Löcher stopfen

Die angekündigte Reform ist Zukunftsmusik. Einstweilen müssen Löcher geflickt werden und da hat Frau Schmidt die Arzneimittelkosten als grösstes Loch ausgemacht. Diese sind 2005 um rund 16% gestiegen und damit doppelt so hoch, wie in den Richtgrössenvereinbarungen der Krankenkassen mit den niedergelassenen Ärzten vorgesehen. Die 3,5 Milliarden Mehrausgeben bedeuten nach der Faustformel: 1 Beitragssatzpunkt = 10 Millarden Euro, dass der Anstieg der Arzneimittelkosten den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung um 0,3 Punkte gesteigert hat. Darüber hinaus kann man gegen die bösen Pharmakonzerne und die gutverdienenden Apotheker schiessen, was diesen Ausgabenbereich für die Gesundheitsministerin besonders attraktiv macht.

Lösung: Ein Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG). Das Gesetz soll 2006 eine Entlastung von 1 Milliarde Euro bringen. Am Mittwoch, dem Tag, an dem tausende Ärzte auf die Strasse gegangen sind, fand die Anhörung des Bundestagsgesundheitsausschuss zum Gesetzentwurf statt.

Die in die Rede gekommenen Naturalrabatte der Pharmafirmen an die Apotheker sollen verboten werden, genauso wie Praxissoftware, die bestimmte Hersteller bevorzugt, auch ist ein Preismoratorium für 2 Jahre vorgesehen. Was aber auf besonders erbitterten Wiederstand stösst, ist die geplante Bonus-/Malus-Regelung. Sie sieht vor, den Vertragsärzten Geld vom Honorar abzuziehen, wenn bestimmte Grenzwerte in der Medikamentenverordnung überschritten werden und - was neu ist - Ärzten boni für besonders sparsame Verordnung zu gewähren. Die Bundesgesundheitsministerin spekuliert offensichtlich auf eine "honorarverbessernden Minimaltherapie".

Dann hätten wir eine verschärfte Version des Medikamentenbudgets - das übrigens von Frau Schmidt nach ihrer Amtsübernahme als Art "vertrauensbildende Massnahme" abgeschafft wurde. Zur Erinnerung: Ärzte verweigerten die Verschreibung von Medikamenten mit Hinweis auf das Budget, Patienten wurden auf grosse Überweisungstour geschickt, in der Hoffnung, dass der Kollege die Medikamente zu Lasten seines Budgets verschreibt.

Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Veränderungen bei den Festbeträgen könnten im Extremfall bewirken, dass nur noch 45% der Verordnungen ohne Zuzahlungen der Versicherten zu erhalten sind, da Erstattungsgrenzen durchgängig stark gesenkt werden sollen. Somit werden viele Präparate anders als früher weit über dem neuen Festbetragspreis angeboten werden. Die vorgesehene Möglichkeit von Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Hersteller ist bei 250 Krankenkassen in Deutschland eine ganz besondere Herausforderung, aber wird wahrscheinlich ins Leere laufen. Warum sollten Pharmaunternehmen freiwillig flächendeckend Rabattverträge anbieten, wenn sie andererseits nicht bereit sind, Preissenkungen auf den Festbetrag vorzunehmen?

Fazit: Patienten, Ärzte Apotheker, Hersteller - keiner bleibt ungeschoren. Eine Vorgeschmack auf die grosse Reform. Da klingt die Reform-Ankündigung der Minsterin eher nach einer Drohung: ..., dass künftig jeder in diesem Land versichert ist, jeder den Zugang zu allen notwendigen medizinischen Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts hat und dass jeder sich an der Finanzierung des Gesamtsystems angemessen beteiligt.
 
[Arzneimittel]
Autor: strappato   2006-01-21   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  


pepa.   2006-01-22  
Fein hier!
:-)

"Zur Erinnerung: Ärzte verweigerten die Verschreibung von Medikamenten mit Hinweis auf das Budget, Patienten wurden auf grosse Überweisungstour geschickt, in der Hoffnung, dass der Kollege die Medikamente zu Lasten seines Budgets verschreibt. "

Besonders bitter ist diese Nummer auch bei der Antibiotikatherapie.
In der letzen Zeit sind nach meinem Empfinden immer mehr Infektionen mit alten und damit deutlich preiswerteren Mitteln behandelt worden.
Mit dem Erfolg, dass diese bei den immer resistenter werdenden Keimen nicht mehr greifen, die Krankheitsdauer unnötig verlängert wird und dann letztlich doch auf ein wirksames, neueres und damit auch teureres Antibiotikum umgestiegen werden muss.
Beispiel Angina tonsillaris. Obwohl selbst Breitspektrumpenicilline wie Amoxicillin in vielen Fällen nicht mehr greifen, sondern eigentlich schon fast primär Cephalosporine verordnet werden müssten, werden viele Patienten immer noch mit Penicillin V versorgt - und heiter sprießt der Eiter weiter.
Bin gespannt, ob es dank der Sparmaßnahmen irgendwann wieder vermehrt zu rheumatischem Fieber, rheumatischer Karditis und/oder Glomerulonephritis kommen wird.
Zu befürchten ist es.
(Vielleicht sehe ich aber auch einfach nur viele Patienten, bei denen die Therapie versagt - dienstbedingt sozusagen.)


strappato   2006-01-22  
Antibiotika-Therapie ist ein ganz besonderes Thema:

Nach dem im GKV-Modernisierungsgesetz eingefügten § 73 Absatz 8 SGB V haben die KVen und Krankenkassen die Vertragsärzte über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und die jeweiligen Preise zu informieren (auch vergleichend). Dies ist mit den Kosten nach den Angaben der ATC/DDD anzugeben (amtliche deutsche Fassung mit DDD-Angaben). Einige KVen publizieren mittlerweile Preisvergleiche auf Basis der DDDs (Tagesdosen) und beispielsweise in Hamburg haben die bereits sogar Eingang in die indikationsbezogene Richtgrößenvereinbarung gefunden.

Nach den ATC-Code sind aber alle Penicilline in der Hauptgruppe J01C - eigentlich müsste sich der Arzt das preiswerteste Anhand der DDDs raussuchen. Leider spielt da der Erreger nicht immer mit... Die Schmerztherapie ist ein anderes Problemfeld, da hier die DDDs sich nach der Stärke des Schmerzes richten müssen.

Wenn das Arzneimittelspargesetz wie vorgesehen verabschiedet wird, und die Wirtschaftlichkeit an vereinbarten Tagestherapiekosten gemessen wird, dann sind solche Probleme vorprogrammiert.


pepa.   2006-01-22  
Na prima!
Lassen wir doch die resistenten Keime das Problem unseres Gesundheitswesens lösen.

Das mit der Schmerztherapie habe ich an diesem Wochenende auch gehört.
Als ob es auf diesem Gebiet nicht ohnehin schon genug Unterlassungssünden gäbe.

Einer der älteren anästhesiologischen Kollegen drückte das gestern so aus:
"Im Rahmen der Einsparungen werden wohl wieder die Leitungsblockaden in den Vordergrund rücken."
Er meinte damit z.B. die alten und nicht ganz ungefährlichen Methoden, mit hochprozentigem Alkohol oder Phenol rückenmarksnah die sensiblen Leitungsbahnen zu zerstören. Wer das kann, der kommt sogar ohne bildgebende Verfahren aus. Wer nicht, der kann ziemlichen Schaden anrichten und wer kann so etwas heute noch?
Aber egal, ist halt billiger als teure Opiate und Co-Analgetika und wo gehobelt wird...

Und was ATC und DDD angeht - ich sehe mich schon im Bereitschaftsdienst eine ganze Bibliothek mit in den fünften Stock schleppen - für 'nen Palm reicht der Punktwert sicher nicht mehr.
;-)








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