iPods für den Doktor Für fünf Patienten gibt es einen 17-Zoll-Flachbildschirm oder einen iPod mini, für 18 Patienten einen Laptop, einen Beamer oder einen PC mit Flachbildschirm. Wer schon genügend Elektrogeräte besitzt, der kann auch Bargeld nehmen, 40 Euro gibt es pro Patient. Als Gegenleistung muss nur das Blutdrucksenkungsmittel Emestar verordnet werden - und ein AWB-Bogen ausgefüllt werden, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Markus Grill zeigt uns auf Spiegel Online das vollständige Dokument zum Trommsdorff-Skandal, über das er vor einem Jahr in seinem damaligen Blog und im "Stern" berichtet hat. [Pharmamarketing]
hockeystick 2009-07-22
Auch üblich ist, dass bei AWBs der Arzt eine bestimmte Anzahl von Patienten erreichen muss. Oft gibt es ein Fallhonorar und zusätzlich ein Grundhonorar, das nur gezahlt wird, wenn die vereinbarte Anzahl eingeschlossen worden ist. Die Differenz von den 40 Euro zur finanziell interessantere Sachprämie könnte man dementsprechend als Zusatzhonorar für Zielerreichung sehen.
Man berichtet mir von Fällen, in denen Ärzte solcherlei Bögen nicht nur mit frei erfundenen Daten ausfüllen, sondern sie von den zuständigen Pharmareferenten auch noch dazu ermuntert werden. Hin und wieder übernimmt das Ausfüllen auch der Arzneimittelvertreter höchst selbst, etwa wenn es darum geht, die Kostenbeteiligung an einer Fortbildungsveranstaltung an den Mediziner zurückzuleiten.
amelia 2009-07-23 Weiß der Patient davon?
Mal wieder eine ganz simple Laien-Frage: Müssen Ärzte ihre Patienten darüber informieren, dass sie die Ehre haben, an einer "Anwendungsbeobachtung" teilzunehmen? Oder geschieht das still und heimlich?
Nein, weil es keine Interventionsstudie ist, sondern eine Beobachtungsstudie (nicht-interventionelle Studie - NIS). Eine dokumentierte Patientenaufklärung und ein Votum einer Ethikkommission sind ebenso wenig erforderlich, wie eine schriftlich dokumentierte Patienteneinwilligung, Probandenversicherung und Meldung bei den Behörden. Hingegen muss die Meldung bei der KBV erfolgen, was aber auch in manchen Fällen unterbleibt . Die Empfehlungen des BfArM sehen keine über die ärztliche Aufklärungspflicht hinausgehende Verpflichtung zur Einwilligung vor.
Weitere Vorgaben zu NIS/AWB ergeben sich aus dem "Kodex der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V." und dem "Gemeinsamen Standpunkt der Verbände der pharmazeutischen Industrie zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern". Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VFA) empfiehlt eine vorherige schriftliche Patientenaufklärung und -einwilligung. Die Mitgliedsunternehmen haben sich verpflichtet zu Studienbeginn Informationen in ein öffentlich zugängliches Online-Register einzustellen und spätestens zwölf Monate nach Abschluss der NIS eine Zusammenfassung der Studien-Ergebnisse zu veröffentlichen. Hier ist das VFA-Register: http://www.vfa.de/de/forschung/nisdb/ Ein Beispiel daraus: Für den Novartis Blutdrucksenker Exforge® laufen derzeit drei NIS mit insgesamt 20.000 Patienten, die eingeschlossen werden sollen. Bei 50 Euro pro Patient sind das wenigstens 1 Million Euro, die unter die teilnehmenden Praxen (Teilnahme an zwei und mehr Studien möglich) verteilt werden. Teilweise so, dass die Ärzte nach Abschluss der einen Studie an der nächsten als Studienzentrum teilnehmen können. Kontinuierlicher Geldfluss und Verschreibung sichergestellt. Nach meinen Informationen ist das in dieser Form, nur mit Empfehlung und Selbstverpflichtung, nur in Deutschland möglich.
Ein Beispiel aus einer großen, internationalen AWB. Hier läuft die Erfassung elektronisch:
Subject: Investigator payments for the Novartis EDGE Study (June 2009) Dear Doctor, We are approaching the first round of investigator payments for the Novartis EDGE Study. You will be paid based on the number of patients you enrolled which have patient visits that are entered into the eCRF system (InForm) as of June 19, 2009. Please be aware that any data entered after June 19, 2009, will roll-over into the second round of investigator payments due October 2009. Please note that the eCRF system will soon display queries, if applicable, and future payments will also take into consideration the resolution of queries. Thank you for your participation and efforts in beginning enrolment for the EDGE study. Regards, Novartis EDGE study team Die Abwicklung erfolgt über einen Dienstleister (Parexel.com). Auch hier geht es um Novartis-Blutdrucksenker (Galvus®/Eucreas®).
Um "Wissen macht ah" weiterzuführen: Dienstleister wie Parexel nennt man im Fachjargon "CRO" (Contract Research Organisation). Ist ein internationales Business, die grössten sind Parexel, Quintiles und Kendle. Quintles hat über 23.000 Mitarbeiter und setzt alleine in den USA 2 Milliarden um. Ist auch ein gutes Beispiel für die Entwicklung. Qintiles bietet ein beites Sprektrum von Dienstleistungen an. Nicht nur Durchführung von Studien (bis hin zur Publikation), sondenr auch Beratung bei Marketing/Marktzugang, Vertrieb (Pharmaberater-Verleih, Weiterbildungsveranstaltungen oder auch kompette Übernahme des Vertriebs) oder gar klassiche Unternehmensberatung wie Strategie, Umstrukturierung, Finanzierung usw. - das Pharmaunternehmen muss nur noch ein Produkt entwickeln. Natürlich gibt es für die Forschung auch Dienstleister, z.B. in Indien.
mager 2009-07-24 internat. AWBs
zur Erklärung "queries" sind Nachfragen, etwa bei unlogischen Daten, unleserlicher Sauklaue (bei richtiger Forschung ein normaler Mechanismus)... ich würde mal arg bezweifeln, dass sowas "Kleinkarriertes" bei der iPod-AWB-Geschichte passieren würde...amelia 2009-07-24 Für mich als Patientin ist es nicht so fein nicht zu wissen, ob ich ein Medikament nur bekomme, weil mein Arzt an einer Anwendungsbeobachtung teilnimmt. Wie kann ich das erfahren? Sie sollten ihren Arzt darauf ansprechen. http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/hessen/1848346_KV-Hessen-Vorstand-im-Interview-Medikamentenstudien-verbieten.html Fragt sich bloß, ob er es zugeben wird.
@mager: Ganz klar, bei AWBs im Stile der iPod-Geschichte wird der Pharmavertreter einen Teufel tun, und den Herrn Doktor mit Nachfragen belästigen. So etwas wäre vollkommen unvorstellbar. Das würde wahrscheinlich noch nicht einmal dann passieren, wenn auf allen Bögen das Gleiche eingetragen wäre.
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