Medizinblogger - eine besondere Art

Bloggen über Gesundheit und Medizin ist ein schweres Geschäft - zum Leidwesen einiger Blogger.

Neben den sprachlichen Anforderungen kommen noch fachliche und nicht zuletzt ethische hinzu. Dies sollte sich bei näherer Betrachtung erfolgreicher Angebote niederschlagen.

Für die englischsprachigen Medizinblogs kann dies aus einer Studie gefolgert werden, die kroatische Wissenschaftler im Journal of Medical Internet Research veröffentlicht haben. Die Forscher um Ivor Kovic befragten 80 Blogger, die auf englisch über Medizin bloggen. Bei einer Suche in Technorati entdeckten die Forscher, dass nur 5713 Blogs das Tag "Medicine" hatten und eine kurze Überprüfung ergab, dass bei einigen dies nicht mal entfernt mit dem Inhalt übereinstimmte. Daher sind in der Studie als Grundgesamtheit Blogs ausgewählt worden, die in Medgadget für die Medical Weblog Awards nominiert waren, die im handverlesenen Verzeichnis Medlogs oder bei Trusted.MD geführt sind oder Eingang in das Yahoo! Diretory gefunden haben. Also eine Auswahl, die Qualität versprach und reine copy-and-paste-Kommerzblogs oder SEO-Blogs, wie sie bei Gesundheitsthemen oft zu finden sind, ausschloss. Aber auch hier war die Anzahl von Blogleichen hoch. 46% der Blogs waren nicht mehr vorhanden oder inaktiv und das letzte Posting lag 1-2 Jahre zurück.

Ein paar Highlights:
  • Die Blogger sind relativ alt im Verleich zu den bekannten Blogger-Statistiken. 78% sind über 30 Jahre alt.
  • Sie sind gut ausgebildet. 71% haben einen Master- oder Doktorabschluss, 34% sind Ärzte.
  • Sie sind Fachleute. 70% arbeiten im Gesundheitswesen oder Pharmazie, 54% haben schon wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht.
  • Sie bloggen als Hobby. 80% bevorzugen es von zuhause zu bloggen, Geldverdienen mit Blogs oder Kontaktpflege spielt als Ziel kaum eine Rolle (soviel zum beklagten Thema Vernetzung), 25% bloggen unter einem Pseudonym.
  • Die Blogs haben impact. Auf 66% sind andere Medien Aufmerksam geworden.
  • Trotz des fachlichen Hintergrunds benötigt das Blog viel Zeit. Bei 42% sind dies 1-5 Stunden in der Woche, bei 36% sogar mehr als 6 Stunden pro Woche.
  • Sie sind "Überzeugungstäter". Hauptmotivation ist Wissen zu teilen (74%), andere zum Umdenken zu bewegen (56%) und andere zum Handeln zu bringen (48%).
  • Zum in Deutschland beliebten Thema "Blogger vs. Journalisten" - Sie behandeln Informationen besser als Journalisten. 91% verlinken Originalquellen oft, 59% investieren oft extra Zeit zum Fach-Checking, 51% zitieren oft Personen oder Medien, 29% korregieren oft mögliche Fehler direkt. Wenn man die Antworten für "manchmal" dazunimmt, sind es jeweils über 90%.
Interessanterweise war nur bei 59% der Blogs in der Grundgesamtheit eine E-Mail-Adresse oder ein Kontaktformular angegeben. Die Möglichkeit zum Kommentieren wird wohl von einem grossen Teil der Medizinblogger als ausreichend für die Kommunikation mit den Lesern angesehen.

Die Autoren stellten fest, dass sich die befragten Medizinblogger, wenn man es mit anderen wissenschaftlichen Blogger-Untersuchungen vergleicht, sehr von anderen Bloggern bei der Motivation fürs Bloggen und dem "impact" des Blogs ausserhalb der Blogosphäre unterscheiden.

Die Studie bestärkt meine Meinung, dass Bloggen über Medizin und Gesundheit ein hartes Stück Arbeit ist. Sozusagen die Elite der Blogger ;-)

Wenn ich meinen Kommentar in der oben verlinkten Diskussion beim Bloggott nochmals zitiere:
Der content muss hochwertig/unique sein. Immerhin müssen “Gesundheitsblogger” sich gegen Unmengen von täglichen Gesundheits/Medizininformationen behaupten - von Apothekenblättchen bis focus-Online. Betroffene brauchen nur den google-news Service zu abonnieren, und erfahren alles relevante zeitnah. Da muss ein Blog schon einen ziemlichen Mehrwert bieten. Kann sehr anspruchsvoll sein, von den ethischen Anforderungen an die Güte der Information mal abgesehen. Z.B. kann eine vorschnelle oder falsche Interpretation von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen im schlechtesten Fall sogar Schaden anrichten.

Die Ergebnisse als SlideShare-Präsentation.

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Aus einem anderen Blickwinkel: Für die Pharmaindustrie bedeutet dies, dass sie medizinische Blogs ernst nehmen muss. Das fachliche Wissen als auch die Motivation und die Vorgehensweise sprechen dafür, dass Medizinblogger im Gegensatz zu Masse der Medizinjournalisten nicht mit irreführenden Pressemitteilungen und aufgesexten Studiendaten überzeugt werden können.
 
[Internet]
Autor: strappato   2008-09-30   Link   (9 KommentareIhr Kommentar  


elmar   2008-10-01  
manueller Trackback

Interessanter Artikel, den ich auch zum Anlass genommen habe, etwas zum Thema Medizin-Blogs zu schreiben. Deinen Abschlusssatz halte ich jedoch für ein klein wenig optimistisch.


hockeystick   2008-10-01  
Liegt es am Barnum-Effekt? Ungefähr 79 Prozent der obigen Aussagen über Medizinblogger kann ich als auf meine eigene Person zutreffende Beschreibung akzeptieren.


strappato   2008-10-01  
Ich bin auch irgendwie der Durchschnitts-Medizinblogger.


plazebo   2008-10-01  
ich nicht, ich bin Journalist.


strappato   2008-10-01  
Muss ja Minderheiten geben.


hockeystick   2008-10-01  
Journalist... Wenn ich solche Schlagzeilen lese, bleibt mir immer wieder aufs neue die Spucke weg. Helwi Braunmiller heißt die Dame.

Man könnte den Inhalt dieser Studie (die sich im Original eher sachlich liest) auch in einem journalistischen Kontext präsentieren. Beispielsweise als weitere mögliche Erklärung dafür, warum Statine die einzigen Cholesterinsenker sind, die bei bestimmten Patientengruppen überhaupt einen begrenzten Nutzen haben.


plazebo   2008-10-01  
keine Sippenhaft, bitte ;-).


hockeystick   2008-10-01  
Die Motivationslage ist halt vielfach eine andere, als bei den Bloggern:
... zögerte sie keine Sekunde, als sie 2002 das Angebot bekam, für FIT FOR FUN Online zu arbeiten und wieder in Alpennähe zu ziehen.



chefarztfrau   2008-10-01  
Mehrwert
"Da muss ein Blog schon einen ziemlichen Mehrwert bieten. Kann sehr anspruchsvoll sein."

Das kommt auf den Anspruch an. Ich sehe den Mehrwert in der Möglichkeit zur Subjektivität. Abseits von Vermarktungsinteressen lässt sich frei sprechen/schreiben. Persönlich betreibe ich quasi eine "Unter-Blog-Sektion", in der ich mich sporadisch mit einer speziellen Erkrankung beschäftige. Das ist nicht Massenkombatibel ... eine Art Glosse, Link-Farm und Kommentarabwurfstelle
http://chefarztfrau.de/?page_id=171

Übrigens findet der Großteil der wirklich interessanten Diskussionen zu spezifischen Gesundheitstehmen immer noch in geschlossenen privaten Foren und Newsgroups statt. Als reine News-Sammelstelle sind Gesundheits-Blogs definitiv nur Dutzendware.








Stationäre Aufnahme












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