Das zweite Leben des Thalidomids


Thalidomid, das als Contergan® traurige Geschichte geschrieben hat, lebt weiter. In Deutschland ist der Wirkstoff alleine zur Behandlung von Lepra zugelassen. Die Abgabe wird streng kontroliert. Bei anderen Indikationen wird es als off-label-use im Rahmen von Therapieversuchen eingesetzt. Grünenthal hat die Bereitstellung von dem kommerziellen Geschäft getrennt. Es besteht ein Unternehmensbeschluss, Thalidomid nicht kommerziell zu nutzen. Auf begründete Nachfrage wird es kostenlos zur Verfügung gestellt.

Ansonsten ist Thalidomid ein Generikum. Das Unternehmen Pharmion hat bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms als Orphan Drug beantragt. Mit dem Status "Orphan Drug" zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sind exklusive Vermarktungsrechte für das ausgewiesene therapeutische Anwendungsgebiet über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren verbunden. Ausserdem wird das Unternehmen von Gebühren der EMEA, z.B. für die Beratung bei der Entwicklung und für die Bearbeitung von Zulassungs- und Änderungsanträgen, befreit.

Die EMEA prüft den Antrag zur Zeit. In Australien ist Thalidomid zugelassen. Für den Off-label-use kann es von Apotheken über Pharmion bezogen werden. Die Apotheken müssen sich an ein Risiko-Minimierungs-Programm beteiligen (besonderes Rezept mit Authorisations-Nummer - ähnlich wie bei Software, Abgabe max. für 28 Tage, usw). Das hat Pharmion auch für die europäische Zulassung vorgesehen.

Nun ist der Einsatz von Thalidomid in Europa ein Stück realistischer geworden. Der Pharmakonzern Celgene hat das Unternehmen Pharmion für $2,9 Milliarden übernommen, dem Celgene die Vermarktungsrechte in Europa überlassen hatte. Celgene vermarktet bereits Lenalidomid (Revlimid®), ein dem Thalidomid verwandten Wirkstoff, als Orphan Drug zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Darüber hinaus hat Celgene mit Actimid™ ein weiteres Thalidomid-Analogpräparat in der Pipeline.

Im Oktober war eine Studie publiziert worden, in der der Nutzen von Thalidomid gegenüber der Standardtherapie eindrucksvoll gezeigt werden konnte. Die Zulassung durch die EMEA erscheint sicher. Bei bisher unbehandelten Patienten konnte eine Überlebenszeit im Median von 52 Monaten beobachtet werden, ein Zuwachs von fast 20 Monaten. Eine diese Woche veröffentlichte Studie zur Therapie mit Lenalidomid bei Patienten, bei denen eine frühere Chemotherapie gescheitert war, brachte einen Antieg der Gesamtüberlebenszeit von 20,2 auf 29,6 Monate.

Rechtzeitig vor Ablauf der 5-jährigen Überprüfungsfrist für Lenalidomid hat sich Celgene durch die Übernahme von Pharmion einen neuen Umsatzbringer gesichert. Bei Orphan drugs ist am Ende des fünften Jahres eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen vorgesehen. Das Exklusivrecht erlischt, wenn ein anderer Anbieter innerhalb der 10-Jahres-Frist nachweisen kann, dass sein Präparat "sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist".

Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass Orphan Drugs üblicherweise besonders teuer sind. Der Apothekenverkaufspreis für Revlimid® liegt bei 6856,40 Euro für 21 Tabletten mit 10 mg Wirkstoff. Die Geschäfte mit Thalidomid gehen also 50 Jahre nach der ersten Markteinführung weiter. Allein das Portal des Wissenschaftverlags Elsevier weist im letzten halben Jahr 36 Artikel zum Stichwort "Thalidomide" aus. Darunter Studien zum kleinzelligen Lungenkarzinom, zur juvenilen rheumatoiden Arthritis oder zum Prostatakarzinom.
 
[Arzneimittel]
Autor: strappato   2007-11-23   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  


strappato   2007-11-23  
Als Zusatzinfo noch eine link-Sammlung zu Thalidomid, die jedoch nicht aktuell ist:

http://www.k-faktor.com/contergan/


hockeystick   2007-11-23  
Dauert eigentlich der Nachdenkprozess noch an, oder ist er schon wie erwartet zu einem negativen Ergebnis gekommen?


mager   2007-11-26  
Der 2. Tod von Thalidomid...
... oder warum sollte Celgene diesen Wirkstoff ohne Patentschutz weiterpflegen?
M.


strappato   2007-11-26  
Wenn die EMEA ihn als Orphan Drug zulässt, hat er ja den Schutz. Dieser gilt max. 10 Jahre und somit länger als das Lenalidomid. Ob das 2. Analog-Präparat in der Pipeline die Zulassung erhält, ist ja offen.


mager   2007-11-27  
ja, aber der Schutz ist doch indikationsspezifisch, nicht?!


strappato   2007-11-27  
Gegen off-lable-use hilft ja das Risiko-Minimierungs-Programm. Abgabe nur mit Spezialrezept des Unternehmens und Indikationsstellung. Das wird Standard werden, falls Thalidomid in anderen Indikationen zugelassen würde.








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