Interessensjournalismus

Die FTD macht sich für das Novartis Medikament Lucentis® stark. Mit der Überschrift "Kassen drängen zur Billigtherapie" und einem Leitartikel, der "Medikamente - Billiges Abenteuer" titelt, wird die Stimmung gegen den off-label Einsatz des verwandten VEGF-Antagonisten Avastin® angeheizt.

Seit Anfang des Jahres ist in Europa der monoklonale Antikörper Lucentis® (Ranibizumab) von Novartis zur Behandlung der altersabhängige Makuladegeneration (AMD) auf den Markt. AMD ist eine häufige Erkrankung besonders im Alter und führt unbehandelt zu nicht reversiblen Sehverlusten bis zur Erblindung. Früher konnten Schäden allenfalls gestoppt werden, die VEGF-Antagonisten Avastin® und Lucentis® brachten zum erstem Mal eine Verbesserung der Sehschärfe für die Betroffenen. Das nicht für AMD zugelassene Avastin® (Bevacizumab) kommt vom gleichen Hersteller Genentech, wird aber ausserhalb der USA von Roche vermarktet und kostet nur einen Bruchteil von Lucentis®. Bis Lucentis® auf dem Markt gekommen ist, gab es zur Off-label-Therapie mit Avastin® keine Alternative. Aus Kostengründen wird die Verschreibung ausserhalb der Zulassung von den Krankenkassen weiterhin stillschweigend gebilligt, da diese bis zu 700 Millionen Euro jährliche Mehrausgaben beim Einsatz von Lucentis® fürchten. Ein ernstes Problem. Hilflos mutet da das Statement des Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als zuständige Aufsichtsbehörde an. Das PEI würde es begrüssen, wenn die Zulassung von Avastin® für das Auge "gestützt auf Daten aus klinischen Prüfungen" beantragt würde. Daran haben weder Genentech, noch dessen Mutterkonzern Novartis oder Roche - 30% Anteilseigner Novartis - ein Interesse, da sie die Indikationen und Gewinne geschickt optimiert und aufgeteilt haben.

Die FTD verschweigt, dass es zwar keine Zulassung für die Indikation AMD gibt, jedoch jahrelange weltweite Erfahrungen vorliegen. In den bisher veröffentlichten klinischen Studien konnte die Wirksamkeit und Sicherheit von Avastin® bei AMD gezeigt werden. Da von einem va banque Spiel zu sprechen, ist masslos übertrieben.

Der FTD-Kommentar klingt zynisch, angesichts der Konsequenzen der Erkrankung und der Vielzahl der Patienten:
Es ist zwar unvermeidlich, dass in einer alternden Gesellschaft mit teurem medizinischem Fortschritt die Frage auftaucht, wann einige extrem kostspielige Leistungen rationiert werden müssen. Solche Entscheidungen müssen aber transparent sein und sorgfältig diskutiert werden.
Transparente Rationierung wie in England? Dort wehrt man sich auf Kosten der Patienten gegen die Preispolitik der Pharmakonzerne, indem die Behandlung mit Lucentis nur Erkrankten empfohlen wird, die das Augenlicht auf einem Auge schon eingebüsst haben.
 
[Avastin - Lucentis]
Autor: strappato   2007-09-14   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2007-09-15  
Noch ein Nachtrag, ein wenig die Ironie an der Geschichte: Auf die Idee des Einsatzes von Avastin® bei AMD ist als erster Philip Rosenfeld von der University of Miami School of Medicine gekommen, obwohl er durch Berater- und Vortragshonorare bei Genentech auf der payroll steht.


siyani   2007-09-15  
ein kurzer blick (war rund 1 min gegooglet unter dem stichwort AMD) erklärt doch alles (vielleicht sitze ich ja auch einem missverständnis auf): lucentis wird 1. wohl nur bei feuchter degeneration wirken (denn scheint nur dort gefässsprossungen zu geben) und 2. brauchts keine megaideen, einen angiogenesehemmer überall dort einzusetzen, wo eben gefässe zu sehr "spriessen".

denke, dass da noch einiges weiter geben wird...kindliches hämangiom aus dem letzten stern-tv vielleicht?


siyani   2007-09-15  
war akte 07, nicht stern-tv


strappato   2007-09-15  
Dann sollten die Journalisten der FTD mehr googeln und weniger auf Novartis hören.

Angiogenesehemmer haben eine grosse Zukunft: Avastin ist bei Brustkrebs zugelassen, Studien laufen zu Nierenkrebs und Lungenkrebs. Verspricht gute Umsätze.


mager   2007-09-17  
Na, die "Idee" von Rosenfeld arbeitet doch nicht gegen seinen Arbeitgeber, denn Genetech hat auch das Bevacizumab entwickelnt und verdient daran mit. Ranibizumab war ja nur die Antwort auf die ersten Erfolge mit Bevacizumab.

Martin


strappato   2007-09-17  
Viel Freude hat Rosenfeld seinem "Arbeitgeber" aber nicht damit gemacht.








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