Das Internet ist böse Impfmüdigkeit durchs Internet. Besonders nett ist die offen Bewerbung um Forschungsgelder aus der Pharmaindustrie: Ihre psychologisch und methodisch fundierte Grundlagen- und Anwendungsforschung will die Gruppe fortsetzen, um der aktuellen Tendenz zur Impfmüdigkeit entgegenzuwirken. Zur Durchführung gemeinsamer Forschungsvorhaben suchen sie nach Partnern. -- Update: Nach Aussage der Wissenschaftlerin sei eine Förderung durch die Industrie nicht intendiert. [Wissenschaft]
Global Players Den Lesern und Autoren der bislang eher beschaulichen deutschen Fachzeitschrift "Orofacial Orthopedics / Fortschritte der Kieferorthopädie" (JOO/FdK) bläst seit kurzem der rauhe Wind des internationalen Wissenschaftsgeschäfts ins Gesicht. Wenig Begeisterung entfachte das offizielle Organ der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) zunächst mit der Idee, der Januarausgabe der Zeitschrift eine "Information" eines Herstellers von hochpreisigen Zahnspangen beizulegen. Das Beiblatt war in den Farben der Zeitschrift gehalten und lediglich im Kleingedruckten als Werbebeilage zu erkennen. Die innovative Idee hat offenbar bei einigen Lesern der Zeitschrift für "Unmut und Verwirrung" gesorgt. In einer Stellungnahme der DGKFO heißt es: Der DGKFO-Vorstand und die Schriftleitung bedauern, dass sich auf dem Beiblatt der Fa. Align Technology Inc. kein eindeutiger Hinweis befand, dass es sich hier in erster Linie um eine Industrie-Information mit Werbecharakter handelt.
Die Empörung der Leserschaft führt die DGKFO auf deren mangelnde Erfahrung auf dem internationalen Wissenschaftsparkett zurück:Diese besondere Art der Industrie-Information erfolgte in unserer Zeitschrift zum ersten Mal, ist aber in anderen wissenschaftlichen Zeitschriften durchaus üblich. Neben der Einführung von innovativen Finanzierungsmaßnahmen hat sich die DGFKO als weiteres Projekt die Steigerung des "Impact Factors" auf die Fahnen geschrieben, einer Maßzahl für die Bedeutung von wissenschaftlichen Zeitschriften. Bislang ist das Blatt noch nicht in der Liste der entsprechend bewerteten einschlägigen Publikationen zu finden und rangiert somit hinter der Konkurrenz aus Norwegen und Australien im Impact-Nirwana. Entscheidend für die Berechnung des "Impact-Faktors" (IF) ist die Häufigkeit, mit der Beiträge aus einer Zeitschrift zitiert werden. Die DGKFO gibt deshalb klare Anweisungen an die Autoren und Gutachter (Hervorhebungen aus dem Original): Der IF des Journal of Orofacial Orthopedics/Fortschritte der Kieferorthopädie (JOO/FdK) für 2009 wird Mitte 2010 bekannt gegeben. * Gezählt werden Zitate von JOO/FdK-Arbeiten in allen wissenschaftlichen Zeitschriften - "Eigenzitate" in JOO/FdK sollten 20% nicht überschreiten !! >>> Wer Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften vorbereitet oder als Reviewer begutachtet, möge darauf sehen, dass ab sofort JOO/FdK-Publikationen aus den Jahren 2007 und 2008 fleißig zitiert werden. [Wissenschaft]
JAMA-Herausgeber beschimpfen kritischen Wissenschaftler Faszinierende Einblicke in den medizinischen Wissenschaftsbetrieb eröffnet ein aktueller Disput zwischen den Herausgebern des renommierten Journal of the American Medical Association (JAMA) und dem Medizinprofessor Jonathan Leo, tätig an einer wenig prestigeträchtigen kleinen Universität in der amerikanischen Provinz. Jonathan Leo hatte das JAMA bereits vor fünf Monaten darauf aufmerksam gemacht, dass Robert Robinson als Erstautor einer Studie über das Antidepressivum Lexapro® des Pharmakonzerns Forest Laboratories (in Deutschland von Lundbeck vermarktet als Cipralex®) versäumt hatte, seine finanziellen Verbindungen zu dem Hersteller des Medikaments offenzulegen. Weiterhin hatte Robinson vergessen, in seinem Artikel darauf hinzuweisen, dass die medikamentöse Therapie in der Studie im direkten Vergleich nicht besser abgeschnitten hatte, als die Verhaltenstherapie. Nachdem eine Reaktion zunächst monatelang unterblieb, veröffentlichte Leo vor einigen Tagen auf der Web-Site des ebenso renommierten British Medical Journal (BMJ) einen ausgesprochen lesenswerten Brief, in dem er u.a. Robinsons medikamentenfreundliche Interpretation seiner Studie in Frage stellte und darauf hinwies, dass dieser entgegen den Richtlinien des JAMA seine finanziellen Beziehungen mit Forest Laboratories nicht angegeben hatte. Leo führte in seinem Brief den Fall als Beispiel für die generell nachlassende Glaubwürdigkeit von medizinischen Publikationen an. Kurz darauf erreichte Leo ein Anruf des stellvertretenden Chefherausgebers des JAMA, Phil Fontanarosa. An diesen erinnert sich Leo folgendermaßen: "He said, ‘Who do you think you are,’ ” says Leo. “He then said, ‘You are banned from JAMA for life. You will be sorry. Your school will be sorry. Your students will be sorry.” Anschließend telefonierte JAMA-Chefherausgeberin Catherine DeAngelis mit Leos Vorgesetzten und versuchte so, diesen zur Rücknahme seines Briefes zu bewegen. Auf direkte Nachfrage von Leo zeigte sie sich höchst verärgert, konnte aber keinen konkreten Punkt in seiner Veröffentlichung nennen, an dem sie sich stören würde. Gegenüber dem WSJ Health Blog zeigte sie sich dünnhäutig: “This guy is a nobody and a nothing” she said of Leo. “He is trying to make a name for himself. Please call me about something important.” She added that Leo “should be spending time with his students instead of doing this.” When asked if she called his superiors and what she said to them, DeAngelis said “it is none of your business.” In der Sache lag der "Nobody" und "Nothing" richtig. Robinson räumt inzwischen zerknirscht verschiedene finanzielle Beziehungen zum Hersteller des von ihm untersuchten Medikaments ein und beruft sich auf Erinnerungslücken. [Wissenschaft]
US-Schmerzforscher als Studienfälscher entlarvt Ein Wissenschaftler soll über 12 Jahre lang 21 Studien zur postoperativen Schmerztherapie gefälscht haben. Mit seinen Veröffentlichungen hatte er die Schmerztherapie revolutioniert und den Umsatz der Hersteller von nebenwirkungsreichen COX2-Hemmern, wie Celebrex® von Pfizer oder Vioxx® von Merck & Co. in die Höhe getrieben. Aber auch den Einsatz des Antidepressivums Effexor® (in Deutschland Trevilor®, in Österreich Efectin®) von Wyeth in der Schmerztherapie hatte er aufgrund seiner gefälschten Studien empfohlen. Scientific American nennt den Fall: A Medical Madoff. We are talking about millions of patients worldwide, where postoperative pain management has been affected by the research findings of Dr. Reuben," says Steven Shafer, editor in chief of the journal Anesthesia & Analgesia, which published 10 of Reuben's fraudulent papers. Das ist ein Super-GAU für den medizinischen Wissenschaftsbetrieb. [Wissenschaft]
Heisse Hausfrauen an Max-Planck-Instituten Was heisst das, was da auf dem Titel des Magazins der Max-Planck-Gesellschaft steht? Das war mein erster Gedanke, als ich vor ein paar Wochen das Heft bekommen hatte. Zum Titelbild wird auf Seite 4 erklärt: Erstmals reiste 1974 eine Delegation der Max-Planck-Gesellschaft nach China und vereinbarte einen regelmäßigen - zunächst jeweils kurzzeitigen - Austausch von Wissenschaftlern. Inzwischen arbeiten mehr als 700 chinesische Doktoranden und Postdocs an Max-Planck-Instituten, und in China entstehen Partnergruppen, die diese erfolgreiche Kooperation vertiefen. Der deutsche Steuerzahler sollte sich Gedanken machen, wo diese Partnergruppen entstehen. Der Zeitung "The Independent" zufolge stammen die Schriftzeichen auf dem Titel von einem Werbeflyer für einen Strip-Club in Macao - "Heisse Hausfrauen in Aktion". Den 700 chinesischen Wissenschaftlern an MPG-Instituten werden wohl peinliche Fragen gestellt werden, wenn diese unglaubliche Schlamperei an der herausragendsten wissenschaftlichen Einrichtung in Deutschland in ihrem Heimatland bekannt wird. [Wissenschaft]
Studie zu Plazebo-Effekt erhält Ig® Nobelpreis Teure Plazebos wirken besser als billige. Diese Untersuchung zum Verständnis des Plazebo-Effekts hat Dan Ariely, Rebecca L. Waber, Baba Shiv und Ziv Carmon den Anti-Nobelpreis in Medizin eingebracht (Ig® Nobel Prize). Eine satirische Auszeichnung, die von der Harvard-Universität in Cambridge (USA) für skurrile wissenschaftliche Arbeiten verliehen wird. Es werden Erkenntnisse ausgezeichnet, that first make people laugh, and then make them think. Eine durchaus ehrenwerte und in der scientific community geschätzte Auszeichnung. [Wissenschaft]
Wenig "gutes" Cholesterin schadet nichts Pfizers Torcetrapib-Desaster im Dezember 2006 wurde von vielen Beobachtern als überraschender Rückschlag dargestellt. Warum bloß erhöhte sich das Sterberisiko der Probanden, wo doch Torcetrapib erfolgreich das "gute" HDL-Cholesterin gesteigert hatte? Tatsächlich stand die Grundannahme, eine Steigerung des HDL-Cholesterins würde das Herzinfarktrisiko reduzieren, von Anfang an auf einer ausgesprochen dürren wissenschaftlichen Basis. Vorhandene Korrelationen zwischen dem Herzinfarktrisiko und dem HDL-Spiegel lassen sich größtenteils durch die Korrelation des HDL-Spiegels mit anderen "Risikofaktoren" erklären (z.B. Alter, Geschlecht, körperliche Aktivität). Hinweise auf eine Kausalbeziehung fehlen fast vollständig. Eine heute im JAMA veröffentlichte Studie ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Cholesterinspiegeloptimierer. Die Studie untersuchte, ob das Risiko für ischämische Herzkrankheiten bei solchen Patienten erhöht ist, die Träger bestimmter genetischer Mutationen sind. Träger dieser Mutationen haben einen deutlich reduzierten HDL-Spiegel, was nach den Lehren der interessierten Kreise rund um die Lipid-Liga mit einem deutlich erhöhten Risiko für Herzinfarkte einher gehen müsste. Ergebnis der Studie: Der mit den Mutationen verbundene deutlich erniedrigte HDL-Spiegel hat keinerlei Einfluss auf das Risiko für ischämische Herzkrankheiten. Schlechte Nachrichten für Merck &Co und Roche, die aktuell noch Medikamente zur Steigerung des HDL-Spiegels in der Entwicklung haben: There is really no evidence that this method is going to work, Anne Tybjaerg-Hansen, a study and clinical biochemistry researcher at Copenhagen University Hospital, tells Bloomberg. This theory has been around for a long time, but this study just doesnt support it. -- Wie sehr die Pharmaindustrie die Idee der HDL-Beeinflussung liebgewonnen hat, zeigt auch der eigens zu Ehren dieser Hypothese geschaffene und mit 15.000 Euro dotierte "Merck-HDL-Forschungspreis" von Merck Serono: 2007, 2008. Hintergrund des Engagements ist natürlich das hauseigene Niacin-Präparat Niaspan®. [Wissenschaft]
Franz Adlkofer und die gefälschten Handystrahlen-Studien Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über gefälschte Studien, mit der die Schädlichkeit von Mobilfunk-Strahlen belegt werden sollte. Mit dabei: Der Mediziner Professor Franz Adlkofer. Dass Handys "Strangbrüche" im Erbgut verursachen, gehört zum eisernen Arsenal der Mobilfunkgegner. Bereits 2003 hatte das vielzitierte EU-Forschungsprojekt "Reflex" einen ähnlichen Befund gemeldet. Dessen Koordinator, der Münchner Professor Franz Adlkofer, war nun auch an den zweifelhaften Wiener Studien beteiligt. Adlkofer blickt auf eine illustre Biografie zurück: Er war fast zwei Jahrzehnte lang als leitender Wissenschaftler in einem Lobbyverband der Zigarettenindustrie tätig. Mit diversen Handystudien aber gelang ihm in den vergangenen Jahren die Konversion zum Volkshelden, zumindest unter den Mobilfunkgegnern. Erwähnt werden sollte vielleicht noch, dass Adlkofer auch seine Arbeit zur Handystrahlung in Diensten der Tabakindustrie durchgeführt hat. Genauer: In Diensten der von der Tabakindustrie ins Leben gerufenen Stiftung VERUM. Ziel war es wie bei vielen vergleichbaren Aktivitäten der Tabakindustrie ganz offenbar, die Risiken des Tabakrauchens dadurch zu relativieren, dass andere vermeintliche Gesundheitsrisiken in den Medien hochgespielt wurden. Ganz nach dem Motto: Warum soll ich mit dem Rauchen aufhören, wenn mich doch auch das Cholesterin und die Handystrahlung umbringt. Ich kann nicht sagen, dass ich über die aktuelle Entwicklung überrascht bin. Zu genau diesem Thema habe ich vor gut einem Jahr einen ausführlichen Kommentar bei den Kollegen von Plazeboalarm hinterlassen. _ Wer es eilig hat, sollte dennoch einmal dieses Dokument ansehen. Da wird das Prinzip deutlich. [Wissenschaft]
Zeitgeist mit Cochrane Google analysiert als "Zeitgeist" anhand der beliebtesten Suchbegriffe, was die Internetwelt bewegt. Das Äquivalent in der Medizin könnten die am häufigsten aufgerufenen Artikel der Cochrane Library sein. Die Bibliothek der Cochrane Collaboration versammelt systematische Übersichtsarbeiten auf englisch seit 1992, die sich durch die Bewertung nach Evidenzkriterien auf Basis von bewiesener Wirksamkeit auszeichnen. #1 bei den Top 10 Accessed Reviews on The Cochrane Library - Worldwide, 2007 war ein Artikel zu "Interventions for preventing falls in elderly people". Es folgen Übergewicht bei Kindern, Beta-Blocker bei Bluthochdruck, Gewichtsreduzierung durch Lebensmittel mit niedrigen glykämischen Index (GLYX) oder die Rolle von Nikotinrezeptoren bei der Raucherentwöhnung (Vareniclin). Interessanter ist die Auswertung nach Ländern. Meist gelesener Artikel in Deutschland war 2007 der Rauchstopp, in unserem Nachbarland Österreich nur Platz 104. Ob dies an den Rauchergesetzen liegt, oder an der Diskussion um Champix bzw. dem Marketing von Pfizer? [Wissenschaft]
Überzeugende Präsentation Der Tagesspiegel und die Welt berichten anlässlich des 10. Geburtstags der Potenzpille Viagra® über die spektakuläre Pioniertat eines gewissen "Giles Bradley", die den Beginn der medikamentösen Therapie der erektilen Dysfunktion markiert haben soll. Die Welt beschreibt die Szene so: Angefangen hatte alles sowieso in größter Offenheit. 1983, vor einem Vierteljahrhundert, bei einem Urologenkongress in Las Vegas, stand Giles Bradley am Podium. Er hatte den Vorläufer jenes PDE-5-Blockers erfunden, wie er jetzt in Viagra wirkt. In einer Jogginghose referierte er. Plötzlich ließ er sie herunter und jagte sich eine Spritze mit seiner Potenzdroge in den Penis. Eine Minute später schon habe Bradley dem erstaunten Auditorium eine perfekte Erektion vorführen können. Laut Augenzeugenberichten sei er anschließend herumgegangen und habe die Forschergemeinde gebeten, sich eigenhändig vom Erfolg zu überzeugen.
Der Name des Wissenschaftlers wird von beiden Zeitungen gleichermaßen falsch wiedergegeben, tatsächlich hieß er Dr. Giles Brindley. Auch hat er sich die Spritze nicht vor dem Auditorium "in den Penis gejagt", sondern bereits vorher in seinem Hotelzimmer. Der Rest scheint zu stimmen. Ein ausgezeichnet recherchierter und höchst lesenswerter Artikel rekonstruiert akribisch den Ablauf der Ereignisse.[Wissenschaft]
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