Risiko Vorsorge Journalist Markus Grill, der als Stern-Reporter eine Reihe von Skandalen in der Pharmaindustrie aufgedeckt hat, arbeitet seit Anfang des Jahres beim Spiegel. Seine erste Coverstory (nicht frei online) ist diese Woche erschienen: "Risiko Vorsorge". Darin geht es um den Nutzen oder sogar Schhaden von Vorsorgeuntersuchungen, für die die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2008 über 1,2 Milliarden Euro ausgegeben haben. Kein Ausgabenblock im Gesundheitswesen, der schneller wächst. Für die Mammographie bedeutet das, wenn 2000 Frauen zehn Jahre regelmässig am Brustkrebsscreening teilnehmen, stirbt am Ende eine Frau weniger an der Erkrankung. Aber gleichzeitig erhalten 10 der 2000 Frauen eine belastende Brustkrebsbehandlung, obwohl sie keinen Brustkrebs haben - also der Test "falsch positiv" ist. Mit einem "Fehlalarm" müssen 10% der 2000 Frauen während der 10 Jahre statistisch rechnen. Die Gesamtsterblichkeit verringert sich nach den Untersuchungen zweier dänischer Wissenschaftler nicht. In Artikel wird der Medizinexperte Klaus Koch zitiert: Als Faustregel für die Praxis kann gelten: Das Risiko, unnötig zu einem Krebspatienten zu werden, ist grösser als die Wahrscheinlichkeit, durch die Untersuchung vor dem Tod durch einen Tumor bewahrt zu werden. Gut belegt ist diese Aussage insbesopndere für die Früherkennung von Brust-, Prostata-, und Gebärmutterhalskrebs.
Sowohl Ärzte als auch Patienten überschätzen den Nutzen der Früherkennungsuntersuchungen. "In puncto Früherkennung gebe es eine kollektive Blindheit von intelligenten Menschen".Markus Grill zeigt wie die Früherkennungs-Industrie und ihre prominenten Aushängeschilder von der Angstkampagne profitieren. Noch einmal Klaus Koch: Wer nicht raucht, tut mindestens hundertmal mehr für seine Gesundheit, als er mit allen Früherkennungsuntersuchungen zusammen erreichen kann. Selbst für die besonders durch die Burda-Stiftung propagierte Darmspiegelung gibt es keine kontrollierten Studien, die den Nutzen zeigen. Belegt sei der Nutzen nur für die Ärzte, die pro Patient 193 Euro bekommen. Das Ergebnis ist, was nicht in dem Artikel steht, dass in Deutschland fast die Hälfte von allen Koloskopien in den westeuropäischen Ländern durchgeführt werden. Der Artikel beschreibt die Folgen, des Präventionshypes: Immer mehr Gesunde, oft gut ausgebildete Menschen stürmen die Praxen, für die wirklich Kranken bleibt weniger Zeit. Ein Hautarzt bekäme 13 Euro im Monat für einen Patienten - nach meinen Informationen eher 22 Euro im Quartal - dagegen kann er für einen Check-Up 30 Euro bei der Kasse abrechnen. Das letzte Wort hat Peter Sawicki, der Chef des IQWiG, das den Nutzen von Medikamenten und Therapien bewertet: "Der Arzt soll einem bescheinigen, dass alles in Ordnung ist. Man versucht dem Tod ein Schnippchen zu schlagen." Gesunden Menschen Lebensmut und Hoffnung zu geben, sei aber nicht Aufgabe der Medizin. Dafür sei die Religion da. [Public Health]
plazebo 2009-04-20
Steht auch im Spiegel-Artikel.
plazebo 2009-04-20 >> Kommentieren hockeystick 2009-04-21 plazebo 2009-04-21 ich schick ihn dir. (schon unterwegs).
haben die Im Spiegel wirklich "Gebährmutterhalskrebs" geschrieben?
Urgs. Mit einem "h" weniger sähe es schicker aus.
Gibt es auch Anmerkunegn zum Gegenstand oder bleibt es auf der Ebene der Rechtschreibung?
gern geschehen
>> Kommentieren strappato 2009-04-21 Hinzu kommt, dass die Tests nicht ausreichend zuverlässig diejenigen Kinder erkennen können, die trotz einer tatsächlich vorliegenden Sehstörung gar nicht behandlungsbedürftig sind. Denn eine Sehschwäche kann sich auch von allein zurückbilden, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Diese Unschärfe der Tests und die möglicherweise daraus folgenden "Übertherapien" erscheinen umso problematischer, je jünger die Kinder bei der Untersuchung sind. Schaden kann bei diesen Kindern beispielsweise dann entstehen, wenn eine überflüssiger Weise verordnete Abdeckung des Auges dazu führt, dass die Betroffenen unnötig als "krank" etikettiert werden und so negative psycho-soziale Auswirkungen für die Kinder und ihre Familien haben kann. Vom Privatversicherten- und IGeL-Bereich mal ganz zu schweigen, wo den Patienten Dutzende Früherkennungs-Tests offeriert werden, deren Nutzen vollkommen fraglich ist.
Wenn man das alles weiterdenkt, landet man bei individuellen Gentests, wie den von "23andMe" angebotenen. Sozusagen die ultimative Früherkennung. Als junger Nerd schon zu wissen, dass man ein höheres Risiko für Morbus Parkinson hat.
Diabetes-Vorsorge
Wenn man den Präventions-Gedanken noch etwas weiter fasst, so zeigen sich noch weitere herbe Schlappen. In der Diabetes-Therapie haben im letzten Jahr gleich 3 Studien (ACCORD, ADVANCE, VA-DT) gezeigt, dass man mit der strikten Blutzucker-Einstellung gemäß gültiger Leitlinien den Diabetikern nicht hilft, sondern wahrscheinlich der Schaden überwiegt. Ich führte dazu letzte Woche ein erstaunlich offenes Interview mit dem Präsidenten der diesjährigen Jahrestagung der Europäischen Diabetesgesellschaft, Thomas Pieber. Im Bereich der Diabetes-Therapie zeichnet sich, laut Pieber ein ähnliches Debakel ab, wie beim weltweiten Vorsorge-Flopp mit Hormonersatz-Präparaten. http://med.blogger.de/stories/1378820/ Umso bedenklicher sind die Aufrufe an die Bevölkerung, sicherheitshalber den Zuckerwert testen zu lassen. landarsch 2009-04-23 Aber damit könnte die Pharmaindustrie ja nicht "die richtigen Medikamente" verkaufen, sondern die Betroffenen könnten sich vielleicht so verhalten, dass sie (lange Zeit) keine Medikanete brauchen! guzolany 2009-04-26 >der einen Diabetes schon Jahre vor der >Schädigung erkennen könnte, der orale >Glucose-Belastungstest, MIT INSULINBESTIMMUNG wohlgemerkt! - Insulinresistente Prädiabetiker im kompensierten Stadium sind nur auf diese Weise zu identifizieren. - Eine Nüchtern-BZ-Bestimmung incl. Insulinwert brächte noch frühere Hinweise. Fatal nur die therapeutische Seite: Was soll man mit Insulinresistenten machen? Sie mit den üblichen low-fat-Ernährungsempfehlungen noch zügiger in den Diabetes treiben? Mit Metformin eine Blutwertkosmetik vor allem auf Seiten der Leber-Gluconeogenese anzetteln? Oder die Patienten knallhart auf low carb plus Bewegung setzen - die einzig sinnvolle und die Ursachen bekämpfende Strategie. Aber dann verdient über kurz oder lang weder die Pharmaindustrie noch etwas, noch der DMPler, und die Diabetologen müssten sich mit der sehr kleinen Gruppe "exotischer", also Nicht-Typ-II-Diabetiker abfinden. Äußerst fatal für alle diese Wirtschaftszweige... Also: Frühzeitig mal Insulinwerte bestimmen und generell auf eine KH-reduzierte Kost achten, dann klappt's auch mit dem Diabetes und nebenbei auch mit den bösen, kleinen Typ-III- und Typ-IV-LDL-Partikeln (Typ I und II interessieren ja höchstens den "Focus" bzw. die Margarineindustrie als dessen Geldgeber - das Risiko von Gefäßerkrankungen erhöhen sie hingegen nicht, auch wenn's ideologisch so schön wäre...). Grüße, guzolany >> Kommentieren strappato 2009-04-23 >> Kommentieren kandreas 2009-04-23 Moooment mal ...
Ich habe den Artikel einem Bekannten, seines Zeichens Ex-Frauenarzt zugeschickt. Er hat mir folgende, wie ich finde spannende Antwort zurückgeschickt:Obgleich weniger Frauen inzwischen an Brustkrebs sterben, werden immer mehr Frauen mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert - vor allem in Ländern mit einem Screening-Programm. Darin liegt kein Widerspruch. Zu unterscheiden ist zwischen Morbidität und Mortalität. Bevor eine Diagnose klar ist, muss geklärt werden. Bei jeder diagnostischen Methode hat man eine gewisse Fehlerquote, sowohl "falsch positiv" als auch "falsch negativ". Durch Kombination der diagnostischen Methoden engt man ein. Eine hohe Trefferquote erreicht man mit der MRT, diese wird von den Kassen - weil zu teuer - nicht bezahlt oder nur nach besonderer Begründung auf 5-seitigen Antragsformularen. Letztlich wird eine von Jounalisten als - in der Tat - belastende Krebsoperation bezeichnete Gewebeprobe entnommen, die dann Klarheit bringt. Dies ist der "Fehlalarm", mit dem nach Karl Koch 10% der Patientinnen rechnen müssen. Einen */Schaden/ * in den Vorsorgeuntersuchungen sehe ich in der psychischen Belastung der Frauen und dem finanziellen Aufwand der Versicherungen. /"Selbst für die besonders durch die Burda-Stiftung propagierte Darmspiegelung gibt es keine kontrollierten Studien, die den Nutzen zeigen". / Was sagt mir das ?? Kontrolliert gegen nicht durchgeführte Koloskopien? Der journalistische Unverstand wird an diesem Punkt eindeutig. Es gibt keine bessere Alternative für diese Diagnostik. - >> Kommentieren |
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