Pfizer hält Studiendaten unter Verschluss

Pfizer weigert sich, dem IQWiG seine Studiendaten zu Edronax® vollständig zur Verfügung zu stellen. Markus Grill für Spiegel Online:
Das IQWiG sieht deshalb keine Belege für einen Nutzen von Edronax. Schließlich standen dem Institut nur für etwa 1600 Patienten auswertbare Daten zur Verfügung, während an den unpublizierten Studien mindestens 3000 weitere Patienten teilgenommen hätten. "Die Auswertung der verfügbaren limitierten Daten wäre potentiell hochgradig verzerrt und damit keine valide Entscheidungsgrundlage für den Gemeinsamen Bundesausschuss", heißt es in dem heute veröffentlichten 470 Seiten starken Vorbericht des Prüfinstituts über die Antidepressiva. IQWiG-Chef Peter Sawicki sagt: "Durch das Verschweigen von Studiendaten nimmt der Hersteller Patienten und Ärzten die Möglichkeit, sich informiert zwischen verschiedenen Therapieoptionen zu entscheiden."
Die Vorgehensweise ist - gerade wenn es um Medikamente für die Psychiatrie geht - offenbar eher die Regel aus die Ausnahme. Ohne den Publikationsbias ist hier ein Nutzen gegenüber Plazebo häufig schwer oder überhaupt nicht mehr darstellbar. Weiterhin drängt sich der Verdacht auf, dass schwerwiegende Nebenwirkungen auf diese Weise unter dem Tisch gehalten werden sollen.

Edronax® ist dabei mit wenigen Millionen Euro Umsatz pro Jahr in Deutschland im Vergleich etwa zu "Blockbustern" wie Memantine (Axura®) von Merz nur ein ganz kleiner Fisch. Auch hier stand dem IQWiG zur Nutzenbewertung nur ein Teil der vorhandenen Daten zur Verfügung:
Bei zwei der sieben nicht eingeschlossenen Studien blieb eine Anfrage des IQWiG bei den Autoren, Wissenschaftlern von britischen und chinesischen Universitäten, unbeantwortet. Für die anderen fünf nicht eingeschlossenen Studien stellte die Firma Merz keine oder nur unvollständige Daten bereit.[...]
Auch die Aussagekraft der vier ausgewerteten Studien ist indes eingeschränkt. Denn bei allen vier Vergleichen wurden die Ergebnisse zu einzelnen Therapiezielen nicht oder nur unvollständig veröffentlicht. Trotz einer Anfrage des IQWiG nach einer umfassenden Ergebnisdokumentation wurde diese nur zum Teil übermittelt. Das gilt beispielsweise für alle Daten, die Auskunft geben könnten über die Notwendigkeit einer Aufnahme in ein Pflegeheim.[...]
Unklar bleibt nicht nur der Nutzen, sondern auch der mögliche Schaden von Memantin, da die verfügbaren Risikodaten bei der Therapie zusammen mit Donepezil nicht der deutschen Zulassungssituation entsprechen und insofern lückenhaft sind.[...]
Angesichts der lückenhaften Datenlage ziehen die Wissenschaftler das vorläufige Fazit, dass der Nutzen von Memantin für die Behandlung der moderaten bis schweren Alzheimer Demenz nicht belegt ist.

 
[Pharmaindustrie]
Autor: hockeystick   2009-06-10   Link   (8 KommentareIhr Kommentar  


gschuette   2009-06-10  
Warum keine Daten aus den USA?
Der Leiter des IQWiG, Peter T. Sawicki, teilt in seiner Pressemitteilung von heute zu den Antidepressiva Edronax und Co mit, dass die forschenden Firmen in den USA schon seit 2008 alle Studien offen legen müssten, das Gesetz verpflichte sie dazu. Er fordert eine ähnliche Regelung für Europa. Stimme ich ihm voll zu.

Nur meine Frage: Dann müssten doch die Daten über Edronax aus den USA zu kriegen sein?


hockeystick   2009-06-10  
Ich vermute, die FDA hat die Daten, hat sich aber gegenüber den Herstellern verpflichtet, diese vertraulich zu behandeln.

(Die Pressemitteilung ist übrigens hier, darin ist Sawickis Forderung ausführlicher dargestellt.)


hockeystick   2009-06-10  
Die Daten laufen wohl als "trade secret":
The FDA gave a legal rationale for its silence: Some clinical trial data are considered "trade secrets," or commercially protected information, and thus are exempted from release under the Freedom of Information Act. Since the FDA doesn't routinely perform comprehensive reviews of drugs once they are on the market, when uncommon but deadly side effects tend to be picked up, independent researchers are often the only hope of catching such flaws. But the trade-secrets rule can leave researchers in the dark about the most worrisome data—negative results that support a failed application to market a drug.
http://www.slate.com/id/2126918/

Die scheinen ja auch wirklich geschäftsschädigende Informationen zu beinhalten, sonst wäre das Zeug wohl in den USA zugelassen worden.


philrs   2009-06-10  
Reboxetin wirkschwach
Die US-Zulassung scheiterte, weil nur 1 von 8 (!) Studien positiv ausfiel. 2 sind aber nötig.

Zitat Thase: "...and that's why we don't have reboxetine. They did 8 studies and they had the bad luck of only 1 of the 8 studies definitively showing that it works." (Quelle nur mit Passwort)


strappato   2009-06-10  
bad luck: "You probably didn't know that from Prozac (fluoxetine) to Lexapro (escitalopram) that if you look at all of the studies done for Food and Drug Administration (FDA) registration, that more than 50% of the studies failed to show that drug is more effective than placebo."


gschuette   2009-06-10  
Antwort vom IQWiG
Habe beim IQWiG nachgefragt und - damit hatte ich nicht gerechnet - nach einer Stunde schon Antwort.

Anna-Sabine Ernst schreibt:

"Sehr geehrter Herr Schütte,

die Studien, die uns Pfizer nicht zur Verfügung gestellt hat, sind leider auch in den USA nicht veröffentlicht.
Die laut Gesetz in den USA geltende Publikationspflicht bezieht sich (bislang) nur auf Studien, die nach September 2007 begonnen und wurden. Insofern löst das Gesetz das Problem unpublizierter Daten mittel- und langfristig, aber nicht für unsere Bewertungen, für die wir in der Regel Daten aus Studien brauchen, die in den vergangenen 5-10 Jahren durchgeführt wurden.
Übrigens ist Reboxetin auch in den USA gar nicht zugelassen.

Mit besten Grüßen
Anna-Sabine Ernst "

Damit ist meine Frage wohl geklärt...


hockeystick   2009-06-10  
Danke.

(Irgendwie ist das IQWiG kommunikativer als Merz.)


siyani   2009-06-10  
lol








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