Gabapentin case-study

In der Regel kommen Informationen über die unerlaubten Marketing-Aktivitäten von Pharmakonzernen nur zufällig und unsystematisch an die Öffentlichkeit. Ein Gerichtsverfahren in den USA wegen unerlaubten off-label Marketings beim Medikament Gabapentin ermöglicht nun einen tiefen Einblick in die Methoden des Pharmamarketing. Betroffen ist das Unternehmen Parke-Davis, damals eine Abteilung von Warner-Lambert (Werner-Lambert wurde im Jahr 2000 von Pfizer übernommen).

In einem Artikel beschreiben vier Wissenschaftler, die dafür 8.000 Seiten unternehmensinterne Dokumente gesichtet haben, wie das Pharmamarketing alle Bereiche eines Pharmakonzerns beeinflusst. Die Autoren legen dar, dass nicht nur die direkten Aktivitäten, wie Anzeigen, sondern auch Weiterbildungsveranstaltungen für Ärzte und Patienten, bis hin zur Forschung, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Vergabe von Stipendien im Dienst der Vermarktung eines Medikaments stehen.
Steinman MA, Bero LA, Chren MM, Landefeld CS. Narrative review: the promotion of gabapentin: an analysis of internal industry documents. Ann Intern Med 2006;145:305-307.

Ihrem Fazit kann man ohne weiters zustimmen:
There is widespread agreement that commercial interests should not influence the clinical decisions that physicians make on behalf of their patients. As a result, a complex system has evolved to help manage these conflicts, focused primarily on disclosure and self-regulation by physicians, professional organizations, and the pharmaceutical industry. These efforts have been largely ineffective, and the techniques used to promote gabapentin illustrate how commercial interests can intrude into the practice of medicine in both visible and hidden ways. Incremental efforts to strengthen the existing patchwork of guidelines are unlikely to be sufficient in an environment where marketing is so deeply embedded and where the borders between research, education, and promotion are more porous than is commonly recognized. New strategies are needed, including rigorous regulatory oversight, strict sequestration of commercial and scientific activities, and a fundamental internal reevaluation of the interactions between individual physicians, professional organizations, and industry.

In einem Beitrag in der San Francisco Business Times bringt der Journalist Daniel S. Levine es auf den Punkt:
To borrow from Moyers, it may be that research and medical education is what pharmaceutical companies don't want you to know. Everything else is marketing.

Er bezieht sich dabei auf eine Rede seines Kollegen Bill Moyers über das Versagen der Journalisten, die der Regierung die Meinungsbildung überlassen, weil sie nur Pressemitteilungen wiederholen und bei der Information der Leser über Hintergrund und Kontext versagen. Moyers sagte: "I came to see that news is what people want to keep hidden and everything else is publicity". - und Levine zeigt damit für mich auch die Mitschuld der Wissenschafts- und Medizinjournalisten an diesem Zustand.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-11-15   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2006-11-16  
"I came to see that news is what people want to keep hidden and everything else is publicity"

Ich muss lachen. Ich blätter gerade durch die druckfrische November-Ausgabe des BDI-Organs "Der Internist" aus dem Thieme-Verlag Springer-Verlag. Und ganz hinten finden sich zwei Seiten "News & Views" mit einem dubiosen separaten Impressum, in dem was von "Springer-Verlag" und "Kommunikation" steht. Und sieh da, sie schreiben, dass Pfizers neues Torcetrapib ganz toll den HDL-Spiegel erhöht. Die eigentliche Nachricht, dass Pfizer nämlich mit dem Medikament hochkant von einer Konferenz geflogen ist, und dass das Zeug bedrohlich den Blutdruck erhöht, das steht da nicht.

[Edit: Grund für die Verwechslung: Die beiliegende DGIM-Jahresbroschüre ist von Thieme, das Heft selbst von Springer]


hockeystick   2006-11-16  
Die PR-Spezialisten von Springer, die für diesen Informationsmüll verantwortlich zeichnen, sitzen übrigens hier.

Im Heft schaut das ausgesprochen redaktionell aus. Ich kann nicht soviel essen wie ich kotz schreiben wie ich booen möchte.

Wo ich gerade dabei bin. In dem Springer-Blättchen sind rund ein Dutzend Artikel mit noch weit mehr Autoren. Preisfrage: Wieviele davon geben einen Interessenkonflikt an?

Lösung: einer. (Die anderen äußern sich nicht zu der Frage)








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