Karmapunkte sammeln

Ich lasse ja hier im blog gerne mal den Pharmakritiker raushängen, aber im Grunde ist die Pharmaindustrie die Hand, die mich nährt. In den meisten Projekten kann ich meine moralischen Bedenken zerstreuen. Da geht es um Beratung und nicht um Marketing. Wir stellen die Situation dar, befragen Experten, weisen Lösungswege auf und schreiben wissenschaftliche Artikel, die in Journalen noch einmal den üblichen peer-review durchlaufen.

Aber es gibt auch andere Aufträge. Die ethischen Implikationen eines solchen beschäftigen mich zur Zeit gedanklich. In dem Projekt sollen wir zum Teil Aufgaben übernehmen, die sonst von internen Abteilungen der Pharmakonzerne gemacht werden. Konkret: Die Beratung von Kliniken im Auftrag des Herstellers bei der Erstattung eines neuen Medikaments. Das Präparat ist teuer (klar!) und bei der Anwendung nicht ohne Risiko, was schon bei der Zulassung zu einem Höllenritt für die Investoren führte. Es ist jedoch in vielen Fällen die letzte Chance für Patienten mit einer schweren, fortschreitenden chronischen Erkrankung.

Wir sollen den Kliniken sagen, wie sie an die Knete kommen, um die Patienten behandeln zu können. Die Optionen:
  • Die Indikation stellt der Arzt. Dadurch, dass wir einen
    Weg durch das Dickschicht der Erstattung schlagen, helfen wir indirekt auch dem Patienten. Eigene moralische Bewertung (+++). Karmapunkte gesichert.
  • Wenn der Arzt nun durch die Unterstützung bei der Erstattung im Zweifel eher einen Therapieversuch wagt, obwohl die Therapie nicht 100%ig indiziert ist, oder der Arzt dem Druck des Patienten eher nachgibt, es doch mal mit dem neuen Präparat zu probieren und die Behandlung keinen Erfolg hat, aber während der Therpie ernste Nebenwirkungen oder im Extremfall bleibende Schäden auftreten? Wäre ich da indirekt mitschuldig? Eigene moralische Bewertung (-). Karmapunkte zweifelhaft.
Ich würde eher zu der ersten Option tendieren, aber halte es im Laufe des Projektes nicht für ausgeschlossen, dass es zu Situationen kommt, die eher der zweiten geschilderten Option entsprechen.

In dem komplexen System "Gesundheitswesen" gibt es kein schwarz-weiss, was dieser Fall auch zeigen sollte. Für mich persönlich ist wichtig, nicht blind zu werden gegenüber solchen ethischen-moralischen Aspekten und im Zweifel dies auch zu äussern. Ich werde, wenn Interesse besteht, weiter davon berichten.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-09-13   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Werberelevante Zielgruppe

Gestern abend bei Kerner: Tokio Hotel. Was eine gute Quote bei 10-15-jährigen Mädchen garantierte.

Passend, dass als weiterer Gast der Schönheitschirurg Prof. Werner Mang auftrat. Der Auftritt war eine Werbung für die Erfolge der Schönheitschirurgie. War auch nicht anders möglich, nachdem die Person Werner Mang schon in der zuvor ausgestrahlten Sendung 37° ausgiebig präsentiert wurde.

Ein paar Auszüge aus dem Heilmittelwerbegesetz:
§ 3
[Irreführung]

Unzulässig ist eine irreführende Werbung. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor,
2. wenn fälschlich der Eindruck erweckt wird, daß
a) ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann,
c) die Werbung nicht zu Zwecken des Wettbewerbs veranstaltet wird

§ 11
[Werbung außerhalb der Fachkreise]

(1) Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden
3. mit der Wiedergabe von Krankengeschichten sowie mit Hinweisen darauf,
5. mit der bildlichen Darstellung
b) der Wirkung eines Arzneimittels, eines Verfahren einer Behandlung, eines Gegenstandes oder eines anderen Mittels durch vergleichende Darstellung des Körperzustandes oder des Aussehens vor und nach der Anwendung,
11. mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen,
12. mit Werbemaßnahmen, die sich ausschließlich oder überwiegend an Kinder unter 14 Jahren richten.

Natürlich wurden Vorher-Nacher-Darstellungen präsentiert, von idealen Nasen geschwärmt, Prof. Mang verkündete, dass man ab 16 Jahre Nasenkorrekturen und Fettabsaugung machen könne und er verwies darauf, dass es um das "Wohlfühlen" ginge.

Vor dem Bildschirm eine grosse Gruppe pubertierender verunsicherter Teenager, deren Selbstwertgefühl durch Werbung und Modeindustrie angeknackst ist und die sie in Depressionen, Essstörungen und unter das Messer von Schönheitschirurgen treiben.

Diese Dauerwerbesendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, mit bester Zielgruppe hätte selbst Prof. Mang nie bezahlen können.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-09-06   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 

Auftragsforschung

Bevor ich mich nachher mit einem befreundeten Apotheker treffe und mir Klagen über das Vorgehen von DocMorris anhöre, möchte ich grob ein wenig Einblick in die Mechanismen geben, die Interessenskonflikte erzwingen. Im Kommentar hatte ich ein Beispiel gebracht.

In einer kürzlich erschienen Studie wurde gezeigt, dass ein opioides Schmerzmittel (patentgeschützt) Vorteile gegenüber Morphin hat, da das Risiko für Frakturen beim Patienten erheblich verringert ist. Grund dafür ist, dass es "nicht so dusselig im Kopf macht". Das könnte bedeuten, dass die Mehrkosten durch die Frakturen (bei älteren Patienten oft Oberschenkelhalsbruch mit Hüftendoprothese, Reha und Pflegebedürftigkeit) höher sind, als die Einsparungen durch das preiswertere Morphin.

Mal fiktiv das weitere Vorgehen: Die Studie wurde augenscheinlich nicht von der Pharmaindustrie gesponsert und beruht auf Daten eines schwedischen Registers. Das Ergebnis bleibt dem Pharmaunternehmen, dessen Medikament diesen Vorteil hat, nicht unbemerkt und es erhofft sich dadurch ein neues Argument für die Erstattung. Das Unternehmen versucht nun Wissenschaftler und Beratungsunternehmen zu finden, die in verschiedenen Ländern gesundheitsökonomische Modelle auf Basis der schwedischen Resultate anfertigen und in den nationalen Fachzeitschriften veröffentlichen. Auch soll sie mit Datenbanken in anderen Ländern wiederholt werden. Die Hersteller der Konkurrenzpräparate, die nicht so gut abgeschnitten haben, werden auch die ein oder andere Studie in Auftrag geben, um das Ergebnis zu relativieren oder gar zu widerlegen. Dazu braucht man Wissenschaftler, die im Gegenzug für Drittmittel die Veröffenlichung pushen und ihren guten Namen geben.

Mal angenommen es ist ein junger Wissenschaftler, der noch interessenskonfliktmässig unbefleckt ist. Die Autoren der initialen Studie haben den Vorteil, dass die Veröffentlichung von anderen zitiert wird. Was primäres Ziel eines Wissenschaftlers ist. Ihm wird angeboten, dass er die Ergebnisse mit Unterstützung des Pharmakonzerns genauer untersuchen kann. Er wird eingeladen, um auf Veranstaltungen über seine Studie auch international zu referrieren. Er lernt dort andere Kollegen kennen, die auch klinische Studien oder andere Dinge für das Unternehmen durchführen. Frei nach Casablanca: Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-08-11   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Conflict of interest

Die Pharmaindustrie bezahlt klinische Experten - für Studien, für Vorträge, für Beratung und viele andere Dinge. Ein australischer Artikel verdeutlicht die Folgen: Es gibt keine Spezialisten, die keinen "conflict of interest" haben. Für Gremien, die den Nutzen und die Erstattung von Medikamenten und Medizinprodukten beurteilen müssen, finden sich kaum unabhängige Experten.

Wenn in Deutschland zukünftig Entscheidungen über die Erstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung verstärkt auf Basis von Evidenz und Kosten-Nutzen-Bewertungen getroffen werden, dann wird der "conflict of interest" ein echtes Hindernis. Beim IQWiG müssen externe Sachverständige potentielle Interessenskonflikte offenlegen. Das geht von Honoraren bis zu persönlichen Beziehungen. Ob das langt? Mit der Bedeutung des IQWiG für den Erfolg eines Produkts wird auch die Einflussnahme durch die Unternehmen steigen. Wie das in anderen Ländern aussieht ahne ich, wenn die Kunden uns nach dem "Mr. IQWiG" fragen, den sie als Key Opinion Leader nach allen Regeln der Kunst bearbeiten wollen.

[via Pharma Watch]
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-08-10   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Markt und Moral

Bei Don wird die Abhängigkeit von Journalisten gegenüber der Wirtschaft und ihren Interessen diskutiert. Medizinjournalismus macht da natürlich keine Ausnahme. Jedoch ist man da ein wenig weiter als in anderen Bereichen: So räumen Verbandsvertreter offen ein, dass zwischen Medizinjournalismus und Public Relations keine klaren Grenzen bestehen.

In einem Artikel in der ZEIT wird gezeigt, wie in den USA Journalisten und Verlage sich von der Pharmaindustrie für ihre Zwecke einspannen lassen .

Der Zeit-Artikel gab mir Anlass ein wenig über meine eigene Tätigkeit zu reflektieren. Ich habe Public Health studiert. Ein Fach mit einem hohen ethischen Anspruch. Meine unmittelbaren Kollegen: Zwei Ärzte, drei Public Health Absolventen, ein Pädagoge, eine Volkswirtin (Doppelqualifikationen möglich), fast alle mit Promotion. Hochqualifizierte Akademiker in Fächern, denen man nicht unbedingt eine skrupellose Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Marktes nachsagt. Trotzdem arbeiten wir für die Pharmaindustrie.

Das interessante an der Tätigkeit ist der Spagat zwischen Wissenschaft und Markt. Die Studien, die wir durchführen, die Gutachten, die wir anfertigen, die Artikel, die wir schreiben, müssen Qualitätshürden überwinden. Sie sollen in peer-reviewten Journalen erscheinen, auf wissenschaftlichen Kongressen präsentiert werden oder als Argumente bei Zulassungsbehörden dienen - sehr selten lediglich Fachinput für PR-Kampagnen sein. Auf der anderen Seite sollen sie natürlich auch die Interessen des Auftraggebers unterstützen.

Ich glaube, dass Dienstleister wie Berater, Journalisten oder Wissenschaftler nicht für die Entscheidung über Kriterien bei der Auswahl und Erstattung von Medikamenten und Medizinprodukten verantwortlich gemacht werden können, die im übrigen in anderen Ländern in höherem Masse als in Deutschland von Krankenkassen oder Politik abhängig ist. Die Verteilung der begrenzten Mittel in einem solidarischen Gesundheitssystem ist Aufgabe der Politik und des gesellschaflichen Konsenses. Davor drückt sich die Politik und verweist gerne auf die böse Pharmaindustrie, die Gier der Ärzte oder die Anspruchshaltung der Patienten.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-04-08   Link   (4 KommentareIhr Kommentar  



 

Transparenz und Verantwortung

Transparency Deutschland (T-D) hat sich Integrität, Verantwortlichkeit, Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft auf die Fahnen geschrieben. Dass das Handeln dieser Organisation nicht immer mit den hehren Prinzipien übereinstimmt, wird gerade in vielen blogs thematisiert.

Wenn dieser Fall, den ich persönlich für nicht besonders skandalträchtig halte, nächste Woche in den Medien Wellen schlägt, dann vielleicht auch, weil sich einiges an Unmut aufgestaut hat.

Beispiel Gesundheitswesen. Das Gesundheitswesen ist ein Bereich dem T-D sich besonders widmet. Korruption allerorten - zumindest wenn man die Berichte verfolgt. Da werden auch flott Zahlen aus dem USA aufs deutsche System umgelegt und medienwirksam verkündet: bis zu 20 Milliarden Euro versickern jährlich durch Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen. Mit Zahlen hat man es bei T-D nicht so. Zwischen 3% und 10% sollen durch Betrug veruntreut werden - die Spannbreite ist hoch. Angesichts der Datenlage wäre wohl die Aussage: "mindestens 6 Milliarden Euro" seriöser - wenn auch nicht richtiger.

Da Zahlen nur stören, bekommen im Grundsatzpapier alle ihr Fett weg. Kreativ wird ausgebreitet, wo im deutschen Gesundheitswesen betrogen werden kann: Versicherte, Arbeitgeber, Ärzte, Apotheker, Pharmaindustrie, Kliniken, Krankenkassen. Leider werden keine realen Fälle genannt und es wird keine Einschätzung der Relevanz gegeben. Auf der Internetseite taucht dann auch noch der Herzklappenskandal von 1994 auf - ohne den Hinweis, dass dieser Fall zu umfangreichen Massnahmen geführt hat, bis hin zum Gesetz zur Bekämpfung der Korruption.

So auch im aktuellen Global Corruption Report 2006. Transparency International hält das Gesundheitswesen wegen seiner hohen Komplexität für besonders anfällig. Das kann man auch von anderen Branchen sagen und in den aufgeführten Länder ist Korruption endemisch und kein Problem, das auf das Gesundheitswesen beschränkt ist.

Wer seine Verantwortlichkeit darauf beschränkt, medienwirksame Rundumschläge zu machen und eher allgemeine Lösungsvorschläge zu präsentieren muss sich nicht wurdern, wenn nun Leute, die täglich aufs neue reale Verantwortung übernehmen, zurückschlagen.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-03-26   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Thou shalt not clone

Die willkürliche Herstellung erbidentischer Menschen - das reproduktive Klonen - verletzt die Autonomie eines Individuums und muss deshalb moralisch geächtet und rechtlich verboten werden. Diese Ansicht vertritt Dr. Christof Tannert, Leiter der Arbeitsgruppe Bioethik und Wissenschaftskommunikation am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in einem Beitrag für die EMBO reports.

Er verfolgt darin einen interessanten Ansatz, indem er sich auf das Autonomieaxiom des kategorischen Imperativs von Kant bezieht: "Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." (Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, 1785).

Lesenswerter Artikel.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-03-15   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Schmalspur Solidarität

Die Ärzte Zeitung kommentiert die Eckpunkte für eine Gesundheitsreform, die von fünf Ärzte-Verbänden vorgelegt worden sind.

Dabei wird auf den Widerspruch hinwiesen, dass sich Ärzte in der Diskussion immer wieder auf die Seite der Patienten schlagen, aber hier nun hemmungslos ihre eigenen finanziellen Interessen äussern. Das wäre dann die endgültige Ökonomisierung des Arztberufs.

Wer aufmerksam die Diskussion in den letzten Monaten verfolgte, kann darüber nicht verwundert sein. Ein paar Beispiele:

Die Drohung nach England auszuwandern. England hat die höchsten Ärzteeinkommen der Welt, aber eines der lausigsten Gesundheitssysteme. Ein Arzt, dem primär das Patientenwohl am Herzen liegt, wäre dort ziemlich unglücklich angesichts der Ausstattung und der Wartelisten, was mitunter auch zum vorzeitigem Ableben des Patienten führt.

Die Forderung nach 30% Lohnerhöhungen für Krankenhausärzte. Die Höhe und Verteilung der Einnahmen aus der Behandlung von Privatpatienten werden nicht in Frage gestellt. Viele Ärzte wollen auf die lukrativen Bereitschaftsdienste nicht verzichten. Sie sind sich damit mit den Chefärzten bei der Ablehnung von Schichtdienstmodellen einig. Chefärzte sehen in ihnen eine Untergrabung ihrer Autorität, da sie dann nicht mehr morgens die Abeilung vollständig antreten lassen können. Die Folgen sind leider auch, dass teure Grossgeräte in Kliniken nicht ausgelastet werden.

Die Forderung nach festen Preisen und Abschaffung des EBM. Wird auch als Abbau der Bürokratie verkauft. Ohne eine Mengensteuerung, die in diesem Zusammenhang nie erwähnt wird, ist dies ein Freibrief zum Abkassieren. Im übrigen wird das System der Einzelleistungsvergütung natürlich nicht in Frage gestellt, obwohl es andere Vergütungsmodelle gäbe.

Das Festhalten an der KV. Mehr Geld, klar. Aber die Verteilung sollen die Ärzte in der Hand behalten. Die KV ist der Garant für Intransparenz. Fragen nach der Qualität und dem Nutzen der Leistungen, die Versicherte und Krankenkassen für ihr Geld bekommen, prallen regelmässig an den Mauern der KV ab.

Man kann nicht allen Ärzten eigennütziges Verhalten unterstellen. Aber der verständliche Unmut von Ärzten wird von den Funktionären in den Ärzteverbänden in eine Richtung kanalisiert, mit der viele Ärzte und Patienten nicht einverstanden wären.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-03-08   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Erfolgsbeteiligung

Bisher kannte man dies nur von Managern oder anderen verantwortlichen Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft: Erfolgsabhängige Honorierung. In der Medizin gab es das in früheren Zeiten, wenn Leibärzte der Könige und Herrscher im Erfolgsfall mit Gold überhäuft wurden, aber auch bei Misserfolg buchstäblich den Kopf hinhalten mussten. Die Frage, ob Ärzten für ihre Tätigkeit eine Entlohnung zusteht, war nie eindeutig. Plinius der Ältere berichtet aus dem antiken Rom, dass es ihn abstösst, wenn jemand aus der Erhaltung des Lebens Gewinn ziehe. Dies sei mit römischer gravitas, römischer Würde, unvereinbar. Aber Grund war sicher auch, dass sich im frühkaiserlichen Rom besonders viele Scharlatane und Hochstapler aus Griechenland tummelten.

Zurück zur Gegenwart. In der (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte wird die Frage der erfolgsabhängigen Entlohnung nicht behandelt. Lediglich auf die Angemessenheit der Honorarforderung wird hingewiesen und darauf, dass Ärzte bei Honorarvereinbarungen auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der oder des Zahlungspflichtigen Rücksicht zu nehmen haben. Dass dies in diesem ethisch sehr anspruchsvollen Beruf kein Gegenstand der Berufsordnung ist, verwundert ein wenig, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die Deutschen Public Relations Gesellschaft, der Verband der PR-Berater - ein Berufstand, der nicht gerade für seine Moral berühmt ist - erst vor wenigen Jahren nach langer Diskussion erfolgsabhängige Honorare offiziell zugelassen hat.

Nun könnte auch bei den Ärzten dies zum Diskussionsthema werden. Im Südwesten haben Ärzte (zusammen mit einem Beratungsunternehmen) das Unternehmen Gesundes Kinzigtal GmbH gegründet und mit der AOK Baden-Württemberg einen umfassenden Vertrag zur sogenannten "Integrierten Vollversorgung" abgeschlossen. Anders als in der bisherigen Vergütung wird durch diesen neuartigen Vertrag vor allem der erzielte Gesundheitserfolg belohnt. AOK Baden-Württemberg und Gesundes Kinzigtal GmbH haben ein Modell entwickelt, das den Gesundheitsgewinn für die Versicherten im Kinzigtal im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Deutschlands misst und die beteiligten Ärzte danach honoriert.

Die AOK scheint sich einiges davon zu vesprechen und leistet in der ersten Stufe bis zum 31.12.2006 eine Anschubfinanzierung in Höhe von ca. 1,7 Millionen Euro.

Um mal was Ketzerisches zu schreiben: Werden jetzt die Patienten mit "so schlimm ist es doch gar nicht" vom Arzt begrüsst?
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Weitere Informationen zu dem Modell.
 
[Ethik & Monetik]
Autor: strappato   2006-02-02   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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