Milliardengeschäft Krebsmedikamente

Auch diese Woche war das Gesundheitswesen wieder Thema eines Politmagazins. Am Montag hat sich die ARD-Sendung "Report Mainz" kritisch mit dem zweifelhaften Nutzen und den hohen Kosten moderner Krebsmedikamente befasst:



O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft:

»Ich empfinde diese Anzeige zu Avastin als unseriös. Es wird nicht nur suggeriert, es steht hier: Avastin first-line verlängert das Überleben. Und das trifft beim Mammakarzinom nicht zu.«

Aber viele Ärzte scheinen den Anzeigen zu vertrauen. Dabei ist Avastin teuer. Behandlungskosten pro Jahr: ca. 60.000 Euro und damit rund 20mal teuerer als Standardtherapien beim Brustkrebs.

Dazu passt eine Meldung aus dem aktuellen Arzneitelegramm. Hier geht es um die fraglichen Vorteile moderner und teurer Aromatasehemmer wie Anastrozol (Arimidex®) in der adjuvanten hormonellen Brustkrebstherapie gegenüber der Standardtherapie Tamoxifen:
Eine aktuelle Auswertung lässt auch nach 8,3 Jahren keinen Überlebensvorteil für den Aromatasehemmer erkennen. In der Anastrozolgruppe sind zu diesem Zeitpunkt 629 (20,1%) der Frauen verstorben im Vergleich zu 624 (20,0%) in der Tamoxifengruppe (Hazard Ratio [HR] 1,00; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,89-1,12). Die Rückfallrate unter Anastrozol ist nach wie vor geringer als unter Tamoxifen (HR 0,81; 95% CI 0,73-0,91), und es sterben in dieser Gruppe weniger Frauen mit Rezidiv (11,2% versus 12,3% unter Tamoxifen). Die Mortalität ohne Rezidiv ist unter dem Aromatasehemmer jedoch höher (8,9% versus 7,8%). [...] Eine Indikation für Aromatasehemmer sehen wir generell nur bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit von Tamoxifen.

 
[Arzneimittel]
Autor: hockeystick   2008-01-23   Link   (8 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2008-01-23  
Avastin hat sich in bei den Krebsmedikamenten beim Preis zu einer Art Referenz entwickelt. Die Hersteller neuer Biologics gehen an Studien mit der Fragestellung ran: Was müssen wir als Nutzen zeigen, um den gleichen oder besseren Preis wie Avastin zu bekommen?


strappato   2008-01-23  
Ein Beispiel: Avastin ist letztes Jahr für das 1st-Line-Treatment zusätzlich zu Interferon bei Nierenkarzinom zugelassen worden. Die relevante Studie - AVOREN-Trial - hatte als primären Endpunkt die Gesamtüberlebenszeit (overall survival). Diese Zulssungserweiterung erfolge aber auf Basis des verlängerten progressionsfreien Überlebens (progression free survival) 5,4 auf 10,2 Monate (Medianwert). Die Analyse der Gesamtüberlebenszeit steht noch aus, Roche verweist auf einen "Trend zu einem verlängerten Gesamtüberleben".

Progression free survival, overall survival, response rate, Lebensqualität, die Unternehmen picken sich da Faktoren raus, wie es ihnen in die Analyse passt. Solange wir in Deutschland keinen Konsens für Kriterien für die Kosten-Nutzen-Bewertung haben, wird der Milliardenmarkt weiter wachsen.


brockenhexe   2008-01-25  
Kosten-Nutzen-Bewertung,
das ist doch genau die Aufgabe des IQWIG nach der letzten Gesundheitsreform, Sie haben dazu gerade (24.1.2008) ihr Methodenpapier veröffentlicht, Auch wenn ich davon nicht viel verstehe - aber Konsens angesichts des gesetzlichen Auftrags und der Interessen, die es bedienen soll, wird es da sicher nicht geben. Viel mehr eine (hoffe ich) breitere öffentliche Diskussion - wie am Beispiel Analoginsuline und Atorvastatin ja schon geschehen. Oder sehe ich die Rolle des IQWIG zu positiv?


strappato   2008-01-27  
Neu ist ja die Kostenbewertung, obwohl die z.B. bei den Insulin-Analoga indirekt schon eingeflossen ist. Die Rolle muss sich noch finden. Daher gibt es ja den erbitterten Steit um das Methodenpapier.

Ich sehe eine andere Klippe. Kosten-Nutzen-Bewertung bedeutet am Ende, dass das IQWiG sich auch Allokationsentscheidungen einmischt. Das wird die Politik nicht so einfach mitmachen.


mager   2008-01-28  
Nein, sie wollen nur den Preiskorridor der akzeptabel wäre ermitteln.
Zur Methodik haben sie einen laienverständlichen Flashfilm.
(man kann sich natürlich trefflich streiten, ob die Idee, die Preise aus der Vergangenheit für die Zukunft zu benutzen sinnvoll ist - vor allem. da diese ja nicht am Verhandlungstisch entstanden sind).


strappato   2008-01-28  
Netter Flash-Film. In der Praxis geht es um Allokation, da die Krankenkassen nicht ohne Grund aus dem Preiskoridor ausscheren können. Was ist, wenn die Pharmaunternehmen vom Preis nicht abrücken?


brockenhexe   2008-01-28  
Ganz einfach, siehe Sortis und BKK: Verträge mit den Krankenkassen, Was auf dem Preisschild steht, sagt ja eh schon nichts mehr über die Kosten aus. Hauptsache, das Niveau wird gehalten, sei es zur Festlegung der Festbeträge oder für den internationalen Markt,


strappato   2008-01-28  
Hier geht es ja um Markteinführungen. Die "payer" in anderen Ländern sind ja nicht blöde, wenn Rabattverträge den nominellen Preis auf dem grössten europäischen Arzneimittelmarkt drücken. Wird spannend.








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