Pharmaaussendienst als Seelentröster

Eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite schmieden die Pharmaunternehmen Pläne, ihren Aussendienst zu verkleinern. Auf der anderen Seite sieht man bei Befragungen, dass die Ärzte mit dem Pharmaberatern recht zufrieden sind.

Klar gibt es auch negative Stimmen. Aber da muss man die Ärzte schon ziemlich bearbeiten, um das Gewünschte aus ihnen heraus zu locken. Kein Wunder, dass Kritiker immer wieder darauf hinweisen, dass sich Ärzte durch das Marketing der Pharmakonzerne enorm pdf-Dateibeeinflussen lassen. Eine vor kurzem gegründete Initiative unbestechlicher Ärzte und Ärztinnen, die sich dem Marketing der Pharmaindustrie verweigern wollen, kommt nicht so recht vom Fleck.

Paradiesische Zustände für die Pharmaindustrie. Die jahrzehntelange Anstrengungen, die Ärzte mit Gefälligkeiten und Motivationshilfen bei der Therapiewahl zu unterstützen, haben sich gelohnt. Sollte man meinen.

Aber warum zweifeln die Pharmakonzerne dennoch am Nutzen des teuren Aussendienstes?

Weil die Erwartungshaltung der Ärzte nicht mit den veränderten Bedingungen des Pharmamarktes zusammenpasst. Dies lässt sich nur schwer mit Umfragen messen. Überdies gibt es keinen wissenschaftlichen Standard für Ärztebefragungen, was dazu führt, dass die Fragen aussehen, als wären sie beim Brainstorming während der Pause in der Teeküche entstanden.

Ein qualitative Befragung eines auf Medizin spezialisierten Marktforschungsinstituts bringt Bemerkenswertes zum Vorschein.

Zur Einordnung: Das Institut IMIG hilft der Pharmaindustrie mit vielfältigen Methoden bei der Marketingplanung - von Wartezimmerbefragungen über Anzeigentests bis Patienten-Produktworkshops. In der Kundenliste sind alle bekannten Namen vertreten. Auch Selbsthilfegruppen werden als Zielgruppen genannt, mit denen das Institut Projekterfahrungen hat. Zwar nur unter "darüber hinaus", aber Selbsthilfeverbände sind ja eine relativ neue Zielgruppe für das Pharmamarketing. Da kommen sicher in Zukunft noch Projekte hinzu.

Auf den Internetseiten des Unternehmens findet man eine qualitative Arztbefragung, die im April 2005 im Rahmen eines Seminars zum Thema "Einführung in die qualitative Pharma-Marktforschung" von den Teilnehmern angefertigt worden ist: pdf-DateiEinstellung von Hausärzten zum Pharmareferenten 2005.

Die Statements der Ärzte sprechen Bände:
  • Man kennt auch die Leute schon über lange Jahre hinweg, da hat sich auch vielfach eine Freundschaft aufgebaut und das ist auch eine sehr schöne Sache und das ist dann sehr traurig, wenn die Person dann plötzlich kommt und sagt, ich muss jetzt leider auf Wiedersehen sagen.
  • Ich kenne die Präparate eigentlich in- und auswendig, es sind keine Innovationen dabei und die (Referentin) muss mich kennen lernen. Worauf spreche ich an, worauf reagiere ich, wie reagiere ich und das ist dann wieder ein Erarbeiten, wo ich sage, ok, ich kenne Ihre Präparate, Sie brauchen sie mir jetzt nicht im Einzelnen vorstellen.
  • Was auch schlimm ist, wenn sie ins Bitten kommen, 'Können Sie nicht mal das Präparat aufschreiben, danach werde ich in den nächsten Monaten gemessen'. Da kommt auch noch diese Angst da vor, das zeigen die auch, die zeigen ihre Angst, dass die ihren Job verlieren, wenn man die Medikamente nicht verschreibt.
  • Es beginnt eigentlich mit der Sensibilität des Aussendienstmitarbeiters, dass er sagt, ok, der Doktor ist jetzt entspannt, gesprächsbereit oder der sitzt auf Kohlen, da mache ich es kurz. Einfach dieses Mitfühlen, was kann ich von meinem Gegenüber erwarten.
  • Früher sind Pharmareferenten auch ehemalige Friseure geworden, alle möglichen Verkäufer, die waren aber alle sozial kompetent und die hatten auch Erfolg. Das müssen nicht irgendwelche akademischen Wissenschaftler sein, die irgendwas vorstellen. Wir sind mit den anderen bestens zurechtgekommen.
  • Wir sollen ja im Prinzip deren Produkt verordnen, also sollte da eine gewisse partnerschaftliche Beziehung bestehen, die vermisse ich manchmal von Seiten der Firma, wo ich sozusagen mich nur als Handlanger fühle, in Form bei diesem Pressing, dass man sagt, das musst du jetzt verordnen oder wie auch immer.
  • Ich persönlich schätze eigentlich eher den kleinen Rahmen, nicht die Grossveranstaltung unbedingt. Und wenn im Prinzip eine solche Weiterbildungssituation im kleinen Kreis auch von der Firma gesponsert wird, ist es schon etwas, und wenn dann auch die Präparate im Rahmen dieses Themas vorgestellt werden, ist das etwas, was einen positiven Eindruck hinterlässt.
  • Es gab mal so Kunstführungen, das sind einfach Dinge, da geht es jetzt gar nicht so sehr ums Geld, da geht es mehr um die Organisation und so jemand kennt man natürlich. Jemand, der da irgendwas für uns organisiert. Und das ist eigentlich schade jetzt, dass das so verboten wird. Die Pharmareferenten haben uns da auch etwas ermöglicht, was wir gar nicht so schaffen. Hausärztekreise und so was, dass man sich auch mal ungezwungen auch irgendwo trifft, das ist eigentlich schade.
Ja, eigentlich schade, dass der Pharmaberater nicht nur eine nette Abwechslung und Gelegenheit zum Plaudern im Praxisalltag ist und die Pharmaindustrie nicht nur eine Eventagentur, die den privaten Ausstausch von Ärzten organisiert. Diese Erwartungen und die Realität auf dem Pharmamarkt - da tun sich Abgründe auf. Die Ärzteschaft will emotionalen Zuspruch und die Industrie verlässliche Zahlen.

Diese qualitative Studie im Rahmen eines Seminars bietet nur eine Momentaufnahme der Gemütslage. Sie bestätigt meine Erfahrungen, die ich bei Expertenbefragungen mit Ärzten mache, die als Key Opinion Leader nicht ohnehin im Fokus des Pharmaindustrie-Interesses stehen.
 
[Pharmaaussendienst]
Autor: strappato   2007-03-02   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2007-03-02  
Ich zucke ja immer ein wenig zusammen, wenn ich das Wort "Pharmaberater" ohne Anführungszeichen lese.


strappato   2007-03-02  
Ist halt die Bezeichnung im AMG.


hockeystick   2007-03-02  
"Informationsbeauftragter" ist fast noch schöner.








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