"Skandal" um Strattera®-Berichterstattung bei Frontal: Wer lügt? Der öffentliche Disput um die vier Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme des ADHS-Medikaments Strattera®, über die die Frontal21-Reportage "Das Pharmakartell" berichtet hatte, entwickelt sich zu einer absurden Posse. Weder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch die Süddeutsche Zeitung machen darin eine gute Figur. Besonders Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit beim BfArM, muss sich fragen lassen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. 1. Akt Das ZDF sendet die aufsehenerregende Reportage "Das Pharmakartell". Eines der Themen ist das ADHS-Medikament Strattera®. Wörtlich heißt es in der Sendung: Denn die Liste der Nebenwirkungen von Strattera ist lang und bekannt beim Bundesinstitut für Arzneimittel. [...] Laut Behördenliste starben 4 Kinder. Das jüngste Kind war 3 Jahre alt. 2. Akt Die Süddeutsche Zeitung zieht diese Angaben unter der reißerischen Überschrift "Skandal bei Frontal" in Zweifel und stützt sich dabei auf Informationen des BfArM. SZ-Autor Werner Bartens macht aus den genannten Fällen kurzerhand den "Tod von vier Kindern in Deutschland", was in der Sendung gar nicht behauptet wurde, und stellt sich an die Seite des BfArM. Schließlich könnte ein Medikament gegen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) mit dem Tod von vier Kindern in Deutschland zusammenhängen. Das behauptet zumindest das ZDF-Magazin "Frontal21" in seiner Ausgabe vom 9. Dezember.[...] Nachfragen beim Bfarm ergeben ein anderes Bild. "Wir hatten zunächst Berichte über zwei tödliche Verläufe in Deutschland", sagt Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit. "Schließlich blieb ein Fall eines 16-Jährigen übrig, der sich umgebracht hat." Die TV-Redaktion wisse das, warum trotzdem von vier Todesfällen die Rede ist, sei unklar. 3. Akt Das ZDF veröffentlicht zu dem SZ-Bericht eine Stellungnahme und macht sehr konkrete Angaben zu den vier Todesfällen: Frontal21 bleibt bei seiner Darstellung und bezieht sich dabei auf eine entsprechende Liste, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dem Magazin nach mehrmaligen Nachfragen selbst überlassen hat. Nach dieser internen Liste der Behörde wurden bislang vier Verdachtsfälle von tödlichen Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Strattera gemeldet. Die Verdachtsfälle aus der BfArM-Datenbank des Instituts im Einzelnen: Am 14. Dezember 2005 der Suizid eines 16-Jährigen. Am 26. Juni 2006 der Gehirnschlag eines zwölfjähriger Jungen. Am 11.7. 2006 der Tod ein dreijährigen Kindes und am 27. Juli 2007 der Herzinfarkt eines fünfjährigen Jungen. Die Verdachtsfälle wurden vom Bundesinstitut selbst mit folgenden Fallnummern versehen: DE-BFARM-05018404, DE-BFARM-06036075, DE-BFARM- 06045681, DE-BFARM-07061104. 4. Akt Das arznei-telegramm veröffentlicht ein "blitz-a-t", das Licht ins Dunkel bringt. Darin heißt es: Die Verlautbarungen des BfArM sind nach unserer Kenntnis der Daten nicht nur scheinheilig, sondern irreführend: Tatsächlich dokumentiert die Behörde vier Todesfälle in Verbindung mit Atomoxetin, die vier Kinder unterschiedlichen Alters betreffen und unter vier verschiedenen BfArM-Nummern erfasst sind. Entsprechende Datenausdrucke der Behörde liegen uns vor. Zwei dieser Berichte lässt das BfArM jedoch unter den Tisch fallen, weil sie nicht aus Deutschland stammen. Zunächst waren sie aber irrtümlich als Fallberichte aus Deutschland angesehen und gelistet worden (5). Dass sie aus Deutschland stammen, wurde in der Sendung allerdings auch gar nicht behauptet. Warum die Meldungen zunächst irrtümlich fehlkodiert wurden und warum einer der beiden "übrig gebliebenen" Verdachtsberichte, der ein Mädchen aus den USA betrifft (3), weiterhin aufgeführt wird, bleibt trotz Nachfrage bei der Behörde unklar. Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass das BfArM ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle mit Todesfolge, die nicht aus Deutschland stammen, einfach ausblendet. Fazit: Die Angaben des ZDF zu den Strattera-Todesfällen waren inhaltlich korrekt. Dass der falsche Eindruck entstehen konnte, es handle sich dabei nur um Fälle aus Deutschland, war den Autoren sicher nicht unrecht. Der SZ-Artikel von Werner Bartens schießt weit über das Ziel hinaus, modifiziert die in der Sendung getätigte Aussage in unzulässiger Weise und stützt sich allein auf Angaben des BfArM, die sich letztlich als irreführend erwiesen haben. Das BfArM und insbesondere Ulrich Hagemann führt die Öffentlichkeit mit seinen Aussagen gegenüber der SZ gezielt in die Irre. Wie kann es sein, dass sowohl der Frontal21-Redaktion als auch dem arznei-telegramm eine Liste des BfArM mit vier kodierten Strattera-Todesfällen vorliegt, die dem dortigen Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit nicht bekannt ist? Und wieviel Vertrauen kann man in eine Behörde haben, die eigene Schlampereien im Umgang mit Daten kritischen Journalisten in die Schuhe schieben will? [Journalismus]
hockeystick 2008-12-21
Am 12.12., einen Tag nach der ZDF-Stellungnahme, legt Bartens noch einmal nach (oder soll das ein Versuch sein, seine Attacke zu relativieren?):
Doch unabhängig davon, ob in Deutschland vier Kinder an den Folgen der Therapie mit Strattera gestorben sind, wie ein Fernsehsender behauptet, oder ein Kind, wie das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte belegt, ist kaum eine Krankheit so geeignet, Vorurteile und Weltbilder zu pflegen.
Er wiederholt dabei seine falsche Behauptung über die in der Sendung gemachte Aussage ("in Deutschland ... gestorben"). Das Begriffspaar "behauptet" vs. "belegt" zeigt, dass er zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden hat, dass er selbst es ist, der vom BfArM veräppelt worden ist.>> Kommentieren sil 2008-12-21 Tolzin hat sie auch gefallen: http://www.impfkritik.de/pressespiegel/2008121108.htm
Die Bemerkung, dass die Pharmaindustrie bei Pro7/Sat1 mit Thomas Ebeling, dem neuen Vorstandsvorsitzenden und früheren Novartis-Manager, ein Stein im Brett hat, ist nicht von der Hand zu weisen.
sil 2008-12-21 Die leben schließlich von den Werbekunden. NTV ist so ein ganz übles Beispiel. Ein großes Problem sind auch die pennenden Behörden. Das BfArm reagiert auf E-Mails nicht einmal. Das habe ich selbst schon mehrfach erlebt. Hier haben sie wieder mal den Vogel abgeschossen! Und es ist mir eigentlich völlig egal, ob Strattera vom Markt genommen werden muss. Ich habe keine Lilly-Aktien, bin nicht bei Pfizer angestellt, bin nicht depressiv und habe auch kein hyperaktives Kind. Allerdings gibt es bei ADHS wirklich nicht allzuviele gut untersuchte Alternativen. Ich bin sehr für eine wissenschaftliche, unkorrupte und menschliche Medizin. Sinnvolle und kompetente Kritik, wie Euren Blog, halte ich für gut und richtig. Die Sendung war nicht bemerkenswert, sondern bemerkenswert schlecht recherchiert und sehr tendenziös. Ist aber auch egal. Gesendet ist gesendet. Die versuchte Mauschelei mit der "Umschau" nehme ich denen sogar ab, aber die Story mit dem Artikel über Antdepressiva in der "Umschau" sieht bei denen auch ganz anders aus, als im Film. Das steht in dem Artikel: "Ein großes Problem zu Beginn der Behandlung: Depressive sind gefährdet, sich in dieser Phase das Leben zu nehmen. Denn noch bevor sich die Stimmungslage des Betroffenen bessert, steigern die Antidepressiva die Antriebskraft. Und das kann in einer Kurzschlusshandlung, einem Suizidversuch, enden." http://www.gesundheitpro.de/Apotheken-Umschau-vom-Wege-aus-der-Depression-Depression-A081210MAIRP104315.html Und hier wird nochmal aufgeschlüsselt, wie die Fakten bei diesem Thema verdreht wurden: http://www.gesundheitpro.de/In-eigener-Sache-Frontal21--Schlecht-Politik-und-Soziales-A081216MAIRP104806.html Die Selbsthilfegruppe wurde anscheinend auch über den Tisch gezogen und Virapen halte ich nicht für eine gute Quelle. Ich selbst finde die "Umschau" übrigens unter aller Sau. Das Ding ist extrem werbelastig, viel zu "Alternativmedizin"-freundlich und total unkritisch in den Empfehlungen, ebedn gar nicht evidenzbasiert. Ich habe die Sendung als ganz allgemein "medizinfeindlich" erlebt. Deswegen lobt sie der Tolzin auch in den höchsten Tönen.
In der Sendung wurden alle Vorurteile gegenüber der Pharmaindustrie bedient. Ein Fest für die Ideologen. Ich halte es auch für kontraproduktiv, dass die Beispiele aus den psychiatrischen Erkrankungen gewählt worden sind, speziell ADHS und Depressionen. Damit werden noch ganz andere Fronten eröffnet. Es hätte auch in anderen Indikationen und bei anderen Medikamenten genügend kritisches zu berichten gegeben. Die Thematik ist komplex. Aber so sehr, dass nur Insider damit zurecht kommen? Habe ich da eine selektive Wahrnehmung, oder machen es sich die Journalisten zu einfach?
mager 2008-12-22
Wenn das so ist. Ich habe schon lange überlegt, mal einen Beitrag zum neuen EBM und den "arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina" zu schreiben.
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