Tag des Cholesterins steht bevor

Es war wahrlich kein gutes Jahr für die Lipid-Liga. Doch der alljährliche "Tag des Cholesterins" rückt unaufhaltsam näher und die PR-Maschine läuft an.

Die Lipid-Liga wie auch andere industrienahe Experten betonen zu diesem Anlass gerne den "Grenzwert" von 200mg/dl, dessen Überschreitung als bedenklich angesehen wird. So schreibt etwa die Berliner Morgenpost (unter dem Bild einer Professorin, die auf Industriesymposien von Herstellern von Cholesterinsenkern keine Unbekannte ist):
Das Blutfett Cholesterin sollte 200 Milligramm pro Deziliter nicht überschreiten.

Dieses Mantra trägt seit Jahren den umsatzstärksten Sektor des Pharmamarktes und dürfte damit zu den erfolgreichsten Marketing-Botschaften aller Zeiten gehören.

Gut möglich, dass es sich auch um die unverfrorenste Marketing-Botschaft aller Zeiten handelt:

(Bild: Wikipedia, pdf-DateiDatengrundlage)
 
[Pharmamarketing]
Autor: hockeystick   2008-05-26   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  


auchkeiner   2008-05-26  
"Normalwert" = Zielwert
hmmm... wenn aber bewiesen werden könnte, das niedrigere Cholesterolspiegel der Gesundheit zuträglich sind?

Nicht das ich jetzt unterstellen wollte, dass sei bereits durchgängig geschehen, aber die Logik der hier angeführten Grafik im Zusammenhang mit der Aussage des Eintrags erschliesst sich mir nicht wirklich...


hockeystick   2008-05-26  
Labor-Referenzbereiche (oder "Normalbereiche") wurden traditionell als der Wertebereich bestimmt, in dem 95% aller gesunden Menschen liegen. Jeder 20. Gesunde lag also bei einem bestimmten Laborwert nicht im Referenzbereich.

Beim Cholesterin ist es zu einer Perversion des Begriffs "Normalwert" gekommen, nach der nahezu jeder als behandlungsbedürftig gilt. Auch auf dem Laborauszug erscheinen z.B. Werte ab 225 mg/dl schon als "erhöht", kaum ein Arzt kennt die normale Verteilung des Cholesterinwerts in der gesunden Bevölkerung.

Dass ein niedriger Cholesterinspiegel im allgemeinen nicht der Gesundheit zuträglich ist, sondern eher ein Grund, sich Sorgen zu machen, kommt natürlich noch dazu. Bei älteren Patienten ist die epidemiologische Lage eindeutig: Hohe und mittlere Cholesterinspiegel sind mit einer deutlich geringeren Sterbewahrscheinlichkeit verbunden, als niedrige.


auchkeiner   2008-05-26  
Entschuldigung wenn ich nochmal nachfrage...
... aber

"..die normale Verteilung des Cholesterinwerts in der gesunden Bevölkerung."

So gesund ist die Allgemeinbevölkerung aber gar nicht. Ich würde gerne eher einmal eine Population von Herz-Kreislauf-Gesunden nach Alter sortiert sehen (die auch z.B. keine malignen Erkrankungen haben).

"Bei älteren Patienten ist die epidemiologische Lage eindeutig:"

Vielleicht ist in die Lage auch anders: Der niedrige Cholesterolwert in diesen Älteren ist nur Indikator einer zu Grunde liegenden Erkrankung?

Es könnte doch einen Unterschied machen, ob Lipide "natürlich" (krankheitsbedingt?) niedrig sind oder auf Grund einer medikamentösen Lipidsenkung.

Außerdem scheint ja der Lipidspiegel kein wirklich guter Prädiktor für die Wirksamkeit von Lipidsenkern zu sein und die Statine wirken noch auf ganz andere Art.

Nich böse werden, werde nicht bezahlt dafür. Die Fragen stellen sich mir einfach... (kenne meine Lipidwerte aber gar nicht ;-))


hockeystick   2008-05-26  
"So gesund ist die Allgemeinbevölkerung aber gar nicht."

Was kann man anderes nehmen, als eine Population von Leuten, die zu einem Gesundheits-Check-Up kommen? Wer ist eigentlich gesund? Die Werte aus dieser Studie sind übrigens vergleichbar mit epidemiologischen Studien aus anderen europäischen Ländern.

"Vielleicht ist in die Lage auch anders: Der niedrige Cholesterolwert in diesen Älteren ist nur Indikator einer zu Grunde liegenden Erkrankung?"

Könnte durchaus sein. Vielleicht verhält es sich ja bei hohen Cholesterolwerten genauso.

Das Sterberisiko durch Krebs bei niedrigem Cholesterin bleibt allerdings erhöht, auch wenn man nur solche Sterbefälle einbezieht, die mindestens 4 Jahre nach der Messung aufgetreten sind. Eine simple Kausalkette Krebs -> niedriges Cholesterin scheidet also aus.

Was Lipidsenker angeht, sieht die Studienlage grob umrissen so aus: Pravastatin und Simvastatin haben bei Patienten mit vorangegangenem Herzinfarkt oder stabiler Angina Pectoris eine lebensverlängerte Wirkung, das war es dann aber auch schon. Ob das mit der Cholesterinsenkung oder mit anderen Eigenschaften der Statine zusammenhängt, ist umstritten. Die Wirkung hängt nicht vom Ausgangs-Cholesterinwert ab.


auchkeiner   2008-05-26  
..
"Wer ist eigentlich gesund?"

Wenn es nach Big Pharma geht: NIEMAND :-)

Epidemiologie hat für mich etwa den selben "Stellenwert" wie post-hoc Subpopulation in klinischen Studien:

http://www.businessweek.com/bwdaily/dnflash/content/may2008/db20080521_549448.htm


hockeystick   2008-05-26  
Die beschriebene Technik nennt man HARKing.








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