Nur wenig zusätzliche Tote

Medizinprofessoren verbindet mit ihren niedergelassenen Kollegen vor allem eines: Sie sind notorisch unterbezahlt.

Während sie ihre karge Besoldung durch die Behandlung von Privatpatienten bekanntlich nur unter großen Mühen und kaum nennenswert aufbessern können, erlaubt es die Tätigkeit als Meinungsbildner für die Pharmaindustrie, mit überschaubarem Zeitaufwand und ohne die Begegnung mit unappetitlichen Körpersäften das Familieneinkommen spürbar zu korrigieren.

Auf diese Weise reicht das Geld eben nicht nur für das Notwendigste, sondern es ist vielleicht auch mal ein Kinobesuch für die Kinder drin oder ein Selbstbau-Car-Port vom Baumarkt, damit Mausis Einkaufs-Cayenne nicht im Freien stehen muss, für den in der Doppelgarage vor dem bescheidenen Wochenenddomizil in Garmisch kein Platz mehr ist.

Meist agieren Meinungsbildner unauffällig und weitgehend im Verborgenen. Den gelegentlichen Spott der Kollegen blenden sie aus. Es machen ja sowieso fast alle mit bei diesem Spiel. Was ist schon dabei, die Umsatzzahlen der einen oder anderen Arznei ein wenig anzukurbeln? In Wahrheit nehmen sich die ganzen Mittelchen doch sowieso nicht viel. Und, bei Lichte betrachtet, ist das Leben der Patienten so oder so von endlicher Dauer.

Leicht verdientes Geld also. Und doch hat die Tätigkeit ihre Schattenseiten. Ein leicht mulmiges Gefühl könnte auch einen hartgesottenen Meinungsbildner überkommen, wenn ein Medikament, das er gegen Bezahlung jahrelang in Vorträgen und Pressestatements angepriesen hat, wegen tödlicher Nebenwirkungen ins Gerede kommt. Vioxx® war ein solcher Fall, unter dem Strich stehen vermutlich mehrere zehntausend Todesopfer. Aber letzten Endes, so kann man das Problem als Meinungsbildner vielleicht verarbeiten, letzten Endes ist ja doch wohl jeder Arzt selbst dafür verantwortlich, was er seinen Patienten verschreibt. Oder etwa nicht?

In Deckung gehen und abwarten wäre also die Strategie der Wahl bei solchen Krisen. Doch so einfach ist es nicht: Genau dann, wenn das Wetter für ein Präparat rauer wird, gerade dann müssen die Experten raus und in die Bütt. Die Botschaft ist immer die gleiche: Alles nicht so schlimm. Zu kleine Fallzahlen. Zufallsbefund. Warnsignale werden überbewertet. Bloß nicht die Patienten verunsichern. Weiter verschreiben, bis die nächste Studie in fünf Jahren beendet ist. Vielleicht weiß man dann mehr. Vielleicht auch erst in zehn Jahren.

Und jetzt zu etwas völlig anderem: Prof. Hermann Haller von der Med. Hochschule Hannover und eine Gruppe von Fachkollegen erklären, warum sich Ärzte und Patienten durch die Verfünffachung der kardiovaskulären Todesfälle unter dem Blutdrucksenker Olmesartan gegenüber Placebo (siehe auch hier) in einer von Haller geleiteten herstellerfinanzierten Studie auf gar keinen Fall verunsichern lassen sollten:
Haller maintained that the number of CV deaths "was few"—15 in the olmesartan arm compared with three in the placebo group—considering that there were almost 5000 participants in the trial and it lasted nearly four years.

 
[Ethik & Monetik]
Autor: hockeystick   2010-06-24   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2010-06-25  
Sein Interessenkonfliktstatement unter dem verlinkten Artikel fällt bemerkenswert kurz aus ("Haller has received honoraria from Daiichi-Sankyo."). An anderer Stelle liest es sich so:
Dr. Haller has indicated that he received grants for clinical research from Daiichi Sankyo, Inc., Novartis Pharmaceuticals Corporation, Bayer HealthCare Pharmaceuticals, Roche Laboratories Inc., and sanofi-aventis.

He received grants for educational activities from Novartis Pharmaceuticals Corporation, Roche Laboratories Inc., Daiichi Sankyo, Inc., and AstraZeneca Pharmaceuticals LP.

Dr Haller has indicated that he will discuss the off-label use of approved products.
oder zur Abwechslung auch mal so:
Dr. Haller has indicated to Physician’s Weekly that he has served as a consultant for Daiichi Sankyo, Novartis, Genzyme, Roche, Bayer-Schering, sanofi-aventis, Noxxon, MedWiss, Phenos, and MSD. He has also received honoraria for speakers/chairmanship at meetings from Amgen, AstraZeneca, Recordati, Menarini, and Pfizer.

(alle Erklärungen wurden dieses Jahr publiziert)


hockeystick   2010-06-26  
Ulrich Laufs, der in dem oben beschriebenen Geschäft in Sachen Ezetimib unterwegs ist, inzwischen als Professor (siehe den oben verlinkten Artikel), hat übrigens diese Woche in der scheinredaktionellen Schleichwerberubrik "Pharma" im "Deutschen Ärzteblatt" einen Auftritt:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=77239


hockeystick   2010-06-26  
Diese Angelika Bischoff schreibt interessanterweise nicht nur speichelleckende PR-Stücke, bei denen sie den bezahlten Experten ehrfürchtig an den Lippen hängt, sondern sie befüllt auch andere Rubriken des Blattes.

Eigentlich wäre dieser ganze abstoßende und übelriechende Sumpf im offiziellen Organ der Bundesärztekammer mal einen eigenen Artikel wert.


hockeystick   2010-06-26  
Diese ganze Rubrik, was soll das presserechtlich eigentlich sein? Anzeige steht nicht drüber, also muss es ja wohl redaktionell sein. Das Layout ist auch wie sonst. Dann kann ja auch kein Geld geflossen sein. Und dann muss Frau Bischoff selbst ja auch vom Ärzteblatt bezahlt werden. Aber mein Bauchgefühl sagt mir bei diesen Artikeln jedes mal, dass da wohl eine größere Summe Geld in Richtung Ärzteblatt den Besitzer gewechselt hat. Sehr merkwürdige Sache, das.

Wenn es eine redaktionelle Auswahl sein soll, verwundert es schon ein wenig, dass ausgerechnet Ezetimib diese Woche gehyped wird. Logischer wäre noch ein Loblied auf ein aktuelles Solarautoprojekt von BP gewesen.


siyani   2010-06-26  
Der gewählte Titel der MSD-Veranstaltung passt perfekt, in Österreich bekannt auch als seichte Unterhaltung sowie Trost und Rat: http://de.wikipedia.org/wiki/Was_gibt_es_Neues%3F_(Hörfunksendung)








Stationäre Aufnahme












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