Patientensicherheit als Spielball für Lobbyisten

In Deutschland sind offenbar größere Mengen gefälschter Arzneimittel im Umlauf.
Es gibt Schätzungen, dass acht bis zehn Prozent der gekauften Medikamente gefälscht sind.

Was der Pharmaexperte Prof. Harald Schweim von der Universität Bonn der Zeitschrift "Für Sie" nicht erzählt: Diese 10% sind die Schätzungen für den weltweiten Vertrieb. In Deutschland verzeichnete das Bundeskriminalamt in den vergangenen zehn Jahren nur 27 Fälle. Seit 2001 waren es europaweit gerade einmal 170 Fälle. Die Vertriebswege für Arzneimittel in Deutschland sind weitgehend sicher.

Warum also die Panik? Beim Thema gefälschte Arzneimittel ("counterfeit drugs"), taucht oft der Name "Pfizer" auf. Pfizer warnt vor Fälschungen. Pfizer gibt Umfragen bei Patientenverbänden in Auftrag. Pfizer schaltet den Grosshandel aus. Zwar ist Pfizer mit seinem Potenzmittel Viagra besonders betroffen, aber dies wird geschickt genutzt um Angst zu schüren und den Wettbewerb im Handel zu lähmen.

Wenn es um das Ausmass von Arzneimittelfälschungen geht, dann werden immer "Expertenschätzungen" genannt. Eigentlich müsste es die Pharmaindustrie besser wissen. Sie unterhält mit dem Pharmaceutical Security Institute (PSI) die einzige ständig aktualisierte und zentrale Datenbank mit Informationen über gefälschte Medikamente. Die Informationen sind jedoch nur den Unternehmen zugänglich, nicht aber der Öffentlichkeit, der WHO oder den Behörden.

Heutige Meldung: Arzneipackungen - bald so sicher wie eine Banknote?. Obwohl im Artikel festgestellt wird, dass Arzneimittelfälschungen in Industrieländern mit einem effizienten System zur Kontrolle des Arzneimittelverkehrs selten sind, will der europäische Pharmaverband EFPIA die EU-Länder zur Einführung zu einem System mit Seriennummer für jede Packung bewegen, in den USA wird schon über RFID nachgedacht.

Auf welche Organisation treffen wir, wenn wir bei der EFPIA nach "counterfeit drugs" suchen? Wieder einmal auf das Centre for the New Europe (CNE). Ein von Pfizer gesponserter neoliberaler Think Tank, den die regelmässigen Lesern dieses blogs kennen.

Im EFPIA-Newsletter wird auf eine Veranstaltung hingewiesen, zu der das CNE in der letzten Woche eingeladen hatte. Die Referenten waren allesamt Autoren einer von Pfizer in Auftrag gegebenen und beim neoliberalen Stockholm Network erschienen Studie zum Thema Arzneimittelfälschungen.

Statt Daten und Fakten auf den Tisch zu legen, instrumentalisiert die Pharmaindustrie das Thema für ihre Zwecke. Damit werden die Verbraucher verunsichert und gefährdet. Den Behörden bleibt nur übrig, wie etwa die FDA in der vergangenden Woche, vor Medikamentenfälschungen im Internet zu warnen, deren Fragwürdigkeit schon anhand der Verpackung offensichtlich sein sollte.

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Update
Den letzten Satz relativiere ich etwas. Ich habe gerade gesehen, dass hier 7 google-Referrer mit dem Stichwort "Brasilianische Wunderpille" aufgeschlagen sind. Eine kurze Suche führt unter anderem zu diesem Diskussionsthread.
vor 5 monate habe ich von einer kollegin diätpillen aus brasilien bekommen. habe die auch ausprobiert und in 3 monate 32kg abgenohmen. (homöopathisch) diese pille ist anscheinend in europa nicht erhaltbar. meine kollegin war dort nur in den ferien somit weiss ich jetzt nicht wo ich diese pille auftreiben kann. leider weiss ich auch nicht wie die heissen, da diese nicht beschriftet waren, nur die komposition der pille war auf dem behälter abgedruckt.
Und das von Leuten, die wahrscheinlich nicht mal einen gut gekühlten Joghurt einen Tag über dem Mindesthaltbarkeits-Datum anrühren würden.
 
[Counterfeit drugs]
Autor: strappato   2007-02-21   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Pfizer bekämpft Arzneimittelfälschungen

Über die Bemühungen von Ratiopharm den Apothekenhandel unter Kontrolle zu bekommen habe ich hier berichtet.

Es geht auch anders: In Grossbritanien hat Pfizer eine Exklusivvereinbarung über den Vertrieb der Medikamente des Unternehmens mit UniChem, dem Grosshandelszweig des grössten europäischen Apothekenkonzerns Alliance-Boots abgeschlossen.

Pfizer begründet dies in einem Brief an die Unterhausabgeordneten mit der Gefahr von Arzneimittelfälschungen, die ein wachsendes Problem darstellen würden. Pfizers Produkt Viagra ist besonders betroffen, was jeder anhand der Spam-Mails sehen kann. Nun wird dies kurzerhand zum Anlass genommen, den Medikamentenhandel stärker in den Griff zu bekommen - und die Konkurrenz durch Parallel-Importeure auszuschalten.

Unter diesem Blickwinkel bekommen die Beiträge zu Arzneimittelfälschungen, die in den letzten Wochen in den Medien zu sehen waren einen anderen Anstrich. Beispiel: hier, hier oder hier.
 
[Counterfeit drugs]
Autor: strappato   2006-11-23   Link   (6 KommentareIhr Kommentar  



 



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