Expertokratie Wir leben in einer Expertokratie. Das ist kein neuer Befund. Aber wieviele Experten es mittlerweile gibt, ist erstaunlich. Mehr als drei Viertel der Bundesbürger lehnen die geplante Gesundheitsreform ab. In einer Umfrage für das Magazin „Stern“ erklärten 78 Prozent der Befragten, dass man die Reform in dieser Form nicht durchführen und die Grundzüge der Reform nochmals neu aushandeln sollte. Ich bin noch nicht soweit mit der abschliessenden Bewertung der Gesundheitsreform, auch weil es noch viele offene Details gibt, die einen grossen Einfluss auf das Resultat haben. Da wissen also 87% der Bürger (13% antworteten "weiss nicht") mehr über die Gesundheitsreform als ich, obwohl ich die Eckpunkte gelesen habe und mir anmasse, die Folgen halbwegs beurteilen zu können. Umsonst die beiden Studiengänge, die Promotion und die 15 Jahre Tätigkeit in Gesundheitswissenschaft, -politik und -beratung. Spass beiseite. Solche Umfragen sind geradezu fahrlässig, da wohl für jeden Befragten "Die Gesundheitsreform" etwas anderes ist. Sozialwissenschaftler würden sagen: Die Validität fehlt. Diese Befragungen sind also nur dazu da, um Stimmung zu machen. [Reform]
truthcomeslast 2006-09-01 Aber: Im parlamentarischen Regierungsgeschäft spielen wiederum die Stimmungen in der Gesellschaft so gut wie keine Rolle. Es ist ja ein Märchen, daß die Politiker auf die Stimmungen in der Gesellschaft hören würden, damit sie wiedergewählt werden. Sie hören auf gar nichts, außer auf die Entäußerungen des Machtwillens der den jeweiligen Problemen zugeordneten Lobby. Das ist ja das Tolle an unserer meinungsfreien Experto-Demo-kratie: Reden dürfen wir alle, wo es doch ohnehin keine Rolle spielt, wer was sagt und wer was anderes sagt. Das Experten-Sein verleiht in diesem Zusammenhang nicht so sehr größere Autorität, es hilft vielmehr dabei, Gehör zu finden und die eigene Stimme in die Stimmung einzubringen. Das muß man noch näher erforschen: Den Totalitarismus des "Jeder-darf-alles-sagen-weil-es-ja-ohnehin-egal-ist-und-auf- die-tatsächliche-Politik-keinen-Einfluß-hat".
Solche Umfragen helfen auch, die Ohnmacht des Bürgers gegenüber der Politik zu überdecken. Er hat kaum Einfluss auf Entscheidungen. "Den Politikern mal die Meinung sagen" ist da befreiend. Wenn man zynisch ist, könnte das an panem et circenses erinnern.
Die Komplexität der Themen - auch in der Gesundheitspolitik - wirkt lähmend auf das politische Interesse und die Beteiligung an Entscheidungen. Und die Medien fördern und unterstützen dies, statt ihrer Aufgabe nachzukommen, Transparenz zu schaffen und zu informieren.
Es klingt vielleicht komisch, aber um in den Medien Transparenz zu schaffen, müßte man weg von der piecemeal-Information, dem Infotainment etc., vielmehr müßte man genug Platz und Zeit einräumen, um komplexe Themen komplex vorzustellen, damit sich dann Transparenz einstellen kann ...
Das ist aber auch ein grundsätzliches Problem der journalistischen Arbeitsweise, auf welcher die Informationsverhaushaltung unserer Gesellschaft beruht: Ich erinnere mich, bei einem Interview im Radio auf eine Frage etwas gesagt zu haben, da meinte dann der Journalist: "Können Sie das auch an einem Beispiel belegen?" Dann ging es weiter, nächste Frage, ich sagte etwas, dieses Mal anhand eines hübschen Beispiels, und ich bekam dann zu hören: "Ja, das sagen Sie jetzt so, aber kann man das auch allgemein fassen?" Ich hätte ihn am liebsten geohrfeigt. Aber mir ist klargeworden: Für Beispiele (lies: Besprechung von Einzelfällen in ihrer Komplexität) und allgemeine Aussagen (lies: Reduzierung von Komplexität hin zu generellen "Systeminformationen") ist meist nicht gleichzeitig Platz und Zeit. Die Medienlandschaft (wie aber auch die meisten Rezipienten!) ist nicht geduldig, und sie verwechselt knappe, nach Möglichkeit von Experten gegebene Meinungen zu komplexen Themen mit Transparenz. Wirkliche Transparenz benötigt die detaillierte Aufarbeitung von komplexen Problemen. Darin könnte dann echte Information bestehen.
Das meinte ich auch damit, Komplexität kann man nicht auf zwei Schlagworte zusammen dampfen. Ich habe mal gelernt: "Ist der Journalist auch noch so fleissig, nichts geht über eins-dreissig." Grauenhaft.
Ein Problem ist aber auch der Mangel an Journalisten, die Ahnung haben und die richtigen Fragen stellen können. Es gibt Themen, wo mehr darauf geachtet wird, bsp: Aussenpolitik, aber bei der Gesundheitspolitik darf sich anscheinend jeder Journalist versuchen. Das ist aber bei den Politikern nicht anders. >> Kommentieren hockeystick 2006-09-01
Apotheken Umschau. Nicht schlecht. Die Kernfrage ist: Was ist für die Befragten "Beten"? Auf jeden Fall nicht das, was die Kunden und Leser der Islamic Republic News Agency sich darunter vorstellen.
>> Kommentieren hockeystick 2006-09-04
Im Prinzip so was ähnliches wie ein Konsensverfahren bei Leitlinien...
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