Implantat-Rush (Update)

Zahnimplantate sind für Zahnärzte und Hersteller eine Goldgrube. Die geschätzte Anzahl der Implantationen in Deutschland stieg von 200.000 Implantaten im Jahr 2001 auf rund 450.000 (bei ca. 180.000 Patienten) im Jahr 2005. Deutschland ist Weltmeister bei den Zahnimplantaten. Weltweit werden pro Jahr 1,5 Mio. Zahn-Implantate gesetzt. Weiterhin sollen die Zuwachsraten jährlich bei 15-20% liegen. Obwohl es kaum qualitativ hochwertige Studien ("mit hohem Evidenzgrad") zur Versorgung mit Implantaten gibt.

Medien und Marketing haben dazu beigetragen, dass Zahnimplantate als Normalversorgung angesehen wird. Da bekommt schon mal eine Patientin von Werner Hotz, Leiter einer Privatklinik und Ehrenpräsident des Deutschen Zentrums für Orale Implantologie bei Günther Jauch in SternTV innerhalb von einer Stunde während einer Life-Sendung ein Implantat verpasst.

Die Pressemitteilung des Deutschen Arbeitskreises für Zahnheilkunde (DAZ) und der Vereinigung Demokratische Zahnmedizin (VDZM) zeigt ein anderes Bild.
In der anschliessenden Diskussion waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Implantologie sicherlich eine Erweiterung des zahnmedizinischen Behandlungsspektrums darstellt, aber keinesfalls den Raum und die Bedeutung einnimmt, wie er durch die Flut der Publikationen und den Druck interessierter Kreise der Öffentlichkeit suggeriert wird. Nach wie vor besteht ein enormer Bedarf an Forschung unabhängig von der Industrie zu Fragen von Anzahl, Lokalisation, Design und Material von Implantaten. Die tatsächliche Risikobehaftung der Implantologie, der operative Aufwand und die damit verbundenen Kosten sollten wieder vermehrt dazu führen, dass dem Erhalt der bestehenden biologischen Strukturen oberste Priorität in der zahnmedizinischen Betreuung der Patienten eingeräumt wird.

Was die Industrie nicht davon abhält weiter Zahnärzte für den "Zukunftsmarkt" zu gewinnen - z.B. morgen beim Implantag des Herstellers Astra Tech. Dort kommen wichtige Fragen wie "Patientenselektion - welche Implantatkandidaten befinden sich bereits in meiner Patientenkartei?" oder "Patientenmarketing - mit Motivation und guten Argumenten" zur Sprache.

Selbst der Gender-Aspekt wird genutzt, damit die Industrie ihre Implantate in die Münder bekommt: Seit Mai Anfang bietet Bundesverband der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa (BDIZ EDI) sein Curriculum Implantologie – exklusiv für Zahnärztinnen an.
An jedem Kurswochenende gibt es einen einstündigen Intensiv-Workshop unter dem Motto „ Praxis zum Wohlfühlen – für Behandler, Team und Patienten“, die den Spass an der eigenen Praxis erhöhen und die Gesundheit im Arbeitsalltag verbessern sollen.
Und damit der Spass nicht zu kurz kommt, veranstaltet der Verband nächste Woche ein Symposium an der Adriaküste von Serbien-Montenegro - gesponsert von den Dental-Herstellen Sirona, Wieland, Lifecore und Nobel Biocare.

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Update:
Ein Portrait der Chefin des Zahnimplantateherstellers Nobel Biocare, Heliane Canepa, und Details zum Zahnimplantate Marketing in der FTD.
So scheut sie keinen Aufwand, um Zahnärzte mit der Technik der Implantate vertraut zu machen. Allein im vergangenen Jahr hat Nobel mehr als 300.000 Mediziner geschult und weltweit 18 Universitäten gefördert. Ein bisschen zu viel Marketingtamtam, wie Kritiker meinen. Die Vertriebskosten standen 2006 mit satten 200 Mio. Euro in der Bilanz [bei 600 Millionen Umsatz] - während der Etat für Forschung und Entwicklung bei rund 18 Mio. Euro lag.

Sogar die Investmentbank Merrill Lynch, die Nobel Biocare grundsätzlich zum Kauf empfiehlt, warnt: Das Unternehmen lanciere seine Produkte in zu schnellem Rhythmus. Während früher alles fünf Jahre erprobt wurde, würden Innovationen mittlerweile "nach zwei Tierversuchen" auf den Markt geworfen, ätzt auch die Konkurrenz.

 
[Zahnaerzte]
Autor: strappato   2007-06-01   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  



 

Staatsanwaltschaft im Zahnärzte-Versorgungswerk

"Die Zahnarzt Woche" (DZW) (Ausgabe 19/07) berichtet, dass an die Ehefrau eines aus dem Verwaltungsrat des Berliner Versorgungswerks der Zahnärzte ausgeschiedenen Zahnarztes Provisionzahlungen im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften des Versorgungswerkes geflossen sind. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Aufgerollt hat den Fall die "Initiative Unabhängiger Zahnärzte Berlin" (IUZB). In einem Rundschreiben von Anfang Mai heisst es, dass Unterlagen zu Immobiliengeschäften verschwunden oder zumindest zurzeit nicht auffindbar seien. Im Artikel der DZW ist die Rede davon, dass die Staatsanwaltschaft Berlin nicht das erste Mal im Versorgungswerk mit Untersuchungen antritt.
 
[Zahnaerzte]
Autor: strappato   2007-05-15   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Zahnlos bei McZahn

Ganz unglaublich klingt, was die "Zahnarzt Woche" über eine Auseinandersetzung von McZahn mit einem Partnerzahnarzt der Kette berichtet. Hintergrund ist, dass sich der Zahnarzt weigert einen neuen Franchisevertrag mit schlecheren Konditionen abzuschliessen.
McZahn stoppte zusätzlich die Lieferung des Zahnersatzes. Jedoch stellte die AG laut Buchmüller eine Fortsetzung der Lieferung in Aussicht, wenn der Vertrag doch noch zustande gekommen wäre. Der Patient hat mit Koeser den Behandlungsvertrag. Er müsste für Nichtbehandlung haften und könnte erst in einem zweiten Verfahren versuchen, das Geld von McZahn wiederzubekommen. Die KZV Westfalen-Lippe habe laut Buchmüller schon gefordert, bereits erfolgte Abschlagszahlungen zurückzuzahlen, da Endabrechnungen nicht vorlagen. [...] Zirka einhundert Patienten warten auf ihre Behandlung, unter ihnen eine ältere Dame, der alle Zähne im Oberkiefer gezogen wurden. Sie wartet seit Wochen auf ihre Oberkieferprothese und muss nach wie vor mit einem Provisorium herumlaufen.

Fazit: Freiberufler, die solche Franchise-Verträge abschliessen, liefern sich dem Unternehmen aus. Denn die Haftung bleibt bei ihnen hängen. Bis hin zur Existenz: Denn bei Behandlungsverweigerung drohen ein Entzug der Kassenzulassung und strafrechtliche Massnahmen.

In dem Artikel im Tagesspiegel über das Unternehmen vor wenigen Wochen schwingt mit, dass das business-Model des von der Presse gefeierten Unternehmens nicht im Plan liegt. Wie auch bei DocMorris wurden die Wachstumserwartungen runtergeschraubt. Schon im Oktober schrieb die FTD, dass die Branche rätselt, wie das Unternehmen den geplanten rasanten Ausbau seiner Kette finanzieren will.

Ob ein Unternehmen, das den Zahnärzten Raubrittertum und moderne Abzocke vorwirft, der idealen Partner für freiberufliche Zahnärzte ist?

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Update: SPON und die FAS berichten über die Schwierigkeiten bei McZahn.
 
[Zahnaerzte]
Autor: strappato   2007-04-05   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 



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