Nachwehen einer Ausschussreise

Der Spiegel-Artikel über eine Reise des Bundestagsgesundheitsausschuss nach Kalifornien hat für mächtig Wirbel gesorgt. Nur ein Beispiel: Handelsblattblogger Thomas Knüwer hat den Tenor des Spiegels aufgenommen und die Reisegruppe mit einem Kegelclub auf Jahresausflug verglichen.

Einem Journalisten wie Knüwer sollte eigentlich in den Kopf kommen, ob die Darstellung des Spiegel stimmt und was wohl der Anlass der Dienstreise gewesen war. Stattdessen wird über Shopping und Freizeit spekuliert. Als Fachblogger hat mich der Fall interessiert und ich habe recherchiert.

Zum einen der Wahrheitsgehalt des Artikels. Da verschaffen die Ruhr-Nachrichten ein wenig Einblick mit den Stellungnahmen des Bundestagsabgeordneten Hubert Hüppe.

Zum Vorwurf "First Class":
Hüppe verwies auf seine Miles&More-Abrechnung: "San Francisco - Frankfurt, Business Class". Nein, First Class sei er nicht geflogen, musste Hüppe am Montag des Öfteren erklären.
Im Westfälischen Anzeiger erklärt Hüppe, er habe sogar angeboten Economy zu fliegen, weil nicht für alle Plätze da gewesen wären.

Zur "Englisch-Schwäche":
Um den Wagen zum Flughafen habe er in der Tat gebeten und auch um die sprachliche Unterstützung beim Einchecken. Den Steuerzahler sei das aber sicher nicht teurer gekommen, als wenn man ein Taxi genommen hätte.

Was bei aller Empörung über die Reise ausgespart bleibt, sind der Anlass und die Termine. Nach meinem Informationen ging es zum grossen Teil um Stammzellenforschung. Wir erinnern uns noch an die erbitterte Diskussion um die Novellierung des Stammzellgesetzes im Frühjahr. Der Bundestag hat am Ende eine einmalige Verschiebung des Stichtags beschlossen. Forscher dürfen damit künftig embryonale Stammzellen aus dem Ausland einführen, die vor dem 1. Mai 2007 entstanden sind. Am Montag dieser Woche hat der Bundespräsident das Gesetz unterzeichnet. Damit ist das Thema nicht gelöst, sondern nur verschoben. Grund genug für die Bundestagsabgeordneten, sich in den USA direkt bei Wissenschaftlern und Unternehmen zu informieren, könnte man meinen.

Ein Ziel war das California Institute for Regenerative Medicine. Die vom Staat Kalifornien ins Leben gerufene und mit 3 Milliarden Dollar für 10 Jahre ausgestatte Einrichtung ist der weltweit grösste Einzelförderer für Stammzellenforschung. Das dort verfolgte Förderkonzept hat grossen Einfluss auf zukünftige Entwicklung der Stammzellenforschung und Ansätze zur Heilung von Krankheiten.

In der deutschen Diskussion ist immer wieder auf die aktuellen ersten Erfolge der Wissenschaftler mit induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) verwiesen worden. Körperzellen erwachsener Menschen werden zu iPS umgewandelt, aus denen z. B. Herzmuskel- und Nervenzellen, herangezüchtet werden sollen. Was einige Fachleute darin bestärkt hat, dass die Forschung mit embryonale Stammzellen (ES) einen Irrweg darstelle. Davon ist auch das CIRM betroffen, da die Förderbedingungen einseitig auf die Forschung mit Embryonen ausgerichtet ist.

Weitere Stationen waren u.a. die Bayer AG in Berkeley, die in den dortigen Laboren an einer Behandlung für Parkinson-Patienten aus der Netzhaut toter Neugeborener forscht. Ausserdem ging es auch um die In-vitro-Fertilisation (IVF), die durch die Problematik der Erzeugung überzähliger Embryonen eng mit der Stammzellenforschung verknüpft ist.

Wenn es Gelegenheit gibt, dass sich Fachpolitiker mit den international führenden Wissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern auf dem Gebiet austauschen, ist dies meiner Meinung bei einem so wichtigen und umstrittenen Thema zu begrüssen.

Nicht von der Hand zu weisen ist der dem Spiegel zugespielte Brief des deutschen Generalkonsuls in San Francisco. Stellungnahmen der Betroffenen zu dem Spiegel-Bericht konnte ich nur von Hubert Hüppe finden. Die Leiterin der Reisegruppe, die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Annette Widmann-Mauz, schweigt.

Heute hat der Bundestagspräsident erklärt, er wolle die Vorwürfe wegen der USA-Reise des Gesundheitsausschusses im vergangenen Frühjahr aufklären. Vielleicht hilft die Presse und der Spiegel tatkräftig mit und beweist, dass sie mehr können als Vorurteile zu bedienen.
 
[Politik]
Autor: strappato   2008-08-20   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  


luto   2008-08-21  
Ist das *der* Bundestagspräsident, der den Heli-Flug von Frau Schavan mit der Spruch "Die Flugbereitschaft der Bundeswehr ist zum Fliegen da" verteidigt hat?








Stationäre Aufnahme












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