Cornelia Yzer: Die 800-Millionen-Dollar-Frau

Sie hat es getan. Cornelia Yzer, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), hat wieder einmal das Entwicklungskosten Mantra ausgepackt. In einem Interview mit Spiegel online, in dem die Cheflobbyistin ihre Enttäuschung über die Gesundheitspoltik im Allgemeinen und den Gesundheitsminister von der eigentlich als pharmafreundlich verschrienen FDP im Speziellen äussert.

Die hohen Renditen in der Branche rechtfertig Yzer in dem Gespräch mit dem enormen Risiko:
Von 10.000 Ansätzen für ein neues Medikament schafft es nach rund zwölf Jahren und einer durchschnittlichen Forschungsinvestition von 800 Millionen Dollar ein einziger bis zur Zulassung.

Die 800 Millionen Dollar oder Euro sind mittlerweile sowas wie ein Running-Gag. Die Schätzung basiert auf einem pdf-Datei Artikel aus dem Jahr 2003. Die Autoren kommen mit einer waghalsigen Berechnung, die ganze 35 Seiten benötigt, auf Entwicklungskosten von 403 Millionen Dollar für ein Medikament, die durch die Kapitalaufwendungen bis zur Markteinführung sich auf 802 Millionen Dollar addieren - gemessen an dem Dollarwert im Jahre 2000.

Die realen Kostenschätzungen kennen selbst in den Pharmauternehmen nur wenige. Es wird angenommen, dass diese erheblich niedriger liegen. Es könnten jedoch auch viel mehr sein. Das stellte Ende letzten Jahres ein Lilly-Stratege in einem Artikel in der Zeitschrift "Nature Reviews" fest. Wenn man der Summe von 800 Millionen Dollar noch zusätzliche regulatorische Aufwendungen, die Kosten für die Zulassung ausserhalb der USA, eine verminderte Erfolgsrate, die Inflation und die Steigerung bei "anderen Kosten" zugeschlagen würde, käme man locker auf umgerechnet 3 Milliarden Euro. Bei gentechnischen Biologica auch gerne 4,5 Milliarden Euro. Aber zur Übernahme dieser Summen in die gesundheitspolitische Kommunikation fehlt sogar den Pharmaunternehmen die Chuzpe.

Und so klammern sich die Pharmaunternehmen, die es eigentlich für sich besser wissen müssten, an die beeindruckende Zahl von 800 Millionen, wahlweise Euro oder Dollar, ohne Quellen für ihre Schätzung anzugeben.

Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels dauert 10 bis 12 Jahre und kostet rund 800 Millionen Euro.
Bayer Schering Pharma

Bis ein neues Medikament auf den Markt kommt, vergehen im Schnitt zehn bis zwölf Jahre und es entstehen Kosten von rund 800 Millionen Euro.
Novartis

Erforschung und Entwicklung eines neuen Medikaments dauern circa 12 Jahre und kosten im Durchschnitt etwa 800 Millionen US-Dollar.
MSD

12 bis 15 Jahre dauert es durchschnittlich, bis ein neues Medikament erforscht, entwickelt und zur Abgabe in Apotheken zugelassen ist. Mehr als 800 Millionen US-Dollar müssen dafür aufgebracht werden.
Sanofi-Aventis

Um ein einziges neues Medikament zu entwickeln, müssen etwa 800 Millionen Euro aufgewendet werden.
pdf-DateiPfizer

Die Entwicklung eines Medikamentes kostet im Durchschnitt 800 Millionen bis eine Milliarde US-Dollar und dauert länger als zehn Jahre.
Lilly

Drug Discovery, präklinische und klinische Entwicklung dauern etwa zehn Jahre und erfordern einschließlich möglicher Misserfolge eine Investition von 800 Millionen US-Dollar im Durchschnitt.
Boehringer

Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert im Durchschnitt 12 Jahre und kostet zwischen 600 und 800 Millionen Euro.
pdf-DateiMerck KGaA

Für die Entwicklung eines neuen Medikamentes – von der ersten Forschungsreihe bis hin zur Zulassung – muss ein Pharmaunternehmen heute einen Zeitraum von etwa 12 Jahren und Kosten von durchschnittlich 800 Millionen USD veranschlagen.
AstraZeneca

Etwa zehn bis zwölf Jahre vergehen von der ersten Vision bis zum fertigen Medikament. Dabei verschlingt der gesamte Prozess rund 800 Millionen Euro - die Markteinführungskosten noch nicht mit eingerechnet.
GlaxoSmithKline

[...], denn von der Entwicklung eines Forschungsansatzes bis zur behördlichen Zulassung des fertigen Arzneimittels können bis zu 12 Jahre vergehen.
Novo Nordisk

Schon die Tatache, dass im Gegensatz zu anderen Aufwendungen, die 800 Millionen praktisch über 10 Jahre stabil geblieben sind, sollte die Journalisten nachdenklich machen. Aber solange nicht nachgefragt wird, können die Pharmaunternehmen sich weiter hinter ihrem 800-Millionen-Schild verstecken und so ziemlich alles damit rechtfertigen: Üerdurchschnittliche Rendite, öffentliche Forschungsförderung, hohe Medikamentenpreise, Schutz vor Nutzenbewertung.

--
Das Laborjournal hat noch ein paar Hintergründe.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2010-04-20   Link   (11 KommentareIhr Kommentar  


ebenholz   2010-04-20  
hätte jemand während des interviews nachgefragt, oder zahlen in zweifel gezogen wäre folgendes passiert.

1. das interview wäre nicht, oder nur nach vorheriger "prüfung" veröffentlicht worden und
2.nicht ohne mehr oder weniger diskret auf das mögliche ausbleiben zukünftiger anzeigenschaltungen zu verweisen.


strappato   2010-04-20  
Das Interview klingt eh so, als wenn sich Frau Yzer die Fragen selbst gestellt hat, bzw. gut ausgewählt, äh, "autorisiert" hat.

Was mich fassungslos macht: Die Pharmaindustrie steht unter Rechtfertigungsdruck. Nicht erst seit gestern. Die hätten genug Zeit gehabt, auf die Frage nach den Entwicklungskosten, die zugegeben einfacher klingt, als sie zu beantworten ist, eine gute Antwort zu überlegen und die Komplexität des Business zu vermitteln. Immerhin gehört Forschung und Entwicklung zu den eigentlichen Kernaufgaben der Unternehmen, auch wenn es oft anders ist und manche Pharmakonzerne eher Patenteinkaufsagenturen sind.

Stattdessen wird eine Zahl in den Ring geworfen und damit um die Häuser gezogen, in der Hoffnung, dass eine ausreichend häufige Wiederholung kritische Fragen verstummen lässt. Das ist nichts anderes als ein Mantra. Eine Beschwörungsformel gegen Schlangen, Dämonen oder andere negative Kräfte wie Gesundheitspolitiker.

So ein Verhalten nutzt nur Veranstaltern von Branchensymposien, Unternehmensberatern oder PR-Agenturen, die sich mit dem Thema "Förderung des Image und Vertrauens in die Pharmaindustrie" beschäftigen.


sfinxx   2010-04-20  
Au weia.

Das mit den 800 Mio Dollar entwickelt sich offenbar zu einem Running Gag vor allem bei der Stationären Aufnahme. Es wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das nun schon zum wiederholten Mal Thema ist. Dieses mal wurden als Beleg für Dummheit - oder Verschlagenheit? - der Branche gleich 11 Quellen aufgefahren, die eigenen der Stationären Aufnahme nicht mitgerechnet.

Dabei war das eigentlich noch nie eine große Offenbarung. Daß die Entwicklungskosten für Arzneimittel die Pharmapreise nicht erklären, daß sie nicht der Grund sind für diese Preise, sondern bestenfalls eine ziemlich durchsichtige Begründung, ist doch schon fast ein alter Hut. Das konnte man - unter anderem - bei dem hier so gern für Effekthascherei kritisierten Qualitätsjournalismus schon seit langem erfahren.

Dazu gibt es ja wohl auch stichhaltigere Belege als 11 Zitate aus Verlautbarungen von Pharmafirmen oder -managern, in denen diese Kosten durchgehend auf 800 Mio USD beziffert werden, z.B. Gagnon M-A, Lexchin J, 2008 The Cost of Pushing Pills: A New Estimate of Pharmaceutical Promotion Expenditures in the United States. PLoS Med 5(1): e1. doi:10.1371/journal.pmed.0050001. Einmal sogar haben sie beim Schummeln nicht richtig aufgepaßt - hurra, hurra - und tatsächlich 802 angegeben! Haben die doch glatt das Abrunden vergessen! Da haben wir sie aber wieder mal so richtig bloß gestellt!

Ich habe keine Probleme mir vorzustellen, daß eine nicht allzu intensive Suche noch jede Menge mehr von solchen Zitaten zutage fördern würde. Ja und? Das immer wieder zu einem kleinen Skandal aufzublasen, das könnte man schon auch als Effekthascherei bezeichnen. Ich fürchte nur, es ist noch viel schlimmer.

Ganz offensichtlich kommt die Pharmaindustrie mit dieser windigen Erklärung seit Jahren durch. Niemand schüttet sich aus vor Lachen, wenn die das zum zwanzigsten Mal wiederholen - außer vielleicht die Leute bei der Stationären Aufnahme. Dabei weiß inzwischen sogar die Bildzeitung zu vermelden, daß in der Pharmaindustrie die Kosten für Werbung die für Forschung und Entwicklung um gut das Doppelte übertreffen (Preistreiberei? Darum sind die Medikamente bei uns so teuer, Bild Online 11.03.2010).

Die tatsächlichen Entwicklungskosten interessieren kaum jemanden wirklich - dieser Schluß wäre da doch viel naheliegender. In dem "Eckpunktepapier" kommen die denn auch gar nicht erst vor. So viele kritische Stimmen, die da zum Verstummen gebracht werden müßten, vermag ich nicht zu entdecken.

Das hört sich auch ganz und gar nicht so an, als würde Frau Yzer ihren Job schlecht machen. Der Vorwurf mit dem Mantra ist nicht nur ziemlich albern - er zeigt vor allem, daß da jemand diese Dame und was sie für ihren Verein leistet ganz gewaltig unterschätzt. Die weiß sehr genau, wo die Stellen sind, wo sie ein bißchen bohren kann - Planwirtschaft, Dirigismus und Rationierung ...

Kein Wunder - wenn man den Verein selber und was der will eigentlich doch ziemlich schätzt, wenn er nur .... Aber da müßte man vielleicht mal analysieren und zur Kenntnis nehmen, was diese Arzneimittelhersteller tatsächlich tun und lassen - und daraus eine Kritik ableiten. Da gäbe es jede Menge viel schlimmere Sachen, an denen man sich stören könnte - vielleicht sogar sollte.

Daß die Pharmaindustrie immer mit der Behauptung durch kommt, ihr wichtigstes Anliegen sei, die Menschen in diesem Lande in den Genuß innovativer Arzneimittel kommen zu lassen z.B., weil das für ihre Gesundheit einfach das beste ist. Es soll da doch ein paar Beispiele geben, wo diese Innovationen die Leute, die in ihren Genuß gekommen sind, um ihre Gesundheit - sogar um ihr Leben - gebracht haben. Und sie wußten sehr genau, was sie denen antun! Daß da auch öfter mal welche dabei sind, für die dieser Genuß ganz und gar überflüssig war, mag man schon gar nicht mehr erwähnen. Dieser Blog hier wimmelt von Beweisen für diese Sorte Heuchelei, für diesen Zynismus.

Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es darum zu demonstrieren, wie der größte Mangel der Pharmaindustrie darin besteht, daß sie anders als ein gewisser strappato einfach nicht kapieren will, was für sie am besten ist, was sie zu tun hätte und was nicht. Die folgt doch einfach seinen Ratschlägen nicht! Was für eine harsche Kritik!

Hier wird gar nicht erst gefragt, was die Pharmaindustrie ist. Hier vergleicht jemand sein Idealbild einer sauberen Pharmaindustrie wie sie seiner Meinung nach sein sollte mit der Realität, stellt fest, daß das nicht übereinstimmt und macht besserwisserische Vorschläge, wie diese Übereinstimmung herzustellen wäre. Als ob die ausgerechnet darauf gewartet hätte.

Dieses Mal lautet der dringende Rat, sie möge sich doch auf die "Frage nach den Entwicklungskosten" - eine Frage wohlgemerkt, die außer strappato kaum jemand wirklich stellt - "eine gute Antwort" "überlegen und die Komplexität des Business" "vermitteln.". Ganz offensichtlich sieht die diese Notwendigkeit nicht - ja wie kann man nur sooo dumm und uneinsichtig sein? Diese Industrie weiß gar nicht, was gut für sie ist? Das kann so jemanden in der Tat fassungslos machen. Au weia.

So aber ist vor allem eines gewährleistet: daß der Stationären Aufnahme der Stoff nie ausgeht.


Ach übrigens - ebenholz - das Interview war ja im Spiegel. Frau Yzer vertritt den Verband der Forschenden Pharmaunternehmen. Es geht also in der Regel um verschreibungspflichtige Arzneimittel. Für die ist Werbung im Spiegel nicht erlaubt. Das hat strappato in seinem Eifer vergessen zu erwähnen.


strappato   2010-04-21  
Ganz so uninteressant sind die Entwicklungskosten für die Preisfindung nicht. Nach den immer noch gültigen Schritte bei der Kosten-Nutzen-Bewertung und der Festlegung des Höchstpreises müsste der GKV-Spitzenverband neben der IQWiG-Empfehlung auch Entwicklungskosten der Hersteller berücksichtigen.


sfinxx   2010-04-21  
Quelle? Haben sie da auch 800 angegeben?


strappato   2010-04-21  
Bis jetzt gab es keine Kosten-Nutzenbewertung und Festlegung des Höchstpreises. Und es wird wohl auch keine geben, wenigstens in diesem Punkt hat der Gesundheitsminister die Pharmaindustrie nicht enttäuscht.


sfinxx   2010-04-21  
Aha!


strappato   2010-04-29  
Der Präsident des des Verbands der pharmazeutischen Industrie in Österreich legt noch ein paar Millionen drauf: "Ein Medikament kann mehr als eine Milliarde Dollar kosten, und manchmal dauert die Entwicklung eines Produktes bis zu zehn Jahre."


sfinxx   2010-04-29  
Wie lange mußten Sie denn danach suchen?

Daß da tatsächlich jemand eine andere Zahl als 800 Mio genannt hat - das wirft wohl alles andere gleich mit über den Haufen? Ich dachte ich hätte gesagt, es ist egal, welche Zahl sie nennen. Ich geb's zu, ganz so hab ich's nicht formuliert. Aber gesagt hab ich's.

Ich mag schon gar nicht mehr fragen, ob Sie nicht vielleicht doch mal auf ein Argument eingehen wollen? Sie wollen nicht - das ist offensichtlich. Warum eigentlich?

Sie werden es nicht glauben - aber mir ist wirklich an einer sachlichen Diskussion gelegen. Ich finde - wie wohl kaum zu übersehen ist - halt Vieles nicht ganz richtig. Ich habe in aller Regel gute Gründe dafür. Vielleicht ist es ja doch richtig. Meine Gründe stimmen doch nicht. Ich weiß es nur nicht. Vielleicht ist es aber auch doch falsch, und Sie wissen es nicht. Ich weiß ja nicht so genau, wie es Ihnen bei sowas geht. Aber ich will dann schon wissen, was denn nun Sache ist. Nur scheine ich mit diesem Anliegen ziemlich alleine zu sein. Mag schon sein, daß meine überpointierte Art das zu sagen, meinem Anliegen nicht gerade förderlich ist. Aber ich bin gar nicht so sicher, ob es wirklich das ist, woran das scheitert. Ich habe es lange genug ohne versucht. Da ging auch nicht mehr. Ich denke, ich weiß, was der wahre Grund ist. Und ich finde das sehr, sehr traurig.


rosentraum54613617343   2012-03-18  
Das ist doch dumm,was ihr schreibt ihr wisst nicht welchen Verlauf das Interview genommen hätte ! Ihr zieht sie einfach so in den Dreck


rosentraum54613617343   2012-03-18  
Als ob ihr wüsstet wer die Fragen ausgewaehlt hat. ihr reimt euch eure Artikel doch nur so zusammen, dass beliebte Personen im guten Licht dastehen und schlechte runtergemacht werden! das ist einfach nur unfair!








Stationäre Aufnahme












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