Bayer und Jenapharm suchen den Q-Punkt

Bayer startet die Vermarktung einer neuen Verhütungspille, die - so die Pressemitteilung - "den Ansprüchen gerecht wird, die Frauen an moderne Verhütungsmittel stellen". Qlaira - ausgesprochen Klära, soll eine Art Lifestyle-Pille für die junge, moderne, berufstätige Frau werden. Frauen, die gerne in den Biosupermarkt einkaufen gehen und der Naturheilkunde nicht abgeneigt sind, sollen nun mit Präparat, dass das gleiche "natürliche" Östrogen enthält, welches der weibliche Körper produziert, eine Verhütungs-Alternative haben, die ihrem Lebensstil entspricht.

Die Auswahl von Kontrazeptiva unter dem Aspekt des Lebensstils, und nicht Verträglichkeit, Nebenwirkungen und Sicherheit, ging in den USA vor einigen Jahren ziemlich schief.

Was die Pressemitteilung nicht verrät, da Laienwerbung für rezeptpflichtige Arzneimittel in Deutschland verboten ist: Es gibt natürlich eine Internetseite für die neue Pille - pille-mit-q.de.

Da erklärt "Miss Q", eine den Vorabend Soap-Operas á la GZSZ entsprunge junge Frau alles über den "Q-Punkt". In einem Test soll der persönlichen Q-Punkt" gesucht und der "Q-Typ" betimmt werden. Wer sich in einen Newsletter einträgt, kann "tolle Preise" gewinnen. Zur Erinnerung: Das Heilmittelwerbegesetz verbietet Werbung mit Gewinnspielen - aber nur für frei verkäufliche Medikamente. Hier geht es um eine rezeptpflichtige Pille, für die keine Werbung gemacht werden darf.

"Pille mit Q" ist eine recht unverhohlene Werbung für das neue Medikament, die sicher in den nächsten Wochen durch Anzeigen, Spots und gekaufte redaktionelle Artikel in Frauenzeitschriften ergänzt wird. Damit überschreiten Bayer und Jenapharm mal wieder (siehe Kommentar) die Grenzen im Marketing für rezeptpflichtige Medikamente. Meist bleibt es bei "Dieseas Awareness Kampagnen", in denen mehr oder weniger neutral über bestimmte Erkrankungen und deren Therapie informiert wird. Dabei kommt natürlich das jeweilige Präparat des Hersteller nie zu kurz, jedoch ohne Produktnennung, wie es hier mit der Betonung des "Q" als Aufhänger der Kampagne gemacht wird.

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Das ist eines der pdf-DateiTestergebnisse bei dem "Q-Typ".
Moderne Frauen machen häufig einen Spagat zwischen scheinbar unvereinbaren Gegensätzen. Tagsüber sind Durchsetzung im Beruf oder Ehrgeiz in der Ausbildung gefragt, abends geben sie das Superweib auf der Piste oder Zuhause. Sie haben eine perfekt gestylte, gemütliche Wohnung, und sind trotzdem spontan genug für einen aufregenden Wochenendtrip. Sie haben ihren eigenen Kopf, und sind gleichzeitig einfühlsame Gesprächspartnerinnen.
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Wirksame Verhütung, die in Einklang mit dem natürlichen Zyklus der Frau wirkt, sorgt dafür, dass alles im Gleichgewicht bleibt.

Na dann ist ja gut.
 
[Klaera]
Autor: strappato   2009-05-14   Link   (5 KommentareIhr Kommentar  



 

Wenig klar mit Klära

Novartis-Chef Daniel ­Vasella wurde vom Vatikan ausgeladen weil sein Unternehmen orale Kontrazeptiva herstellt. Ähnliches könnte Bild-Chef Kai Diekmann passieren, wenn der Papst von der redaktionell getarnten Werbung für eine neue Antibabypille in "Bild der Frau" erfährt.


Im Heft 8/2009 vom 14. Februar berichtet die von Diekmann herausgegebene Frauenzeitschrift begeistert von einer neuen Pille "mit natürlichen Hormonen". Qlaira® (gesprochen "Klära") heisst das Produkt von Bayer Schering Pharma, das im Januar zugelassen worden ist und demnächst auf den Markt kommen wird.
Die neue Pille ist eine kleine Revolution: Sie enthält - wie viele Pillen - die Hormone Östrogen und Gestagen. Doch ihr Östrogen ist erstmals ein natürliches und nicht mehr - wie bei allen Pillen seit über 50 Jahren - ein künstliches.

Der interviewte Frauenarzt erklärt in dem Artikel die Vorteile der neuen Pille und lässt Aussagen einfliessen, die durch Studien oder Erfahrungen nicht gedeckt sind.
Das künstliche Östrogen kann bei vielen Frauen unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen: Kopfschmerzen, Migräne, Übelkeit, Wassereinlagerungen im Gewebe, Gewichtszunahme, starke Blutungen, Brustspannen, Wadenkrämpfe. Es kann außerdem Krampfadern und Thrombosen fördern, den Blutdruck erhöhen und das Wachstum von Myomen - gutartigen Gebärmuttergeschwulsten - fördern. Bei der neuen Pille ist das Risiko für solche Nebenwirkungen viel niedriger.
...
Die Blutung wird dadurch vergleichsweise kurz und schwach (3 Tage statt 5 bis 6). Und es ist zu erwarten, dass weniger Periodenschmerzen auftreten - die Studien dazu sind aber noch nicht abgeschlossen.

Im blau abgesetzten Kasten werden Ausagen aus einer Pressemitteilung von Bayer fast wörtlich wiederholt.
In einer großen Untersuchung im Jahr 2006 wurden 11.490 europäische Frauen danach gefragt, welche Anforderungen sie an ein Verhütungsmittel stellen. 70% der Befragten gaben an, dass es für sie sehr wichtig sei, dass das Mittel Hormone enthält, die auch natürlicherweise im Körper vorkommen.

Mit dem Unterschied, dass im Original es den Befragten "sehr wichtig oder wichtig" war, in der Bild-Erfolgsmeldung die Frauen es allesamt "sehr wichtig" finden.

Bayer hat auch mit einem Foto für den Artikel ausgeholfen und wirbt für Tabletten gegen Vaginalpilz prominent auf der rechten Halbseite des doppelseitigen Artikels.

Der Fall könnte als klassischer Verstoss gegen das Heilmittelwerbegesetz gewertet werden, nach dem Werbung auch das Ankündigen oder Anbieten von Werbeaussagen ist.

Bleibt die Frage: Nur schlechter Journalismus oder verdeckte vom Unternehmen geförderte Produktwerbung? Die Indizien für das letztere sind vielfältig. Jedoch ist die neue Pille für Bayer ein wichtiges Produkt, mit Umsatzerwartungen von bis zu 500 Millionen Euro jährlich. Eine solche Markteinführung wird üblicherweise von einer umfangreichen Kampagne begleitet. Davon ist bei einer google-Suche nach Qlaira® noch nichts zu sehen.

Dazu sind einige Antworten des Frauenarztes sicher nicht im Sinne des Hersteller, wie der Hinweis, dass es in "Testreihen vorher häufig zu Zwischenblutungen" mit dem Estradiol kam. Oder die eher abschreckend komplizierte Beschreibung der Einnahme und Wirkung.
Es ahmt weitgehend den natürlichen Zyklus mit seinen Hormonschwankungen nach: Zu Beginn dominiert das Östrogen, dann kommt das Gestagen hinzu, übernimmt für zweieinhalb Wochen die Hauptrolle, am Ende dominiert wieder das Östrogen. Sichtbar sind diese Schwankungen daran, dass die Pillen in der Packung fünf verschiedene Farben haben. Zuletzt nimmt man sogar zwei Pillen, die keine Hormone enthalten.
Dass der Experte bisher nicht besonders aufgefallen ist, weder medial, noch fachlich, spricht auch nicht für eine vom Unternehmen lancierte Berichterstattung.

In jedem Fall fragwürdiger Journalismus. Alles andere wird wahrscheinlich das Marketing von Bayer für die Pille in den nächsten Monaten zeigen.
 
[Klaera]
Autor: strappato   2009-03-02   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



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