampf gegen Doping nicht zu gewinnen.

--
Update:
Rainer Hank setzt in der FAZ das Doping im Sport in den gesellschaftlichen Kontext und scheitert dadurch wie so viele Kommentatoren an einer nachvollziehbaren Problembeschreibung. Doping scheint zur gesellschaftlichen Reflektion einzuladen, was jedoch die Relevanz des Profisports im Leben masslos überzeichnet.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2007-07-20   Link   (7 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2007-07-21  
Noch ein Beispiel: Das Unternehmen AstraZeneca, wichtiger Umsatzbringer Asthmapräparate, sponsert Sportler mit Asthma, wie die Ausnahmekanutin Birgit Fischer. Diese Medikamente sind auf der Dopingliste und werden auch im Radsport zur Leisungssteigerung missbraucht. Was dazu geführt hat, dass sich viele Sportler von Ärzten zu Asthmatikern erklären lassen. So durften Jan Ullrich, Sandra Völker, Dennis Rodmann oder Jackie Joyner-Kersee als Asthmageplagte diese Mittel im begrenzten Rahmen einsetzen. Allein 16,7 % der Athleten, die 1996 an den Olympischen Spielen in Atlanta teilnahmen, gaben an, unter Asthma zu leiden.


galapagos   2007-07-21  
sensationelle geschichte! würde gerne noch beispiele lesen...waren da nicht die betablocker auch mal dabei?

ps: fällt zwar nicht unter eigentliches doping sondern eher unter skurillen mißbrauch: ballonfahrer lieben desmopressin, da es bekanntlich keine dixi's am himmel gibt!


hockeystick   2007-07-24  
Die Ärzte-Zeitung hat einen Beitrag über die Asthmatikerschwemme im Radsport:
Es gibt Radrennen, bei denen bis zu 75 Prozent der beteiligten Profis Ausnahmegenehmigungen für die Einnahme von Asthmamedikamenten vorlegen.



strappato   2007-07-24  
Das wollte ich auch gerade schreiben. Interessant fand ich diesen Absatz:
Auch die deutsche Mountainbike-Fahrerin Ivonne Kraft fiel in diesem Jahr mit einem positiven Befund auf, der auf den Konsum eines Asthmapräparats, in diesem Fall Fenoterol, zurückging. Die Erklärung der Nationalfahrerin: Ihre Mutter habe den Inhaler nicht geöffnet bekommen und daher damit heftig auf den Tisch geklopft. Die Sprühflasche sei explodiert, dadurch sei eine hohe Dosis entwichen, von der sie selbst etwas eingeatmet habe. Das Bundessportgericht des Bundes Deutscher Radfahrer erteilte der Dettenheimerin daraufhin einen Verweis.

Da schüttelt man nur noch den Kopf.


hockeystick   2007-07-24  
Lass dich nicht abhalten. Die Story mit der Sprühflasche erinnert mich an Unfallberichte, die in Chirurgenkreisen kolportiert werden, wenn es um die Frage geht, wie die Cola-Flasche in den Enddarm gelangt ist.


strappato   2007-07-25  
Nett ist ein Kommentar im SPON-Forum:
Oder, jede Etappe erhält einen Namenssponsor aus der Pharmabranche (L'Alp d'Huez wurde Ihnen präsentiert von Pfizer! Wir können länger!)...



strappato   2007-07-25  
Nett ist ein Kommentar im SPON-Forum:
Oder, jede Etappe erhält einen Namenssponsor aus der Pharmabranche (L'Alp d'Huez wurde Ihnen präsentiert von Pfizer! Wir können länger!)...









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