Schering-Plough auf verzweifelter Mietmaulsuche

Interessante Einblicke in die aktuellen finanziellen Konditionen für professorale Pharma-Mietmäuler und deren Arbeitsbedingungen gewährt unfreiwillig Schering-Plough (in Deutschland tätig als Essex Pharma). Der Pharmakonzern war so unklug, dem amerikanischen Psychiatrieprofessor Daniel Carlat ein Angebot von bis zu 170.000 US$ pro Jahr für eine Tätigkeit als Fürsprecher eines psychiatrischen Medikaments zu unterbreiten.

Kein weiser Schachzug. Daniel Carlat ist seit Jahren ein exponierter Kritiker der allgegenwärtigen Korruption in seinem Fachgebiet. Er ist Herausgeber des monatlichen Newsletters The Carlat Psychiatry Report, der wichtigsten amerikanischen Nachrichtenquelle im Bereich psychiatrischer Erkrankungen, die von der Pharmaindustrie unabhängig ist. Vor zwei Jahren schilderte er bereits in einem überaus lesenswerten Artikel in der New York Times seine eigenen einige Jahre zurückliegenden Erfahrungen als Mietmaul und machte deutlich, warum er diese Praxis für überaus problematisch hält.

Schlimmer noch, Daniel Carlat ist Blogger und tut, was aufrechte Blogger in solchen Situationen gelegentlich zu tun pflegen: Sie stellen das unmoralische Angebot öffentlich zur Diskussion:
Then there is this Speaker Bureau Agreement in which you have to promise to go to a Schering-Plough training meeting (it’s not so bad—you get $3000 plus all expenses for a day and a half meeting), and in which you promise to use only company-sponsored information for your presentations.

But the meat of the packet is called Exhibit A, [...] which tells you how much you’ll be paid:

--$1,600 for a 45 minute power point presentation or informal “peer discussion group.”
--$1,000 for a 45 minute web-based live presentation (you get $600 less because you don’t have to leave the comfort of your office)
--Total maximum (called “contract total aggregate”) amount that you may receive over the course of the year is $170,000.

Inspiriert durch seine Veröffentlichung haben sich andere Adressaten solcher Angebote bei Carlat gemeldet. Dem Psychiater Ivan Goldberg etwa, ebenfalls exponierter Kritiker der Pharmaindustrie, bietet Schering-Plough sogar bis zu 179.500 US$ für eine Vortragsreihe. Warum Schering-Plough bei der Auswahl seiner Mietmaulkandidaten derart daneben greift, darüber kann auch Carlat nur spekulieren:
Maybe the company employee in charge of identifying potential hired guns simply screwed up and didn't vet the mailing list adequately. Dr. Goldberg offered a different theory. He opined that perhaps all the bad PR about drug companies buying off doctors is dissuading MD's from accepting these gigs. Therefore, perhaps Schering-Plough is now forced to send out invitations to everybody, including "B" players and industry critics, in order to achieve their critical mass of Dr. Drug Reps.

 
[Ethik & Monetik]
Autor: hockeystick   2009-09-16   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2009-09-16  
Ich würde darauf tippen, dass bei der grossen Fluktuation in den Pharmaunternehmen einfach ein Mitarbeiter den Job bekommen hat, der keine Ahnung von Umfeld hat.


hockeystick   2009-09-16  
Interessant ist, dass in der Vereinbarung schriftlich fixiert ist, dass die Sprecher nur solches Material in ihren Vorträgen verwenden dürfen, das vom Geldgeber genehmigt ist. Soviel zu der Standardausrede vieler Mietmäuler, ihre Vorträge würden ja auf ihrer ganz persönlichen Einschätzung des Präparats beruhen.


philrs   2009-09-16  
oder Methode dahinter?
Ich denke ja, dass diese Schreiben sehr gezielt versandt wurden. Es gibt vielleicht 1-2 Dutzend solcher profilierten Kritiker in den USA, man stelle sich mal die Wirkung vor, wenn man nur 1 davon werben könnte! Der wäre wesentlich wertvoller als die gängigen Kader. Und nebenbei als Opponent erledigt.

Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre das jemand vom Schlage eines Wolfgang Becker-Brüser, der z.B. für VALDOXAN Werbung machte anstelle der üblichen Verdächtigen, also in dem Falle der bereits einschlägig ausgezeichnete Siegfried Kasper (Wien) und H.-J. Möller (München). (Mal ein Beispiel Möllerscher Industriekommunikation und eine verwandte Vorlage - speak "as a physician"!)

Da fällt mir auf, dass es der deutschen Psychiatrie an Figuren wie Carlat oder eben Becker-Brüser mangelt, an Pharmavertretern aber weniger.


hockeystick   2009-09-17  
Mietmaul-Terminologie:

Carlat hatte in der Überschrift seines Posting ursprünglich von "drug whores" gesprochen. In den Kommentaren gab es dagegen zunächst Widerstand, weil dies eine Verunglimpfung des Berufsstandes der Prostituierten sei, die sich ihre Tätigkeit meist nicht freiwillig ausgesucht hätten. Carlat hat dann statt dessen den gängigeren Begriff "hired gun" verwendet (eigentl. "gedungener Mörder, bezahlter Killer").

Ein weiterer Kommentator hat dazu ein schönes Zitat aus einem Buch von Jerome P. Kassirer, dem früheren Herausgeber des NEJM:
Some physicians become known as whores. Whore is a strong descriptor, but I heard it repeatedly from colleagues about physicians who tour the country for drug companies, changing their talks repeatedly to hawk the products of the company that is sponsoring their visits. Still, I held back in using the ‘W’ word until the wife of a prominent academic physician in a major medical center used it to describe her husband.









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