Deutsche Medien ignorieren Wissenschaftsskandal (Update)

Weit über eine Woche ist vergangen, seit die internationale Presse in breiter Front über den vielleicht spektakulärsten und folgenreichsten Wissenschaftsskandal der vergangenen Jahrzehnte berichtet hat.

Nicht so die deutschsprachigen Medien. Außer im Deutschen Ärzteblatt fand sich lediglich in der Wiener Zeitung ein Bericht.

Die Autorin dieses Artikels zeigt sich denn auch in einem Blogkommentar verwundert:
Was ich absolut nicht verstehe, ist dagegen das Schweigen sämtlicher Agenturen zu dem, worüber sämtliche US-Medien von Rang und Namen seit vergangener Woche berichtet haben. Derartiges ist mir in den bald 40 Jahren meiner journalistischen Tätigkeit noch nie untergekommen und mir fehlt jeder Erklärungsansatz dafür.

Weiterhin werden in Deutschland täglich vermutlich tausende von Patienten postoperativ auf der Grundlage von Leitlinien mit teuren Medikamenten wie Celebrex® behandelt, deren Nutzen-Risiko-Profil nicht zuletzt anhand von frei erfundenen Studiendaten ermittelt wurde.
--

Update: Immer noch herrscht Funkstille in Deutschland, nur die Wiener Zeitung legt in ihrer Samstagsausgabe noch einmal nach.
Indessen liegen der "Wiener Zeitung" seit Erscheinen des Erstartikels über den Wissenschaftsbetrug vor einer Woche Patientenberichte vor, die einen hinsichtlich der Nicht- und Nebenwirkungen das Gruseln lehren könnten. Denn auch in Österreich verläuft das Schmerzmanagement nach den Richtlinien, die Reuben/Pfizer vorgegeben haben.

An der Sprachbarriere alleine kann es nicht liegen. "Le Monde" bringt das Thema morgen angemessen illustriert und in großer Aufmachung.
 
[Medien]
Autor: hockeystick   2009-03-20   Link   (7 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2009-03-20  
Ich habe am Donnerstag vergangener Woche ziemlich schnell das Blogposting verfasst, da ich davon ausging, dass es ein grosses Thema wird und Details woanders zu finden sein werden. Stattdessen Stille.


hockeystick   2009-03-20  
Ein paar Kostproben aus den oben verlinkten Leitlinien zur Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen (Auswahl):
Oxycodon liegt in retardierter Form vor und wurde in randomisierten Studien zur postoperativen Analgesie nach ambulanten Eingriffen überprüft (LoE: 1b) (Reuben et al., 1999; Reuben et al., 2002b).

oder

Die Thrombozytenfunktion wird durch COX-2 Hemmer nicht beeinträchtigt. Auch die Knochenheilung scheint durch Coxibe nicht beeinträchtigt zu werden (LoE: 1b) (Reuben und Ekman, 2005).

oder

Pregabalin scheint hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkung dem Gabapentin postoperativ ähnlich zu sein (Reuben et al., 2006).

oder

Bei der Entnahme von Knochenspänen konnten durch lokal appliziertes Morphin geringere lokale Schmerzen und ein geringerer Analgetikabedarf im Vergleich zu Placebo und i.m. Morphin festgestellt werden (LoE: 1b) (Reuben et al., 2001).

oder

Teilweise wird eine präoperative Gabe von Nichtopioiden befürwortet (LoE: 1b) (Reuben et al., 2002a)

oder

Untersuchungungen von Reuben et al. (1999 und 2002) zur Wirksamkeit von retardiertem oralem Oxycodon (präoperativ verabreicht) bei ambulanten gynäkologischen bzw. orthopädischen Operationen weisen auf Vorteile bezüglich des postoperativen Schmerzniveaus, von Nebenwirkungen und der Entlassungszeit hin (LoE: 1b) (Reuben et al., 1999; Reuben et al, 2002b).

oder

Bei der retrospektiven Untersuchung von Reuben et al. (2000) zeigten sich weniger CRPS-Rezidive durch eine postoperative Sympathikusblockade (LoE: 3b) (Reuben et al., 2000).



strappato   2009-03-20  
Wer hat die "Studien" gesponsert? Purdue (in Deutschland Mundipharma)? Das off-label Marketing und der mangelnde Einsatz, Missbrauch des hochpotenten Opioids zu verhindern, hat in den USA Manager des Unternehmens fast eine Haftstrafe eingebracht.
In May, a holding company affiliated with Purdue Pharma pleaded guilty to a felony charge that it had fraudulently claimed to doctors and patients that OxyContin would cause less abuse and addiction than competing short-acting narcotics like Percocet and Vicodin.



sil   2009-03-20  
Habe ich da etwas falsch verstanden?
Es geht doch hier hauptsächlich um die COX2-Hemmer (Coxibe).
Das sind keine Opiode.
Die Firmen sind Pfizer und Merck (Vioxx, Celebrex, Lyrica).
Das Schweigen im Walde ist hochgradig übel.
Selbst in den Blogs ist kaum was los.


strappato   2009-03-20  
Es geht nicht nur um COX-2-Hemmer. Die sind durch VIOXX natürlich besonders aufgefallen.


sil   2009-03-20  
Ich lese mich gerade noch in das Thema rein. Geht ja (fast) nur hier.
Sehr interessant und ziemlich erschreckend.
Mit OxyContin und Reuben habe ich jetzt auch noch Sachen gefunden, danke.


mager   2009-03-29  
Liste der Reuben-Studien
http://www.aaeditor.org/HWP/Retraction.Notice.pdf








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