Medizinjournalismus mit Anspruch und unterstützenden Massnahmen

Im deutschen Medizinjournalismus nahm ein Skandal Anlauf und wollte nicht so recht aus dem Startblock kommen. Zu gross ist die Angst, ein Dopingsystem aufzudecken. In der Hoffung, wenn alle ruhig bleiben, nicht um Aufmerksamkeit sprinten, es keine Fragen gibt.

Ein ehemaliger Verantwortlicher in einer Redaktion eines Fachmedium hat in einen Blog-Kommentar geäussert, dass Artikel von einem in dessen Marktsegment führenden Unternehmen quasi gekauft worden sind. Der Urheber zog den Kommentar zurück, das Unternehmen bestreitet den Vorwurf in E-Mails. Die Behauptung sei nachweislich falsch, diffamierend und geschäftsschädigend. Bloss keine Aufmerksamkeit. Jedoch ist der Kommentar in der Welt. Er wurde gelesen, weitergegeben und registriert.

Es würde nur bestätigen, was schon längst in der Öffentlichkeit bekannt und zum Klassiker in der pharmakritischen Berichterstattung geworden ist: Teile der Medizinpresse, ob Fach- oder Publikumsmedien sind käuflich und Werkzeuge der Pharma-PR. Im Übrigen nicht anders als in anderen Bereichen des Journalismus, ob Reise-, Musik-, oder Auto-.

Wenn Urteile zementiert werden, ist der schnelle Ausweg verbaut. Der kommentarfreudige Journalist versuchte es mit einer Erklärung an die lieben Kollegen. Nun sollte seine Kritik nur die ein "bisschen zu viel Hofberichterstattung" treffen. Also die kritiklose Veröffentlichung von Informationen im Interesse eines Unternehmens. Die im Fokus stehende Fachzeitung sei so seriös ist wie viele andere Medien und nicht weniger unseriös. Offen bleibt, ob die mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht aus Unfähigkeit der Journalisten und Redaktion resultiert, oder Ergebnis der Pflege der Medienlandschaft durch die derart Begünstigten ist - oder beides. Im Grunde müssig, dies weiter zu diskutieren, wenn niemand das Rennen eröffnen will.

Entscheidend sind die Folgen. Unstrittig ist, dass Medizinjournalismus eine besondere Verantwortung gegenüber den Bürgern hat. Falsche Information kann im Extremfall tödlich enden. Ebenso muss die Tatsache akzeptiert werden, dass es in der Medizin selten absolute Wahrheit gibt. Obwohl dies für die vehementen Verfechtern der echten Wissenschaft gegen die Quacksalber der Komplementärmedizin ein unerträglicher Zustand ist. Das eröffnet viel Platz für Interpretationen und ist eine Herausforderung für den Anspruch an Qualität. Diesen können die Medien nicht einlösen. Selbst wenn sie es wollten - die ökonomischen Zwänge der Verlage aussen vor gelassen.

Ein Medizinjournalist sollte für eine objektive Berichterstattung die neuen Studiendaten kritisch beleuchten, die Therapiealternativen benennen, sie in ihrem Evidenzgrad und ihrer Indikation bewerten, potentielle finanzielle Auswirkungen auf das Gesundheitsystem im Auge behalten, Interessenskonflikte der Autoren und Unternehmen berücksichtigen, ... und alles auf knackige und für die jeweilige Zielgruppe verständliche 6000 Zeichen bringen. Es gibt wenige Experten, die das schaffen, und diese arbeiten nicht für das karge Honorar eines Fachjournalisten.

Inhaltliche Komplexität und der schnelle Wandel medizinischer Erkenntnisse haben in der Medizin zu einer immer weitergehenden Spezialisierung geführt. Es gibt je nach Weiterbildungsordnung in Deutschland rund 60 Gebiete, Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen sowie 38 Fachgebiete in denen fakultative Weiterbildungen für ein Spezialthema absolviert werden können. Seit 2004 schreibt das SGB V die Pflicht zur fachlichen Fortbildung für alle an der vertragsärztlichen/-psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychologen verbindlich vor. Dagegen langt für einen Job als Medizinjournalist ein Diplom in Biologie, um mal eine der häufigsten Grundqualifikationen der Zunft zu nennen.

Selbst an den Mitteln zur Information fehlt es. Die wenigsten Medizinjournalisten, gerade bei den Freien, haben ständigen Zugang zu den Originalartikeln der Fachzeitschriften. Was nebenbei nicht weiter auffällt, da es auch an den Wissen um die Bewertung und kritische Interpretation der Studien mangelt. Drei Stunden Kurs "EbM-Basics für JournalistInnen" von Prof. Ingrid Mühlhauser auf der 10. Jahrestagung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin sind ein Tropfen auf den heissen Stein.

Medizinjournalismus. Ein ungleicher Wettkampf der nicht zu schaffen ist, ohne "unterstützende Massnahmen" der Pharmaunternehmen und anderer Helfer aus der Gesundheitswirtschaft.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2009-08-06   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2009-08-07  
In einem weiteren Kommentar hat der ehemalige Verantwortliche seine Haltung so beschrieben:
Vielleicht sollte man sich an den alten Brecht und seinen Spruch, erst komme das Fressen, dann die Moral, erinnern. Etwa anders formuliert: Der beste Qualitätsjournalismus, frei von allen Interessen und jeglichem Profitstreben, wird unmoralisch, wenn Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren.
Ich lese das so: Was sind schon ein paar tausend Vioxx-Tote, wenn die Arbeitsplätze von mehreren Dutzend Kaufjournalisten auf dem Spiel stehen?


medizynicus   2009-08-07  
Gute Medizinjournalisten...
...sollte es doch eigentlich in Hülle und Fülle geben: Es gibt zahlreiche Ärzte, die ihren Namen gerne gedruckt sehen, und inzwischen gelten ja auch Nicht-Wissenschaftliche Veröffentlichungen in irgendeiner Weise als "karrierefördernd". Na ja, und Ärzte, die halbwegs passabel schreiben können gibt es auch. Zumindest einige.
Aber das reicht bekanntlich nicht aus: Nicht nur Medizin, sondern auch Journalismus ist ein Handwerk, das gelernt werden muss. Und nach Studium und PJ noch ein schlecht bezahltes Volontariat dranzuhängen... ist für viele Kollegen nicht unbedingt attraktiv. Abgesehen davon, dass die Volontariatsstellen auch eher rar sind und gut bezahlte Redakteurstellen noch rarer. Also blüht den meisten Kollegen das unsichere Dasein des "Freien".... und dass da der eine oder andere schwach wird, wenn die Industrie mit dem Geldbündel wedelt, kann man verstehen....


hockeystick   2009-08-07  
Es fallen mir sogar ein paar gute Medizinjournalisten ein, über deren Texte ich mich noch nicht geärgert habe. Spontan ist allerdings kein Arzt dabei - Becker-Brüser betrachte ich jetzt mal nicht als klassischen Medizinjournalisten.

Ein Problem ist sicher, dass es so wenig echte Durchbrüche gibt, für die sich ein Laienpublikum interessieren könnte. Medizinische Sensationen sind wie Scheinriesen: Je näher man sich mit ihnen befasst, desto kleiner und uninteressanter erscheinen sie. Die wenigen wirklich neuen Erkenntnisse können unmöglich das ganze Heer von Fachjournalisten ernähren. Auch deshalb wird jede Pressemitteilung so dankbar wiedergekäut.

Im Bereich Autojournalismus gibt es wenigstens von jeder Baureihe alle 5 Jahre eine Neuauflage mit ein, zwei wirklich neuen Features.


strappato   2009-08-07  
Es kommt immer darauf an, was der Journalist daraus macht. Ich bleibe dabei. Für mich sieht das sehr hilflos aus. Nutzen neuer Therapien, der ins Auge springt - dafür brauche ich keinen Fachjournalisten. Um die interessanten Aspekte zu erkennen und zu bewerten fehlt es jedoch oft an Fachwissen. Nicht nur medizinisch, auch gesundheitspolitisch. Es würde schon helfen, wenn beim Bericht über eine neue Therapie oder Diagnostik, die ambulant eingesetzt werden soll, der jeweilige Journalist sich die wenigen Studien ansieht und die Kriterien des G-BA bei der Prüfung auf Erstattungsfähigkeit kennt. Schnell wird dann z.B. klar, dass es interessant sein könnte, aber die Evidenz noch so gering ist, dass die GKV-Patienten noch Jahre darauf warten können. Das würde keine ungerechtfertigten Hoffnungen beim Leser schüren und ein wenig Gelassenheit reinbringen.

Als Kriterien für einen journalistisch sauberen Beitrag empfehle die von Gary Schwitzer:
- The availability of the treatment/test/product/procedure
- Whether/how costs are mentioned in the story
- If there is evidence of disease mongering in the story
- Does the story seem to grasp the quality of the evidence?
- How harms of the treatment/test/product/procedure are covered in the story
- Does the story establish the true novelty of the approach?
- How the benefits of the treatment/test/product/procedure are framed
- Is there an independent source and were any possible conflicts of interests of sources disclosed in the article?
- Whether alternative treatment/test/product/procedure options are mentioned

In Deutschland würde man zu der Verfügbarkeit und Kosten noch die Frage der Erstattung berücksichtigen. An sich gar nicht schwer. Jedoch bezweifele ich, dass ein Grossteil der Medizinjournalisten fachlich in der Lage ist, diese zu erfüllen.








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