Arithmetik

Journalisten können nicht recherchieren - oder nicht rechnen. Wahrscheinlich sogar beides.

Die Bundesregierung will die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen reduzieren. Mindestens eine Million Versicherte soll eine Krankenkasse dann haben. Reuters schreibt dazu: Mindestgrenze eingeführt werden, würde sich die Zahl der Krankenkassen um 110 bis 120 verkleinern, ... und alle übernehmen das,

Wollen wir mal rechnen, anhand der Zahlen in Wikipedia: 70,3 Millionen Bürger sind gesetzlich krankenversichert. Es gab am 1.1.2006 noch 253 Krankenkassen. Wenn eine Krankenkasse mindestens 1 Million Versicherte haben soll, dann ist rechnerisch höchstens Platz für 70 Kassen. Macht am Ende einen Verlust von mindestens 180 Kassen. Praktisch wären höchstens 50 Krankenkassen denkbar. Übrigens die Zahl, die Ulla Schmidt schon lange favorisiert. Das würde das Aus für 200 Krankenkassen bedeuten - und nicht 110-120 wie es die Presse gegenseitig als Zahl übernimmt.

Was gravierender wäre. Auch die Spitzenverbände der Krankenkassen in Bund und Ländern wären damit zum grossen Teil überflüssig, genauso wie die Einteilung der Kassenarten in Primär- und Ersatzkassen und die Unterscheidung zwischen landes- und bundesunmittelbaren Krankenkassen. Fast eine Revolution im Krankenkassenbereich. Das würde den Einfluss der Krankenkassen auf die Gesundheitspolitik erheblich steigern. Wer zahlt bestimmt die Musik. Die Folgen wären also erheblich weitreichender - ein Aspekt, den die Journalisten bisher übersehen haben.
 
[Reform]
Autor: strappato   2006-06-27   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2006-06-27  
Dem Bildblog war das kürzlich auch schon aufgefallen, und ich dachte, ich hör nicht recht, als ich den gleichen Unsinn heute morgen in einem öffentlich-rechtlichen Qualitäts-Nachrichtenradiosender hören musste.


auch-einer   2006-07-06  
das mit dem gesundheitsfonds müsste doch zu einer umschichtung des personals führen.

"Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Hans Jürgen Ahrens, befürchtet sogar noch weitere Lasten, die auf die Verwaltungen der Kassen zukommen könnten. Dann nämlich, wenn eine für den geplanten Gesundheitsfonds zuständige Behörde ihren Dienst aufnimmt. In der Folge, so der Verbandschef, könnten viele tausend Arbeitsplätze bei den Kassen überflüssig werden, die dann sozialverträglich abgebaut werden müssten." so der spiegel

also, 200 krankenkassen zu je einem vorstand und zwei stellvertretern wären 600 arbeitsplätze die wegfallen und deren inhaber dann so schwer vermittelbar sein werden, dass da richtig abfindungen fällig werden würden.


strappato   2006-07-07  
Kassenfusionen sind der wirkliche Arbeitsplatzkiller. Eine Krankenkasse hat ja nicht nur einen Vorstand und eine Fusion rechnet sich nur, wenn Einsparungen erreicht werden.

Die Krankenkassenmitarbeiter gehören nicht gerade zu den hochqualifizierten Kräften. Viele, gerade Ältere sind nicht mal Sozialversicherungsfachangestellte. In einem Unternehmen kann man mit denen nicht viel anfangen. Und wie es im Öffentlichen Dienst aussieht ist ja bekannt.


auch-einer   2006-07-08  
es ist also nicht so, dass der noch einzurichtende gesundheitsfonds in vergleichbarem umfang personal erfordert, wie bei den kassen freigesetzt werden könnte.

dass die krankenkassen in ähnlicher weise der arbeitsplatzbeschaffung dienen, wie die sparkassen, war mir bisher nicht bekannt.


strappato   2006-07-08  
Wieviel Bürokratie der Gesundheitsfonds benötigt, weiss keiner. Aber es ist ja eigentlich nur eine Geldsammel und -verteilstelle. Ich glaube nicht, dass es wirklich das bürokratischen Ungetüm wird, wie es von den Kritikern gerne an die Wand gemalt wird. Auf der anderen Seite verlieren die Krankenkassen den Beitragseinzug. Vorteil für die Unternehmer: Sie müssen nicht mehr die Beiträge an unterschiedliche Kassen abführen, sondern an eine Stelle.

Ein Punkt werden die zusätzlichen Mittel sein, die die Krankenkassen einsammeln, wenn sie mit den Beiträgen aus dem Fonds nicht klarkommen. Einkommensanteil oder Kopfbetrag? Beim Einkommensanteil ist der Aufwand sicher einiges höher.

Natürlich brauchen die Krankenkassen auch mehr Personal. Aber das muss Verträge mit Ärzten, Krankenhäusern und Pharmaunternehmen aushandeln, da die Möglichkeiten der Krankenkassen erweitert werden sollen, Vereinbarungen zu treffen, die von den Kollektivvereinbarungen abweichen oder hinausgehen. Die Kassen müssen Hausarzttarife anbieten, aber den Ärzten steht frei, sich dem anzuschliessen. Auch Verhandlungsarbeit. Auch die Möglichkeiten der Integrierten Versorgung werden erweitert, die Pflegeversicherung soll einbezogen werden.

Alles Arbeit für Fachleute. Die die Kassen aber nicht im notwendigen Umfang haben. Alleine dadurch wird es zu Fusionen kommen, da kleine Kassen dies nicht leisten können.

Also: Weniger Fussvolk, mehr Offiziere. Ob das billiger wird, ist fraglich.








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