Pfizer scheitert vor Peer-Review (Update)

Der weltgrösste Pharmakonzern Pfizer kämpft mit Schadensersatzklagen und verlangt vor Gericht die Offenlegung des Begutachtungsverfahrens in einigen wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Der von mir vor vier Wochen angesprochene Fall Pfizer vs. New England Journal of Medicine ist noch nicht entschieden worden. Gegen zwei andere Zeitschriften, das Journal of the American Medical Association (JAMA) und Archives of Internal Medicine, hatten die Forderungen von Pfizer vor Gericht keinen Erfolg.

Ein Richter in Chicago schloss sich der Argumentation der Journals an. Eine Offenlegung der Dokumente würde den Peer-review-Prozess, der eine unabhängige Bewertung gewährleisten und die Qualität der Ergebnisse fördern soll, behindern.

Ich halte dieses Thema für ausserordendlich wichtig. Das Peer-review-Verfahren hat viele Schwächen, nur sollten die Forscher die Weiterentwicklung und die Suche nach Alternativen selbst bestimmen - und nicht die Anwälte der Pharmaindustrie durch Klagen.

Anscheinend wird diese Einschätzung der Relevanz des Themas nicht von allen gesehen. Den Autoren der hochgejubelten Burda ScienceBlogs ist dieser Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft kein Artikel wert.

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Update
Zwei Herausgeber des JAMA, Catherine D. DeAngelis und Joseph P. Thornton, nehmen Stellung zu der Vertraulichkeit des Review-Prozesses und den Klagen von Pfizer.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2008-03-22   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Randomisierte Studien als Reizwort

Ein gut lesbarer Artikel im Ärzteblatt widmet sich der Frage, warum randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Therapien trotz ihrer entscheidenden Vorteile gegenüber anderen Studiendesigns nach wie vor - und nicht nur in paramedizinischen Kreisen - ein Reizthema darstellen:
Die Resultate von RCT widersprechen oft der unmittelbaren klinischen Erfahrung. Der günstige Spontanverlauf von Erkrankungen, die selektive Symptomschilderung durch Patienten und die selektive Wahrnehmung von Ärzten, der Arztwechsel von unzufriedenen Patienten und damit ein unvollständiges Follow-up, eine verzerrte Erinnerung und anderes mehr tragen dazu bei, dass im Versorgungsalltag Therapieeffekte oft zu positiv eingeschätzt werden. [...]

Zudem sind in die Entwicklung innovativer Technologien viel Zeit und Geld investiert worden, wissenschaftliche Karrieren und die Interessen ganzer Berufsgruppen sind mit ihnen verknüpft. Ein RCT mit negativem Ergebnis ist deshalb in den Augen von Forschern und Entwicklern, Herstellern, Ärzten und auch hoffnungsvollen Patienten ein bedrohliches Risiko, das man nur zu gern zu umgehen sucht.
(via EbM-Anwender)
 
[Wissenschaft]
Autor: hockeystick   2008-03-19   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Kulturrevolution zur Förderung von Spin-offs

Eine inhaltliche Definition von Zielen und Leistungspaketen kann für die prinzipiell ergebnisoffen operierende Wissenschaft daher nicht einfach analog zu anderen Politikfeldern bernommen werden. Man kann dieses Konstruktionselement der Wissenschaftspolitik als eine Art „Delegationsprinzip“ beschreiben: Die staatliche Politik delegiert die Erbringung ihrer Ergebnisse auf die Wissenschaften, die diese in akademischer Selbstverwaltung praktisch im eigenen Namen vermarkten. Solange dieses Delegationsprinzip Bestand hat, kann es keine direkten inhaltlichen Zielvorgaben an die Wissenschaft geben. Der staatlichen Politik bleibt letztlich nur die Hoffnung, dass sich der finanzielle Aufwand am Ende rentiert.
Zwei Wissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin, Andreas Knie und Martin Lengwiler, beschreiben in einem in einem pdf-DateiBeitrag warum die Förderung von "Spin-offs", Lieblingsidee der Bundesfoschungsministerin Annette Schavan, nicht funktionieren kann. Da helfen auch keine Konferenzen, wenn die Strukturen fehlen.

Die beiden Autoren benenen auch Vorrausetzungen, um einen Wissenstransfer aus dem akademischen Bereich in die Wirtschaft, wie beispielsweise Pfizer es versucht, zu erreichen.
Neben einer neuen Akzeptanzkultur des wechselseitigen Respekts benötigt man hierzu einen neuen Ordnungsrahmen, um die verschiedenen Handlungstypen einer „öffnenden“, analysierenden Forschung mit den synthetisierenden, „schließenden“ Methoden eines Unternehmens in Einklang zu bringen.

Wer die deutsche Wissenschaftslandschaft kennt, wird wissen, dass dies einer Kulturrevolution gleichkommt.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2008-03-10   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Alles Essig mit Ratiopharm?

Das fragt der Tagesspiegel in seiner morgigen Ausgabe. Und er bezieht sich dabei auf eine noch nicht veröffentlichte Studie des Verhaltensökonomen Dan Ariely:
US-Forscher fanden nämlich heraus, dass – bitte hinsetzen – teure Medikamente besser wirken als billige, wenn der Patient nur weiß, dass seine Pillen, Drops, Dragees die teureren sind. Und das – bitte hinlegen – selbst dann, wenn weder in dem teuren, noch in dem billigen Präparat ein Wirkstoff enthalten ist. Kurz: Je Preis desto Wirkung kraft Einbildung.

Bei Cornelia Yzer dürften bereits die Champagnerkorken knallen. Zu früh gefreut. Der Tagesspiegel sieht noch eine Alternative zu Originalpräparaten:
Medikamente mit Tarnpreisen auszeichnen, die den eigentlichen bei weitem übersteigen, und die ergaunerte Marge irgendwohin überweisen. An die Kassen, die Hersteller, das Ministerium, weg damit nach Liechtenstein.
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Update 5.3.:

Heute ist die Studie erschienen: JAMA Vol. 299 No. 9, March 5, 2008.
 
[Wissenschaft]
Autor: hockeystick   2008-03-04   Link   (7 KommentareIhr Kommentar  



 

Zitationshäufigkeit als Umsatzindikator

Die Universität Mainz freut sich heute darüber, dass ein 2001 erschienener Artikel des Instituts für Biochemie über Cholesterin und Alzheimer der meistzitierte Artikel der Klinischen Chemie sei. Das habe ein Zitationsvergleich der Fachzeitschrift Laborjournal ergeben. In dem Beitrag wurde ein biochemischer Prozess beschrieben, der dazu beitragen könnte, dass ein niedriger Cholesterinspiegel die Alzheimer-typischen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn reduzieren könnte.

Die Forscher sehen darin einer Bestätigung für das "hohe Niveau der Alzheimer-Forschung an der Uni Mainz".

Möglich ist auch, dass das Paper vor allem deshalb so häufig zitiert wurde, weil die These "wenig Cholesterin, wenig Alzheimer" ausgezeichnet in die Vermarktungsstrategie der weltweit umsatzstärksten Medikamentenklasse, der cholesterinsenkenden Statine, gepasst hat.

Die Hypothese, durch Cholesterinsenker ließe sich das Alzheimerrisiko reduzieren, wurde außerhalb der wissenschaftlichen Literatur auch vielfach in den Medien als Tatsache verbreitet. Der Heidelberger Forscher Tobias Hartmann, der ähnliche Fragen untersucht und auch öfter in der Tagespresse zu Wort kommt, erhielt für sein Wirken gar eine von Pfizer finanzierte Stiftungsprofessur. Pfizer ist der Hersteller des mit deutlich über 10 Milliarden Dollar Jahresumsatz weltweit einträglichsten Medikaments, des Cholesterinsenkers Sortis® (in den USA: Lipitor®).

Außerhalb des Labors hat sich die werbewirksame Hypothese allerdings nicht bestätigt.
 
[Wissenschaft]
Autor: hockeystick   2008-02-27   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Pfizer will Peer-Review-Verfahren sprengen

Das New England Journal of Medicine (NEJM) kämpft mit gerichtlichen Verfügungen, in denen eine Offenlegung des Begutachtungsprozesses gefordert wird. Wie Donald Kennedy im Editorial der aktuellen Ausgabe von "Science" schreibt, hat der Pharmakonzern Pfizer diese Klagen angestrengt, weil sich das Unternehmen entlastende Beweise bei Schadensersatzklagen erhofft. Die Kläger, die sich durch die Behandlung mit den COX-2-Hemmern Bextra® (2005 vom Markt genommenen ) und Celebrex® geschädigt sehen, berufen sich unter anderem auf im NEJM veröffentlichte Studien.

Ein Interessanter Fall, in dem Vertrauen gegen Transparenz steht. Beim in der Wissenschaft üblichen Peer-review Verfahren wird das Manuskript bei der Zeitschrift eingereicht, die es zur Begutachtung an andere ausgewählte Wissenschafler ("peers") weitergibt. Dabei bleiben die Autoren meist gegenüber den Reviewern anonym, der Autor erfährt grundsätzlich nicht, wer das Gutachten angefertigt hat, in denen die Punkte zur Überarbeitung vor der Veröffentlichung vorgeschlagen werden - oder der Artikel sofort nicht als publikationswürdig verworfen wird. Das soll eine unabhängige Bewertung gewährleisten und die Qualität der Ergebnisse fördern.

Die Kritik an dem anonymen Verfahren ist vielfältig und reicht von der Einladung zum Ideenklau, über dem Trend zu schlechten Gutachten, Revierverhalten durch Wegbeissen, bis hin zu der Länge des Prozesses, der nicht mehr den Anforderungen des schnellen digitalen Kommunikationszeitalters entsprechen würde. Grundsätzlich ist es fraglich, ob in der vernetzten, hoch spezialisierten Forschungswelt echte Anonymität sicher gestellt werden kann. Über neue Methoden und offene Review-Prozesse wird intensiv diskutiert, nicht zuletzt getrieben durch die OpenAccess-Bewegung.

Bis dahin bleibt das Peer-Review Verfahren das von der Wissenschaft akzeptierte Modell, um Qualität bei der Publikation zu sichern. Eine gerichtlich verfügte Offenlegung würde die medizinische Forschung hart treffen und eine Vertrauenskrise heraufbeschwören. An diesem Fall sieht man, was von dem Anspruch der Pharmaindustrie zu halten ist, die Wissenschaft zu fördern und Partner bei der Gewinnung neuer Erkenntnisse zu sein. Dass die Kläger in dem Schadensersatzprozess ähnliche Anträge gestellt haben, entbindend Pfizer nicht von seiner Verantwortung gegenüber den Forschern.

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Da der Artikel in Science nicht frei verfügbar ist, hier zwei Blogpostings zu dem Thema:
Jacob Goldstein in WSJ Health Blog
Peter Rost in Brandweek NRX
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2008-02-24   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Landkarte Hochschulmedizin

250 Millionen Euro war der Wirtschaft im Jahr 2005 die deutsche Hochschulmedizin in Form von Drittmitteln für Forschungsprojekte wert. Wobei "Wirtschaft" in der Medizin in der Regel Pharmaunternehmen meint.

Das geht aus der Landkarte Hochschulmedizin hervor. Bei den Drittmitteln der Industrie sind interessante Unterschiede auszumachen. Duisburg/Essen scheint besonders industrie-freundliche Professoren zu haben, die 8,69 Millionen Euro reinholten. Hingegen liess die Pharmaindustrie in Aachen nur 3,02 Millionen Euro. Dafür konnte Aachen sich 3,93 Millionen Forschungsmittel vom Bund sichern, Duisburg/Essen lediglich 2,26 Millionen Euro, bei vergleichbarer Anzahl der Professoren und eingeworbene Drittmittel pro Professor.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2008-01-29   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Starbucks: strong sell

Das Hormon Orexin, als Nasenspray verabreicht, soll das Schlafbedürfnis bremsen können, berichtet Wired. Das wäre das Ende des Koffeinkicks bei Starbucks & Co und der Traum der konsumorientierten 24/7-Gesellschaft.

Bevor jetzt jemand sich den Zweitjob für die nicht fürs Schlafen nötigen neu gewonnenen Stunden sucht: Die Forschung wird finanziert durch das DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), die US-amerikanische Militärforschungsagentur. Deren Interessen müssen nicht zwangsläufig auch für die Bevölkerung gesund sein.

Andererseits, die DARPA hat uns den Zeitdieb Internet gebracht. Ein Hallo-Wach-Spray wäre eine konsequente Wiedergutmachung.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2007-12-29   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

OpenAccess Naivität

Beim Bloggott wird der Mythos von der freien Wissenschaft gepflegt. Warum OpenAccess ein Rohrkrepierer ist. Pioniergeist fehlt, Beharrungskräfte sind gross, technische Unzulänglichkeiten verhindern es. Da seufzt die Web2.0-Gemeinde.

Meine Erfahrung aus der Biomedizin: Das ist eine Frage des Geschäfts. Es schon ein Unterschied, ob mit Studien argumentiert wird, die in bekannten internationalen Fachzeitschriften erschienen sind, oder in einem OpenAccess-Journal. Die Pharmakonzerne finanzieren die Verlage mit Anzeigen, Supplements und Sonderdrucken. Bei der Auswahl der Zeitschrift hat die Pharmaindustrie als Geldgeber der klinischen Studien ein gewichtiges Wort mitzureden. Das ist eingebettet in eine Publikations- und Kommunikationsstrategie. Freie Wahl des Mediums? Gab es das irgendwann mal in der Wissenschaft?
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2007-12-02   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Blogs richtig zitieren

Wie werden blogs zitiert? Die NLM gibt eine Antwort.

strappato: Stationäre Aufnahme [blog on the internet]. [place unknown]: strappato [2007 Oct] - [cited 2007 Oct 14]. Available from: http://gesundheit.blogger.de/. German.

Irgendwie fehlt mir da der Permalink. Permalinks waren mal das, was die blogs von Tagebüchern unterschied.
 
[Wissenschaft]
Autor: strappato   2007-10-15   Link   (3 KommentareIhr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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