Neuer Rückschlag für Inegy®/Ezetrol® Eine gestern veröffentlichte Studie versetzt die medizinische Fachwelt in den USA ebenso in Aufruhr wie die Finanzpresse. Die englischsprachige Version von "Google News" findet Hunderte von Artikeln zum Thema. In Deutschland herrscht bislang absolute Funkstille. Der Cholesterinsenker Ezetimib (Inegy®/Ezetrol®, in den USA Vytorin®/Zetia®), wegen seines nicht nachgewiesenen Nutzens und Bedenken bezüglich einer möglichen krebserzeugenden Wirkung ohnehin umstritten wie kaum ein anderes Medikament, hat in einer weiteren Studie verheerend schlecht abgeschnitten, dieses Mal gegen ein Nicotinsäurepräparat von Abbott namens Niaspan®. Zur Einordnung der Ergebnisse muss man wissen, dass die im Vergleichspräparat Niaspan® als Wirkstoff enthaltene Nicotinsäure (Niacin) keinesfalls ein neues oder gar besonders wirkungsvolles Medikament ist. Ob Niaspan® überhaupt eine positive Nutzen-Schadensbilanz hat, ist unklar. Der unabhängige Arzneimittel-Informationsdienst "arznei-telegramm" bewertet Niaspan® wegen seines nicht nachgewiesenen lebensverlängernden Effekts und seiner unangenehmen und zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen als ein "Mittel der ferneren Reserve". Die Frage, ob Niaspan® einen Nutzen gegenüber Placebo hat, wird mangels Placebogruppe auch in der vorliegenden Studie nicht beantwortet. Niaspan®-Hersteller Abbott als Auftraggeber der Studie hat anscheinend wenig Interesse daran. Statt dessen schickt er sein Medikament - jeweils in Kombination mit einem Statin - gegen das schwer angeschlagene Ezetimib ins Rennen, bei dem schon die Ergebnisse vergangener Studien eher für eine negative Nutzen-Schadensbilanz sprechen. Kein dummer Schachzug. Die Ergebnisse fallen denn auch positiv aus für Niaspan® oder, besser gesagt, erneut verheerend für Inegy®/Ezetrol®. In der Ezetimib-Gruppe werden - trotz der geringen Probandenzahl - statistisch signifikant mehr "kardiovaskuläre Ereignisse" beobachtet, also insbesondere Herzinfarkte, zu deren Vermeidung das Medikament eigentlich vermarktet wird: Major adverse cardiovascular events occurred at a significantly higher incidence in the ezetimibe group (9 of 165 patients [5%]) than in the niacin group (2 of 160 patients [1%]) (P=0.04 by the chi-square test). Beim Surrogatparameter "carotid intima–media thickness", mit dem Ablagerungen an den Gefäßwänden gemessen werden sollen, schneidet Ezetimib hochsignifikant schlechter ab als Niaspan®. As compared with ezetimibe, niacin had greater efficacy regarding the change in mean carotid intima–media thickness over 14 months (P=0.003), leading to significant reduction of both mean (P=0.001) and maximal carotid intima–media thickness (P≤0.001 for all comparisons). Und schließlich führt die Senkung des "bösen" LDL-Cholesterins mit Ezetimib statistisch hochsignifikant zum Gegenteil des Gewünschten. Je stärker das LDL in der Ezetimib-Gruppe abgesenkt wurde, desto stärker nahmen die arteriosklerotischen Ablagerungen zu: Paradoxically, greater reductions in the LDL cholesterol level in association with ezetimibe were significantly associated with an increase in the carotid intima–media thickness (R=–0.31, P<0.001).
--[...] The use of ezetimibe led to a paradoxical increase in the degree of atherosclerosis in association with greater reduction in LDL cholesterol, an effect we hypothesize may stem from unintended biologic effects of this agent. Weil es so schön passt, an dieser Stelle noch der Verweis auf ein Interview mit Peter Sawicki in der "Welt": "Viele Medikamente sind völlig nutzlos" Wenn ein Medikament wirkt, entfaltet es im Körper irgendeinen Effekt – zum Beispiel ändern sich Rezeptorbindungen, oder die Höhe des Blutzuckers oder des Cholesterins oder der Blutdruck sinkt, Gefäße werden enger oder weiter. All dies sind nur Ersatzparameter – sogenannte Surrogate. Eigentlich geht es uns doch darum, nicht zu leiden, im Krankheitsfall wieder gesund zu werden, eine gute Lebensqualität zu haben und nicht zu früh zu sterben. Uns geht es also nicht um das Cholesterin im Blut, sondern darum, keinen Herzinfarkt zu bekommen. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass die Wirkung auf einen bestimmten Parameter zu keinem Nutzen führt. Bisweilen wird sogar das Gegenteil erreicht: Obwohl der Cholesterinwert niedriger geworden ist, sinkt die Lebenserwartung. [Ezetrol]
hockeystick 2009-11-16 Nun gelten im Pharmamarkt leider andere Regeln. Man rechnet aber allgemein mit einem Rückgang der Verschreibungszahlen.
In den USA fängt der bei der Pharmaindustrie berüchtigte Senator Grassley an, die naheliegenden Fragen zu stellen:
On Friday, Senator Charles E. Grassley, Republican of Iowa, wrote to the Department of Health and Human Services, asking its director, Kathleen Sebelius, what action she intended to take in light of the study results. Mr. Grassley sits on the Senate Finance Committee which has jurisdiction over Medicare and its drug spending. In 2006 and 2007, the drug makers made more than $300 million through Medicare Part D in sales of Vytorin, a drug that combines Zetia and a statin, Mr. Grassley wrote. http://www.nytimes.com/2009/11/16/health/research/16heart.html?hpw Der Brief von Senator Grassley: http://graphics8.nytimes.com/packages/pdf/20091114LetterToHHSandFDA.pdf >> Kommentieren mager 2009-11-16 >> Kommentieren hockeystick 2009-11-16 Die Aktien von Merck & Co legen um 2,5% zu, obwohl eine Studie ergeben hat, dass das Merck-Medikament "Zetia" dem Cholesterinsenker "Niaspan" des Wettbewerbers Abbott unterlegen ist.
Ganz typisch für solche Meldungen: Selbst Börsenhändler, die dieses Medikament einnehmen, registrieren das nicht als Nachricht, die für ihre Gesundheit eine Rolle spielen könnte, weil nur der amerikanische Name des Präparats genannt wird.(Die Zunahme des Börsenkurses von Merck & Co. hängt vermutlich damit zusammen, dass im Vorfeld längst durchgesickert war, dass die Studie nicht gut gelaufen ist für Ezetimib, das Debakel war also schon "eingepreist".) Konservativ geschätzt gibt es knapp eine Viertelmillion Patienten in Deutschland, die regelmäßig Ezetimib einnehmen. >> Kommentieren philrs 2009-11-17 DÄ mit Fehler
Das Dt. Ärzteblatt online hat es mit einem entscheidenden Fehler gebracht:"In der aktuellen Studie kam es jedoch, wenn auch in einem sekundären Endpunkt, zu einem Rückgang von kardiovaskulären Ereignissen (etwa einem Herzinfarkt), die unter der Niacin-Kombination bei 5 Prozent und unter der Ezetimib-Kombination bei unter einem Prozent auftraten." Es war genau andersrum...
Wenn er das nicht verstanden hat, ist es auch kein Wunder, dass der Autor bei der Einordnung der Ergebnisse so herumeiert.
Ich habe ihnen eine Mail geschickt.
zehn 2009-11-17
Wahrscheinlich im Spam.
From: hockeystick ät hush ai To: aerzteblatt@aerzteblatt.de Date: Tue, 17 Nov 2009 10:58:32 +0100 Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Online-Artikel zur jüngsten Cholesterinsenker-Studie sind Sie m.E. einem fundamentalen Verständnisfehler aufgesessen. http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/38956/Atherosklerose_Nicotinsa eureamid_verringert_Plaquebildung_Ezetimib_nicht.htm Sie schreiben "In der aktuellen Studie kam es jedoch, wenn auch in einem sekundären Endpunkt, zu einem Rückgang von kardiovaskulären Ereignissen (etwa einem Herzinfarkt), die unter der Niacin- Kombination bei 5 Prozent und unter der Ezetimib-Kombination bei unter einem Prozent auftraten." Tatsächlich war es genau andersherum. Durch dieses Missverständnis ist auch der merkwürdig unklare Tenor ihres Artikels zu erklären, ist doch diese Studie - wie schon die beiden vorangehenden Studien - auf der ganzen Linie verheerend ausgegangen für Ezetimib. Viele Grüße hockeystick -- http://gesundheit.blogger.de
Ein wenig lieblos ausgefallen, die Korrektur. Jetzt mal abgesehen von den überflüssigen Anführungszeichen.
"In der aktuellen Studie kam es jedoch, wenn auch in einem sekundären Endpunkt, zu einem Rückgang von kardiovaskulären Ereignissen (etwa einem Herzinfarkt), die unter der Niacin- Kombination bei 1 Prozent und unter der Ezetimib-Kombination bei unter 5 Prozent auftraten." Aus "9 of 165 patients [5%])" wird im DÄ-Artikel jetzt also "unter 5 Prozent", was die annähernde Verfünffachung der kardiovaskulären Ereignisse unter Ezetimib nicht nur unnötig relativiert, sondern auch schlicht falsch ist.. Mein Taschenrechner liefert an dieser Stelle nämlich 5,5 Prozent. Nachtrag: Das deplatzierte Wörtchen "unter" hat in der ersten Version übrigens auch nicht gestimmt (2/160=1,3%). Nachtrag 2: Ob es sich um einen "Rückgang" unter Niaspan gehandelt hat, wie im gleichen Absatz postuliert, ist mangels Placebogruppe vollkommen unklar. Wir wissen nur, dass es in der einen Gruppe signifikant mehr Ereignisse gegeben hat, als in der anderen. From: hockeystick ät hush.ai To: aerzteblatt@aerzteblatt.de Date: Tue, 17 Nov 2009 14:22:05 +0100 Sehr geehrte Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein paar Bemerkungen zu der leider sehr lieblos und unbefriedigend ausgefallenen Korrektur ihres Online- Artikels. Sie schreiben jetzt: "In der aktuellen Studie kam es jedoch, wenn auch in einem sekundären Endpunkt, zu einem Rückgang von kardiovaskulären Ereignissen (etwa einem Herzinfarkt), die unter der Niacin- Kombination bei 1 Prozent und unter der Ezetimib-Kombination bei unter 5 Prozent auftraten." Aus "9 of 165 patients [5%])" wird bei Ihnen also jetzt "unter 5 Prozent", was die annähernde Verfünffachung der kardiovaskulären Ereignisse unter Ezetimib nicht nur unnötig relativiert, sondern auch schlicht falsch ist. Genauer sind es nämlich 5,5 Prozent. (Das Wörtchen "unter" hat in der ersten Version übrigens auch nicht gestimmt, denn 2/160=1,3%). Ob es sich um einen "Rückgang" unter Niaspan gehandelt hat, wie im gleichen Absatz von Ihnen postuliert, ist mangels Placebogruppe vollkommen unklar. Wir wissen nur, dass es in der einen Gruppe signifikant mehr Ereignisse gegeben hat, als in der anderen. Nicht auszuschließen ist auf Grundlage dieser Daten eine herztoxische Wirkung von Ezetimib in der Studienpopulation. Bei Ezetimib handelt sich um ein Medikament, das in Deutschland nach meiner Schätzung von rund einer Viertelmillion Menschen eingenommen wird. Ich gehe davon aus, dass Sie deshalb wie ich wenigstens eine inhaltlich korrekte Darstellung dieser durchaus bemerkenswerten Studienresultate für wünschenswert erachten. Viele Grüße hockeystick
So wird ein Schuh draus.
In der aktuellen Studie kam es jedoch, wenn auch in einem sekundären Endpunkt, unter der Niacin-Kombination seltener zu kardiovaskulären Ereignissen als unter einer Ezetimib-Kombination (1 vs. 5 Prozent). Und so sieht das im NEJM-Artikel als Grafik aus. Die Abstufungen kleiner 1 kommen offenbar daher, dass pro betroffenem Patienten der Wert "1" vergeben wurde, aber z.T. mehrere Ereignisse bei einem Patienten auftraten (z.B. erst Herzinfarkt, dann "kardiovaskulärer Tod", vgl. Tabelle 3 im Anhang).
Die "Ärzte Zeitung" verhandelt vermutlich noch mit ihren Anzeigenkunden, wie sie das verkaufen darf.
mager 2009-11-20 Praktikanten
Die News und Berichte über Studien werden von Praktikanten geschrieben - oder zumindest von Leuten, die von Medizin und Studien keine Ahnung haben. Irgendwann mal las ich "ein Herzinfarkt, der mit einer Hebung der ST-Strecke einhergeht" - gnadenlos ahnungslose Übersetzung von st-elevation myocardial infarction...
Erklärung für die Laien: Gemeint war ein "ST-Hebungsinfarkt" oder kurz "STEMI".
>> Kommentieren ian_a_ironside 2009-11-18 Marc >> Kommentieren |
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