Pricing und Umsatzmaximierung

Ein Nachtrag zur Avastin-LucentisStory und ein Einblick in die Preisgestaltung von Arzneimitteln.

Es gibt zwei verwandte Wirkstoffe, die unter den Namen Lucentis® und Avastin® auf dem Markt sind. Beide gehören zur Gruppe der VEGF-Antagonisten, sind rekombinante monoklonale Antikörper und werden von dem Unternehmen Genentech hergestellt. Ranibizumab (Lucentis®) unterscheidet sich von Bevacizumab (Avastin®) lediglich durch sechs Aminosäuren, fünf an der "Heavy Chain" des Moleküls, eines an der "Light chain". Lucentis® ist von Genentech und Novartis gemeinsam entwickelt worden, Avastin® von Genentech und wird von Roche ausserhalb der USA vermarktet. Während 100 mg des einen Wirkstoffes in Deutschland 444,16 Euro (Apothekenverkaufspreis) kosten, muss für 3 mg des anderen 1523,26 Euro auf den Tresen des Apothekers gelegt werden.

Man kann davon ausgehen, dass die Entwicklungskosten nicht den Preisunterschied rechtfertigen. Wieso kostet das eine Medikament das Mehrfache des anderen?

Also: Wie wird der Preis gemacht? Diese "Wissenschaft" nennt man Pricing und ist genauso essentiell, wie die Zulassung eines Wirkstoffes. Ziel ist immer der "premium price". Um diesen zu erreichen, werden erstmal die verfügbaren Therapien unter die Lupe genommen. Welchen Mehrwert muss das neue Präparat bringen, um einen höheren Preis zu erzielen? Dies ist Gegenstand von Marktuntersuchungen bei KOL (key opinion leader) aus Klinik, Krankenversicherungenen und allen, die in den jeweiligen Ländern mit der Bezahlung befasst sind. Es geht einzig darum, die Schmerzgrenze auszuloten. Dabei gilt es Preis und Akzeptanz so in Einklang zu bringen, dass das Maximum beim Umsatz herausgeholt wird.

Für Avastin® ist "Comparator" bei der Darmkrebsbehandlung in Kombination mit einer Chemotherapie das Konkurrenzpräparat Cetuximab (Erbitux®). Während in Studien die Überlebenszeit durch Avastin® um 5 Monate gesteigert werden konnte, war bei Erbitux® der Lebenszeitgewinn geringer, lediglich bei der Zeit des progressionsfreien Überlebens um 2,5 Monate höher. Wie es aussieht haben die Preisstudien ergeben, dass dies einen Zuschlag von 50% gegenüber Erbitux® rechtfertigt und die Kosten der Therapie um mehr als 20.000 Euro erhöht.

Für Lucentis® gibt es keine Alternative, es ist das erste zugelassene Präparat, das eine Verbesserung der Sehschärfe bei Patienten mit alterabhängiger Makuladegeneration (AMD) bringt. Bei 6 Behandlungen im Jahr würden rund 10.000 Euro, insgesamt über 2 Jahre 20.000 Euro anfallen. Was die mutmassliche Schmerzgrenze bei den befragten Experten war.

Danach folgt die Launch-Strategie. In fast allen Gesundheitssystemen ausser den USA, Deutschland und UK gibt es Preiskontrollen bei Medikamenten. Teils direkt, teils über Erstattungsanteile. Die Preise und die Erstattung müssen mit der Regierungsbehörden oder Krankenversicherungen ausgehandelt werden. Meist werden dabei andere Länder als Referenz herangezogen. Die Reihenfolge der Verhandlungen entscheidet über den zu erwartenden Gesamtumsatz. Dabei darf es wiederum auch keinen zu grossen Preisunterschiede geben, da dann das Medikament für Parallelimporte interessant wird. Ausserdem muss der Hersteller immer die pharmakoökonomische Kosten-Nutzen-Bewertung im Auge haben, die z.B. in Grossbritannien bisher die Bezahlung von Avatistin® durch den
staatlichen NHS bei der Darmkrebsbehandlung verhindert hat und in anderen Gesundheitssystemen, wenn nicht für die Erstattung, dann zumindest als Argument bei den Preisverhandlungen von Bedeutung ist. Die Unternehmen verzichten lieber auf die Erstattung in kleineren Märkten, wenn dies negative Folgen für den Preis auf relevanteren Märkten hat.

Die Preisgestaltung hängt in einem international so komplexen Feld wie dem Gesundheitswesen von vielen Faktoren ab. Ziel ist die Umsatzmaximierung - die Entwicklungskosten spielen eine eher untergeordnete Rolle. Nach den Berichten hat Novartis den gesetzlichen Krankenkassen angeboten, alle Kosten über 315 Millionen Euro im Jahr zu übernehmen. Was einen Rabatt von mindestens 50%-70% bedeuten, je nach Anzahl der Verschreibungen, jedoch den nominalen Preis aufrechterhalten - und den Einstieg für die Verhandlungen in anderen Ländern nicht verschlechtern würde.



--
Um noch einmal die Dimensionen zu zeigen: Alleine in Deutschland rechnen die Pessimisten unter den Experten mit Kosten von bis zu 7 Milliarden Euro jährlich für die Behandlung mit Lucentis®. Das würde den Krankenkassenbeitrag um 0,7 Prozentpunkte erhöhen. Wenn Novartis mit dem Preis Erfolg hat, wird Lucentis zum Megablockbuster, der selbst das zur Zeit weltweit umsatzstärkste Medikament Lipitor®/Sortis® von Pfizer (12,9 Milliarden Euro Jahresumsatz) in den Schatten stellt.
 
[Avastin - Lucentis]
Autor: strappato   2007-09-15   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2007-09-16  
Lucentis dürfte damit Druckertinte als die teuerste Flüssigkeit der Welt (nach Beamtenschweiß) abgelöst haben.


mager   2007-09-17  
Das Austesten der Schmerzgrenze ist sehr gut beschrieben. Es ist im Moment en vogue. Ein weiteres schönes Beispiel ist Myozyme (a-Glucosidase) gegen M. Pompe: ein Medikament was bei Kindern wirkt wird von der EMEA trotz fehlender Wirksamkeitsbeweise auch für Erwachsene zugelassen. Kostenpunkt für eine alle 2 Wochen notwenige Infusion beim 70kg Erwachsenen: 19.000 EUR!

Martin


strappato   2007-09-17  
Bei Orphan Drugs gibt es keine Schmerzgrenze.


mager   2007-09-17  
Aber (noch) eine Schamgrenze.


mager   2007-09-21  
Neuer Preisrekord?
Habe gerade im Medical Letter über Eculizumab (Soliris) gelesen. Hilft bei der seltenen paroxysmalen nächtl. Hämoglobinurie und kostet schlappe 35.000US$ für 4 Wochen. Behandlungszeitraum: lebenslänglich!
Bald auch in ihrer Apotheke - danke EMEA-Zulassung als orphan drug.

Martin


strappato   2007-09-21  
Na, wie war das mit der Schamgrenze?

Für Soliris wurde von 6 Kliniken 2007 fallbezogene Entgelte nach den "Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (NUB) beantragt. Hat Status 1 bekommen. Kosten in Deutschland: Etwa 36.000 Euro initial und 14.000 Euro alle 2 Wochen.








Stationäre Aufnahme












Letzte Beiträge und Kommentare /  Frohe Weihnachten  (strappato)  /  OH!!!  (kelef)  /  Frohe Weihnachten  (strappato)  /  Subjektive Wahrnehmung  (casadelmar)  /  Sehr interessante Sichtweise,...  (akademischer ghostwriter)  
Zum Kommentieren bitte einloggen

Metainfos über das blog. Kontakt: strappato.

search noeszett Add to Technorati Favorites rss