Reformbegeisterung bei der Bevölkerung

In unserem Nachbarland Österreich fordern laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts "Oekonsult" 91% der Bürger eine Gesundheitsreform. Angesicht der deutschen Erfahrungen mit je nach Zählweise ein Dutzend und mehr Reformen im Gesundheitswesen, mag das recht naiv klingen. Man könnte daher meinen, die Deutschen hätten von Reformen, die in weiteren Kosten für die Patienten und Einschränkung der Versorgung enden, die Nase voll.

Dem ist nicht so. Wenn man der gestern vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) vorgestellten Emnid-Befragung Glauben schenken darf, sprechen sich 62% der Bundesbürger weiterhin hartnäckig für Reformen im Gesundheitswesen aus. 70% gehen sogar davon aus, dass es ihnen persönlich nützt, obwohl die Zufriedenheit gross ist und das gegenwärtige medizinische Versorgungsniveau für gut empfunden wird.

Sieht nach dem Beweis aus, dass die tägliche PR der Interessensgruppen Wirkung zeigt, die jeweils für ihre Gruppe ein Horrorszenario entwerfen und den Versicherten klar machen, dass sie mit ihnen im Boot sässen. Gemeinsam ist den Pharmaunternehmen, Ärzten, Kliniken, und anderen der Ruf nach mehr Geld. Ohne Anstieg der Ausgaben sei der Forschritt nicht finanzierbar und das gegewärtige Versorgungsniveau nicht zu halten. Das Ergebnis überzeugt:
  • 58% der Befragten sehen die Interessen der Patienten nicht in ausreichendem Masse im deutschen Gesundheitssystem berücksichtig
  • 46% der Bevölkerung hält eine Leistungsbeschränkung der GKV für richtig
  • 46% der Bundesbürger hält den Anspruch, allen Patienten die notwendige Behandlung zukommen zu lassen, für richtig, aber nicht bezahlbar
  • 63% der Bevölkerung fordert mehr Wettbewerb
Der Boden für einen marktradikalen Umbau des Gesundheitssystems scheint bereitet zu sein.

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Update

In Österreich rätselt Ernest G. Pichlbauer über Umfragen und Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung.

Noch mehr Umfragen: 30 Prozent der Deutschen sehen Gesundheitssystem vor Kollaps. Fast 60 Prozent der Bürger sehen „größere Probleme“ im Gesundheitswesen.
 
[Politik]
Autor: strappato   2010-01-27   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  


drgeldgier   2010-01-27  
Theorie und Praxis
... wenn man nun aber sieht, mit welchem Aufschrei 8€-Zuzahlung auf den Krankenkassenbeitrag kommentiert werden, dann hat man erhebliche Zweifel an der Relevanz der aktuellen Umfragen.


strappato   2010-01-27  
46% meinten in der Umfrage, dass künftig mehr bezahlt werden müsse. Wie man so eine Befragung auch immer werten will, die vom vfa bezahlt worden ist... Trotzallem ist zu sehen, dass die Werte, die unser Gesundheitssystem ausgezeichnet haben, wie Solidarität oder notwendige Behandlung für alle, gelitten haben.


amelia   2010-01-27  
Ja, angeblich sind Solidarität und notwendige Behandlung für alle ineffizient. Seltsam nur, dass die USA, die darauf pfeifen und Leute krepieren lassen, die weder Geld noch Krankenversicherung besitzen, trotzdem das teuerste Gesundheitssystem der Welt haben.


ebenholz   2010-01-27  
etwas OT
jubelarien und hohe zustimmung der bevölkerung? dazu ein beispiel aus dem nicht medizinischen bereich.

als es darum ging, das ladenschlußgesetz zu kippen, wurden auch monatelang studien und umfrageergebnisse präsentiert, die eine angebliche zustimmung von 75% der bevölkerung zu einer verlängerung der ladenöffnungszeiten darstellten.

ca. 1-2 jahre nach einführung der geänderten ladenschlußgesetze habe ich ein interview mit hubertus pellengahr (einzelhandelsverband) im fernsehen gesehen, in der die überwältigende zustimmung relativiert wurde.

es wurde in diesem bericht sogar erwähnt, daß man sich bei der verteilung der zustimmungsgrafik geirrt habe, und die beiden säulen "zustimmung mit 75%" und ablehnung mit 25%" vertauscht worden seien. es hat also nie eine 75% zustimmung in den umfragen gegeben.

leider weiß ich nicht mehr, in welcher sendung das war, sonst hätte ich im www geschaut, ob es dazu etwas gibt.

aber vielleicht glaubt man mir auch ohne link-untermauerung.


bironium   2010-01-29  
naja. traue keiner statistik die du nicht selbst gefaelscht hast. man erinnere sich an die umfrage zum zensurgesetz, und die darauffolgende gegenumfrage mit umgedrehtem vorzeichen. (war es forsa?)

suggestivfragen sind ne feine sache ;)








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