Markt und Moral

Bei Don wird die Abhängigkeit von Journalisten gegenüber der Wirtschaft und ihren Interessen diskutiert. Medizinjournalismus macht da natürlich keine Ausnahme. Jedoch ist man da ein wenig weiter als in anderen Bereichen: So räumen Verbandsvertreter offen ein, dass zwischen Medizinjournalismus und Public Relations keine klaren Grenzen bestehen.

In einem Artikel in der ZEIT wird gezeigt, wie in den USA Journalisten und Verlage sich von der Pharmaindustrie für ihre Zwecke einspannen lassen .

Der Zeit-Artikel gab mir Anlass ein wenig über meine eigene Tätigkeit zu reflektieren. Ich habe Public Health studiert. Ein Fach mit einem hohen ethischen Anspruch. Meine unmittelbaren Kollegen: Zwei Ärzte, drei Public Health Absolventen, ein Pädagoge, eine Volkswirtin (Doppelqualifikationen möglich), fast alle mit Promotion. Hochqualifizierte Akademiker in Fächern, denen man nicht unbedingt eine skrupellose Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Marktes nachsagt. Trotzdem arbeiten wir für die Pharmaindustrie.

Das interessante an der Tätigkeit ist der Spagat zwischen Wissenschaft und Markt. Die Studien, die wir durchführen, die Gutachten, die wir anfertigen, die Artikel, die wir schreiben, müssen Qualitätshürden überwinden. Sie sollen in peer-reviewten Journalen erscheinen, auf wissenschaftlichen Kongressen präsentiert werden oder als Argumente bei Zulassungsbehörden dienen - sehr selten lediglich Fachinput für PR-Kampagnen sein. Auf der anderen Seite sollen sie natürlich auch die Interessen des Auftraggebers unterstützen.

Ich glaube, dass Dienstleister wie Berater, Journalisten oder Wissenschaftler nicht für die Entscheidung über Kriterien bei der Auswahl und Erstattung von Medikamenten und Medizinprodukten verantwortlich gemacht werden können, die im übrigen in anderen Ländern in höherem Masse als in Deutschland von Krankenkassen oder Politik abhängig ist. Die Verteilung der begrenzten Mittel in einem solidarischen Gesundheitssystem ist Aufgabe der Politik und des gesellschaflichen Konsenses. Davor drückt sich die Politik und verweist gerne auf die böse Pharmaindustrie, die Gier der Ärzte oder die Anspruchshaltung der Patienten.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-04-08   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2006-04-11  
Wer die Marktmechanismen verstehen möchte, die nicht auf Seiten von PR und Marketing, sondern bereits auf Seiten der hehren "Wissenschaft" wirksam werden, dem sei die Lektüre von Ravnskov/Pollmer: "Mythos Cholesterin" nahegelegt. Wissenschaftlich präzise, lehrreich und unterhaltsam. Danach glaubt man nichts mehr, von dem man die Primärquellen nicht im Volltext gelesen hat.

(die deutschsprachige Ausgabe ist besser geschrieben und aktueller als das englischsprachige Original)


strappato   2006-04-11  
Ja, gute Darstellung. Daher habe ich auch Wissenschaftler mit Beratern und Journalisten in eine Reihe gestellt. Alles von Interessen bestimmt - eigenen und fremden.

Wenn regelmässig Bücher auf den Markt kommen wie: "Der Pharma-Report - Das große Geschäft mit unserer Gesundheit", "Die Gesundheitsmafia - Wie wir als Patienten betrogen werden", "Das Medizinkartell - Die sieben Todsünden der Gesundheitsindustrie", "Der Pharma-Bluff", "Auf dem Rücken der Patienten" oder "Die Krankheitserfinder - Wie wir zu Patienten gemacht werden" (alle allein aus 2005 und 2006!), dann zeigt das in meinen Augen, dass hier Massstäbe angelegt werden, die sich an dem Bild des "fröhlichen Landarztes" (wie sich mein Hausarzt gerne nennt) orientieren und die nicht mit den rasant gewachsenen Möglichkeiten der Diagnostik und Behandlung Schritt gehalten haben.

Und die Politik schaut zu, als wenn sie damit nichts zu tun hat. Obwohl im Grunde die Gesundheitspolitik kritisiert wird.


hockeystick   2006-04-11  
Erst kürzlich habe ich einen Vortrag über ein neues Präparat mit angeblich prophylaktischer Wirkung gegen Herzinfarkt gehört. Die NNT liegt (laut herstellerfinanzierter Studie) wie üblich bei ca. 200 (in der speziell ausgewählten Zielgruppe), angeblich eine Spur besser, als die herkömmliche Medikation, und das Präparat kostet horrend viel Geld.

Tatsächlich wäre es an der Zeit, hier Kriterien zu definieren. Aber natürlich läuft das letztlich auf eine monetäre Bewertung von menschlichem Leben und Leid hinaus. Aktuell läuft das sehr indirekt, auch dort, wo es um wirklich sinnvolle Behandlungen geht. Der fröhliche Landarzt gibt halt dem Parkinson-Patienten mit akademischem Hintergrund das teure Präparat und dem Russlanddeutschen das billige Präparat, damit er nicht in Regress genommen wird. Dafür wacht er manchmal nach unruhigen Träumen nachts auf und ist dann nicht ganz so fröhlich.


strappato   2006-04-12  
Rationierung findet statt, allen gegenteiligen Beteuerungen der Gesundheitspolitiker zum Trotz. Und sie wird es auch immer geben, da es ohne Mengensteuerung im solidarisch finanzierten Gesundheitswesen nicht geht. Entscheidend sind die ökonomischen, diagnostischen und sozialen Kriterien, nach denen die Allokationsentscheidungen getroffen werden. Während in den meisten anderen Gesundheitssystemen mehr und mehr durch Methoden wie HTA-Gutachten, Health Economic Evaluations oder Evidence bases Medicine versucht wird, Transparenz in die Allokationsentscheidungen zu bringen, drücken sich in Deutschland die Verantwortlichen davor. Im Zweifel: Mehr Geld ins System.

Ich warte auf den Tag, an dem eine Therapie auf den Markt kommt, die das Potential hat das System dauerhaft zu beschädigen, also höchst effektiv, für mindestens eine Million Patienten in Deutschland und mit Therapiekosten von mind. 10.000 Euro pro Jahr. Wenn man die Entwicklungen in der Gentherapie, bei den monoklonalen Antikörpern oder bei den Implantaten verfolgt, dann ist dies keine Fiktion.

Übrigens würde ich gerne allen, die über die Gesundheitspolitik diskutieren, das Buch "Lerning to live with health economics
http://www.euro.who.int/futuresfora/publications/20050421_1
ans Bett legen.








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