Selbsthilfe und DTC-Werbung

Werbung für verscheibungspflichtige Medikamente darf in Deutschland nur Fachkreise erreichen. Ein dreister Fall, wie Pharmaunternehmen trotzdem direkt den Patienten ansprechen (DTC - direct to consumer) erreichte, mich heute per E-mail. Dieser Artikel soll am 21. Mai in der Verdener Aller-Zeitung veröffentlicht worden sein.

Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) lädt zu einer Informationsveranstaltung in Verden ein, bei der es um nur ein Medikament geht - den monoklonalen Antikörper Tysabri®. Das Präparat wird natürlich schon im Artikel mit Handelsnamen genannt. Die Veranstaltung wird vom Hersteller Biogen Idec bezahlt, inkl. ein paar Schnittchen für die Besucher. Ich nehme mal an, dass auch die Referentin nicht für Gottes Lohn auftritt.

Sehr unverfroren. Das Thema wurde noch nicht einmal unverbindlicher formuliert, etwa: "Einsatzmöglichkeiten neuer gentechnisch hergestellter Medikamente" oder so. Irgendwie habe ich das Gefühl Österreich ist überall.

Übrigens ist die DMSG auch Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Deren Mitglieder haben sich zu der Einhaltung von Leitsätzen verpflichtet. Ein paar Punkte:
2. Information und inhaltliche Neutralität
a. In Kooperationen mit Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, Anbietern von Heil- und Hilfsmitteln sowie Dienstleistungen und anderen Unternehmen, die Produkte für behinderte und chronisch kranke Menschen herstellen oder vertreiben, wird auf eine eindeutige Trennung zwischen Informationen der Selbsthilfeorganisation, Empfehlungen der Selbsthilfeorganisation und Werbung des Unternehmens geachtet. Die Selbsthilfeorganisationen informieren über Angebote, beteiligen sich aber nicht an der Werbung.

Werbung von Wirtschaftsunternehmen ist grundsätzlich zu kennzeichnen.

b. Die Selbsthilfeorganisation gibt grundsätzlich weder Empfehlungen für einzelne Medikamente, Medikamentengruppen oder Medizinprodukte, noch Empfehlungen für bestimmte Therapien oder diagnostische Verfahren ab.
...
Die Selbsthilfeorganisation trägt dafür Sorge, dass bei von ihr organisierten und durchgeführten Veranstaltungen stets die Neutralität und Unabhängigkeit gewahrt bleibt.
...
Bei der Festlegung der Inhalte und bei der Auswahl der Referenten achtet die Selbsthilfeorganisation insbesondere darauf, dass die Sachverhalte objektiv dargestellt und behandelt werden. Dies schließt eine einseitige Darstellung zu Gunsten eines bestimmten Unternehmens, einer bestimmten Therapie oder eines bestimmten Produktes grundsätzlich aus. Die Selbsthilfeorganisation trägt Sorge dafür, dass die behandelten Themenbereiche nicht allein von Referenten, die bei dem jeweiligen Sponsor angestellt sind oder vom dem jeweiligen Sponsor finanziell abhängig sind, behandelt werden.

 
[Tysabri]
Autor: strappato   2007-05-23   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


hockeystick   2007-05-24  
Für mich ein klarer DMSG-Boo.

Ergänzend vielleicht noch die Einschätzung des Arzneitelegramms von August 2006 zu Tysabri.:

Da der Wirksamkeitsnachweis für die zugelassenen Indikationen fehlt und tödliche Risiken in nicht überschaubarem Ausmaß drohen, verbietet sich unseres Erachtens die Anwendung der toxischen Substanz in einem unkontrollierten Feldversuch.

Aus ethischen Gründen sehen wir eine Rechtfertigung für den Gebrauch nur im Rahmen valider randomisierter kontrollierter Studien zur Klärung von Wirksamkeit und Sicherheit der Monotherapie mit dem Antikörper bei den Patienten, für die das Mittel zugelassen wurde

Die Kosten liegen mit rund 2264 Euro in 4 Wochen knapp doppelt so hoch wie bei Interferon beta 1a oder 1b oder Glatiramerazetat.


strappato   2007-05-24  
Könnte auch ein Biogen Idec boo sein. Die feine, ethische, dem Heilmittelwerbegesetz entsprechende Art ist das ja nicht.


hockeystick   2007-05-24  
Hier noch eine Einladung zu der gleichen Veranstaltung.

Aus dem "Achimer Kurier" online:
Informationsabend der MS-Kontaktgruppe

LANDKREIS (ENI). Auf Einladung der MS-Kontaktgruppe Verden/Achim der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) referiert am Mittwoch, 30. Mai, Dr. Ilka Rath, Fachärztin für Neurologie und Psychatrie in Rotenburg/Wümme, im Niedersachsenhof an der Lindhooper Straße 97 in Verden. Im Mittelpunkt des Vortrages wird ab 19 Uhr das jetzt in Deutschland zugelassene Medikament "Tysabri" mit dem Wirkstoff Natalizumab stehen. Da während der Veranstaltung ein kleiner Imbiss gereicht wird, ist eine telefonische Anmeldung bis Freitag, 25. Mai, unter 0 42 02 / 74 71 unbedingt erforderlich.



galapagos   2007-05-24  
Da empfehle ich Pharmafirmen und Selbsthilfegruppen doch gleich das Buch Patientologie von Frau Dr. Stefanie Hornung als Anleitung zum Inkasso von Patienten!


fabianfuchs   2007-05-24  
Danebengegangen
Tja, aber das läuft doch meist so. Das macht es überhaupt nicht besser oder in Ordnung. Da wird wenig subtil geworben. Zur Not bedient man sich solch vorgeblich seriöser Firmen wie BSMO und sponsert denen ein Patientenportal.








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