Med(ien)izinskandal in Österreich In Österreich ist ja einiges in Sachen Pharmamarketing möglich, was in Deutschland nicht so ohne weiteres akzeptiert werden würde. Einige Beispiele stelle ich auch im blog immer wieder vor. Um so mehr überrascht die Heftigkeit der öffentlichen Entrüstung, die zwei Ärzte getroffen hat. Ich versuche den Fall einigermassen hier wiederzugeben, was durch die Vielzahl der Veröffentlichungen nicht einfach ist. Der Stein, der die Affäre ins Rollen brachte: Ein Artikel im Nachrichtenmagazin "News": news_19-07 (pdf, 945 KB). Auf mehreren Seiten erzählt eine Starfriseurin von ihrer wundersamen Krebsheilung, die sie zwei Ärzten verdankt. Prof. Johannes Huber und Prof. Sepp Leodolter haben demnach ein Aufsehen erregendes Therapiekonzept entwickelt, das Stammzellen zu "Krebskillern" umbaut. Der Artikel ist gespickt mit typischen "news" Wie sich schnell herausstellte ist die Therapie bisher von den beiden nur in Studien angwandt worden, die den üblichen Qualitätskriterien nicht entsprachen. Die beiden Mediziner sind Mitinhaber des Kremser Instituts "Cell Med Research", das das Verfahren entwickelt. Im Artikel steht dagegen: ... die ihre Kompetenz dort kostenlos zur Verfügung stellen.... Kostenlos, aber wohl nicht umsonst. Darüber hinaus gab es Meldungen, dass es dem Institut finanziell nicht so gut gehen würde und ein wenig Publicity zur rechten Zeit kam. Ende Mai hatte die Zeitung "Die Presse" schon positiv über Cell Med Research berichtet. Darin hatte Huber auch die Notwendigkeit, 3 Millionen Euro für eine klinische Studie aufzutreiben, angesprochen. Zudem kann man von "Neuheit" nicht sprechen. "Diese Therapieform wird seit dreißig Jahren diskutiert, seit zehn Jahren laufen weltweit Studien dazu. Allein 2006 seien etwa 1700 Veröffentlichungen zu dendritischen Zellen erschienen - darunter keine von Huber", wird Hellmut Samonigg, Krebsforscher an der Medizinischen Universität Graz, in der Süddeutschen Zeitung zitiert. In dem News-Artikel berichtet die Patientin, wie Huber ihr gesagt habe: "Sie sind gesund" - was er der ungläubigen Dame noch einmal wiederholte. In einem Interview mit dem Standard relativierte Huber dies und ruderte zurück: STANDARD: Lässt sich sagen, dass diese Heilerfolge eindeutig auf Ihre zusätzliche Behandlung zurückzuführen sind und nicht auf die konventionelle Behandlung? Huber: Nein. Der chirurgische Eingriff oder die Chemotherapie können das auch bewirkt haben. STANDARD: Sind die beiden genannten Krebs-Patientinnen tatsächlich als "geheilt" anzusehen? Huber: Nein, das kann man bei Krebs nie sagen. Was dann geschah, ist in der österreichischen Medizinmedien- und Pharmamarketinglandschaft ohne Beispiel. Fast alle von den Medien angesprochenen renomierten Mediziner bis hin zur Gesundheitsministerin Kodolsky kritisierten scharf den Artikel und die beiden Wunderheiler. Die sonst eher langweilige ORF-Talkshow "Im Zentrum" hatte mit dem Thema Wunderwaffe gegen Krebs oder falsche Hoffnung? eine Sternstunde, wenn man den Medien glauben darf, und eine Quote von 20% (Marktanteil). Mit Huber und Leodolter hat es zwei exponierte Ärzte getroffen. Huber, Vorsitzende der nationalen Bioethik-Kommission, wirbt gerne in Talkshows und in der Populärliteratur für die umstrittene Hormontherapie bei Frauen in den Wechseljahren und verfasst Bücher über Anti-Aging. Leodolter, Sohn der langjährigen Gesundheitsministerin unter Kanzler Kreisky in den 70er Jahren, hat auch keine Probleme damit, beispielsweise für das Pharmaunternehmen Organon eine Verhütungspille im Fernsehen zu präsentieren oder auf Pressekonferenzen als Experte aufzutreten. Es gibt zwei Fronten: Zum einen haben Huber und Leodolter mit dem Unternehmen "Cell Med Research" die Zelltherapie entwickelt und dazu auch an der Universitätsklinik eine klinische Studie - unentgeltlich für erkrankte Probanden - durchgeführt. Daneben waren aber auch Patienten entgeltlich mit von ihnen selbst gewonnen dendritischen Zellen "behandelt" worden - nach dem Artikel in der "Presse" für 14.000 Euro. Üblicherweise wird in der Medizin aber nur für anerkannte Behandlungsformen Geld genommen. Dieses unetheische Verhalten bringt besonders die Kollegen in der Medizinszene auf. Dass nur deutsche Patienten die Therapie bezahlt haben sollen, kann man unter das östereichische Lamento "die Deutschen sind immer schuld" abheften. Zum anderen steht die Art und Weise, wie für eine umstrittene Therapie in der Presse geworben wird, in der Kritik. Patienten werden verunsichert und es werden überhöhte Erwartungen geweckt. Dies hat in der Medienszene und in der Politik Verärgerung ausgelöst, die über den Fall hinaus grundsätzliche Fragen zur Arbeit der Medizinjournalisten in Österreich berühren. Selbst in Deutschland blieb der Skandal nicht unbeachtet. Es kam zum Rückzug: Huber und Leodolter steigen aus dem Institut aus. Natürlich nicht ohne ihre Unschuld zu beteuern. Öffentlich wird die Eignung Hubers, weiter der Bioethik-Kommission vorzustehen, in Zweifel gezogen. Aber wie so oft, kommen die Informationen nur scheibchenweise ans Tageslicht. Mittlerweile wurde bekannt, dass Huber noch an einer anderen Biotech-Firma beteiligt ist, die ihren grossen Auftritt einige Tage zuvor im Nachrichtenmagazin "profil" hatte. Ärztekammer, Ministerium, Universitätsgremien, Fachverbände und andere Organe werden sich in den nächsten Wochen mit dem Fall beschäftigen. Die Glaubwürdigkeit der beiden Ärzte ist dahin und auch die Pharmaunternehmen und Medien werden erstmal auf ihre Expertise verzichten. Bleiben noch die Konsequenzen für den Medizinjournalismus. Der Standard hat dazu zwei Kommentare veröffentlicht. Der deutsche Professor für Wissenschaftsjournalismus an der Universität Dortmund, Holger Wormer macht bei den Jourmalisten Unprofessionalität und zuviel Respekt vor den Weisskitteln aus und wiederholt seine oft genannten Argumente: Oft ist die Erklärung für eine gar zu sensationelle Medizinberichterstattung wie im Falle der Immuntherapie allerdings ganz banal: Sensationsdruck in den Medien, Unkenntnis, Unprofessionalität und vor allem zu viel Respekt vor der medizinischen Zunft. Ein Journalist, der statt großer, seriöser Studien bereits einzelne Heilungserfolge als Beleg für die Wirksamkeit einer Therapie akzeptiert, versteht sein Handwerk nicht. Und ein Journalist, der bei seinen Recherchen nicht merkt, dass gerade das Feld der Immuntherapie gegen Krebs (neben vielen seriösen Forschern) seit vielen Jahren auch durchsetzt ist von Geschäftemachern, hat nicht sauber recherchiert. Franz Mayrhofer, ehemaliger Wissenschaftschef bei den "Salzburger Nachrichten" und Vorsitzender des Klubs der Wissenschaftsjournalisten, wiegelt ab und schiebt die Schuld dem "bunten Blättchen" news zu, obwohl die seriöse Zeitung "Die Presse" schon Wochen vorher ebenfalls sehr unkritisch über die Therapie berichtet hatte. Verantwortlich für die Unprofessionalität sind für ihn die Verlage: Doch sollte man die Kollegen deswegen nicht gleich steinigen. Denn wenn z. B. der Österreichische Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zu einer Fortbildungsveranstaltung einlädt, weil ein international höchst angesehener Experte für einen Abend zur Verfügung stünde, haben von 20 Kolleginnen und Kollegen 13 sicher keine Chance, zu der Veranstaltung zu kommen. Warum? Weil sie zumeist noch in einem anderen Ressort mitzuarbeiten haben. Das ist die journalistische Realität. So wird die Verantwortung rumgereicht wie ein schwarzer Peter und ändern wird sich, zur Freude der Pharmaindustrie und Pharma-PR-Branche in Österreich, nichts. [Oesterreich]
siyani 2007-07-01 http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_dyn~uid,h1yuxihtog73kskd~cm.asp
Das begründet es, ersetzt aber das Lamento nicht: Wenn was schiefgeht, dann sans die Piefke.
>> Kommentieren siyani 2007-07-02 >> Kommentieren hockeystick 2007-07-02 >> Kommentieren |
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