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![]() Patientenverbände als Ziel neoliberaler Netzwerke Es geht weiter auf der Entdeckungstour durch die Untiefen der EU-Lobbyisten und Think Tanks. Wir starten wieder bei dem Beratungsunternehmen ![]() Ende 2005 verschickte PatientView eine E-mail mit einer Befragung zum Thema "Healthcare in 2020: a vision of the future". Anschreiben und Fragebogen: survey_health_consumer_powerhouse (pdf, 59 KB). Den Inhalt und Sinn der Befragung übergehen wir mal fürs Erste, da Fragen nach dem Gesundheitssystem im Jahr 2020 eher ein Fall für die Kristallkugel sind. Als Sponsor wird Baxter World Trade Corporation, eine Tochtergesellschaft des Pharmakonzerns Baxter International Inc. genannt. In Auftrag gegeben hat die Sudie Health Consumer Powerhouse. Auf der Internetseite beschreibt die Organisation ihre Aufgabe so: Health Consumer Powerhouse is the leading European provider of consumer information on health care. The Powerhouse is dedicating ideas and resources to the development of consumer empowerment action. We analyse health care and compare the outcomes, designing consumer information tools like health care system and Illnesses indexes, consumer press and education. Klingt gut und nach Verbraucherverband, oder? Health Consumer Powerhouse ist jedoch Teil eines neoliberalen Netzwerks von Lobbygruppen und Think Tanks, die marktradikale Positionen vertreten. Da findet sich auch das Centre for the New Europe (CNE) wieder. Deutsches Mitglied im Stockholm Network ist die Stiftung Marktwirtschaft. Dem Vorstand der Stiftung gehören Prof. Bernd Raffelhüschen und der ehemalige Leiter des Bundestagsbüros von Friedrich Merz, Michael Eilfort, an. Bernd Raffelhüschen und zwei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung sind auch „Botschafter“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Der ehemalige Vorstand Lüder Gerken ist heute Vorstand der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, auch und wie Eilfort INSM-Botschafter. Auch die Professoren Eekhoff und Donges aus dem Kronberger Kreis, dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, sind Botschafter der INSM. Zum Thema INSM hat Don Dahlmann gerade einen Beitrag in seinem blog veröffentlicht. Laut wikipedia sind beim CNE und dem Stockholm Network ![]() Es verwundert nicht, dass die Ergebnisse der Befragung "Healthcare in 2020" auf einer Pfizer-Presseveranstaltung in Brüssel vorgestellt worden sind. Damit werden auch die Ziele deutlich, die mit dieser Befragung von Patientenverbänden erreicht werden sollen: Munition im Lobbykampf für ein dereguliertes Gesundheitswesen. Vorgestellt wurde die Studie von Johan Hjertqvist, dem Gründer und Präsident von Health Consumer Powerhouse, den wir schon aus dem Anschreiben zu der Befragung kennen. Johan Hjertqvist, früherer Berater der PR-Agentur Burson-Marsteller und international erfahrener Lobbyist, ist immer dabei, wenn die Interessen des freien Marktes im Gesundheitswesen verteidigt werden müssen. Wo der Weg hinführen soll, konnte man auf einer Veranstaltung der CSU-nahen Hans-Seidel-Stiftung - Screenshot hss (pdf, 161 KB) - in Brüssel sehen, an dem Johan Hjertqvist und andere ausgesuchte Marktbefürworter teilgenommen haben. Wieder ging es um Gesundheit im Jahr 2020, diesmal auf Basis einer Studie, die Siemens in Auftrag gegeben hatte. Ein paar Statements: "das heutige Gesundheitssystem ist als Wirtschafts- und Industriezweig zu betrachten", "einen Wandel vom schwachen Patienten zum starken Verbraucher", "die Bürger müssten dazu erzogen werden, Gesundheit als ein Produkt zu sehen, für das ein bestimmter Betrag gezahlt werden müsse", "ideal sei es, die größten Investitionen in die Prävention zu stecken und nicht nur in Diagnose, Therapie und Nachbehandlung". Was erwarten diese neoliberalen Denkfabriken von Patientenverbänden? Das ist Stoff für ein weiteres Kapitel. Verkürzt: Die Industrie hat schon vor einigen Jahren die wachsende Macht der NGOs erkannt und versucht diese für ihre Zwecke einzuspannen. Im Gesundheitsbereich läuft das unter den Schlagworten: Eigenverantwortung, Patientensouveränität oder Patientenautonomie. Der Wille des Patienten löst das Wohl des Kranken als oberstes Prinzip ab. Die Autonomie des Patienten gewinnt dabei Vorrang vor der der Fürsorge. Bis hin zum Ideal des "mündigen Patienten", der aufgeklärt, eigenverantwortlich und selbstbestimmt die Richtlinien seiner Behandlung vorgibt und zum Partner des Arztes wird. Traum der neoliberalen industrienahen Lobbygruppen: Kunde statt Patient, Leistungen statt Engagement, Verträge statt Vertrauen. Dabei sehe ich drei Gruppen, die diese Eigenverantwortung verlangen: Aus dem Bereich der Naturheilkunde, die eine gleichbrechtigtes Nebeneinander und Wahlfreiheit zwischen naturheilkundlicher Behandlung und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhender Medizin fordern, aus dem Lager der Patientenverbände, die das ideal des aufgeklärten Patienten propagieren und aus der Pharmaindustrie, die sich von mehr Verbrauchermacht z.B. die Abschaffung von Werbeeinschränkungen und ein marktnäheres Gesundheistwesen mit mehr Eigenleistungen und Eigenentscheidung des Patienten erhofft. Da es zwischen Naturheilkundlern und Pharmaindustrie verständlicherweise kaum Gemeinsamkeiten gibt, werden die eher dem Prinzip des Verbraucherschutzes verpflichteten Patientenverbände von zwei Seiten in die Zange genommen. Sowohl die naturheilkundlichen Gegner der "Schulmedizin" als auch die Pharmaindustrie versucht diese als Bündnispartner zu gewinnen. Ein echtes Minenfeld. Wenn man sich die Berichte von Anhörungen und Konferenzen durchliest, auf denen Vertreter aller drei Lager anzutreffen sind, hat man das Gefühl, dass die Teilnehmer erschreckend wenig von den Interessen und Netzwerken der mit am Tisch Sitzenden wissen. [PatientView]
Pfizer & Peter Rost ![]() Bild: by courtesy of Soft Skull Press Ich bin noch eine Buchbespechung ![]() ![]() Am Ende sass der nominell Vize-Präsident alleine in einem Bürogebäude in New Jersey - während das Pfizer Headquarter in New York ist, ohne Mitarbeiter, ohne seinen direkten Vorgesetzten zu kennen und unter Beobachtung seines Arbeitgebers, der keinen Telefonanruf, keine Post und wahrscheinlich auch keine E-Mails unkontrolliert zu ihm liess. Und mit der Gewissheit, niemals wieder an verantwortlicher Position in der Pharmaindustrie arbeiten zu können. Schuld daran, dass es so weit kommen konnte, war Rosts Wissen um Pharmacias Geschäft mit dem Wachstumshormon Genotropin. Eigentlich zugelassen für die Behandlung von Wachstumsstörungen besonders bei Kindern, wurde es auch als Anti-Aging Wundermittel verkauft und unter der Hand (off-label) beworben. Dieser Verstoss, seine Kenntnis über Unregelmässigkeiten bei der Bilanzierung bei Pharmacia-Niederlassungen im Ausland und ein Whistleblower-Verfahren mit seinem früheren Arbeitgeber Wyeth machten ihn für Pfizer zu einem Aussätzigen. Auch wenn man nicht alle Details der rechtlichen Implikationen, die in dem Buch auch ausgebreitet werden, nachvollziehen kann, weil man nicht im US-Recht bewandert ist, werden sehr spannend Pfizers Bemühungen geschildert, diesen Vize-Präsidenten loszuwerden und die Ermittlungen verschiedener staatlicher Behörden zum Ende zu bringen. Da Rost durch Whistleblower-Gesetze geschützt war, machen sich Anwälte der besten und teuersten Kanzleien, Pfizer-interne Ermittler und Privatdetektive die Hände schmutzig. Der Leser erhält einen Einblick in einen Pharmakonzern, der im Umgang mit seinen Mitarbeitern und der Öffentlichkeit sich um seine vollmundigen Verhaltensregeln, die Gesetze zum Schutz von Whistleblowern und das Recht auf persönliche Meinungsäusserung nicht kümmert. Eine schwedische Übersetzung des Buchs ist mittlerweile erschienen und in Italien wird es Ende Februar veröffentlicht. Ausschnitte und weitere Informationen hat Peter Rost in ein blog gepackt. Er füllt auch sein persönliches blog: Question Authority with Dr. Peter Rost. Peter Rost vermarktet sich als Ex-Marketing-Manager für europäische Gemüter ungewohnt penetrant selbst. Angesichts seines im Buch angegebenen früheren Jahreseinkommens von $ 600.000, das er nun kompensieren muss, kann man das sogar verstehen. Als blogger und Autor muss man dafür schon ziemlich trommeln. [Buch]
How to dance with porcupines? Bevor es weitere Informationen über ![]() Tarnorganisation würde ja bedeuten, dass sie ihre Geldgeber nicht offenlegen, was in diesem Fall nicht immer richtig ist. Trotzdem ist die Methode perfide: Es wird ein Vertrauensverhältnis - "wir kommen aus der Patientenbewegung" - ausgenutzt, um die Informationsbedürfnisse der Pharmaindustrie zu befriedigen. Dabei werden alle Register der PR-Arbeit gezogen. Beispielsweise bei einer Umfrage zum Thema "Herausforderungen für die Patientenbewegung" Anfang letzten Jahres. Hier das Anschreiben und der Fragebogen survey_health_equality (pdf, 56 KB). Auftraggeber ist "Health Equality Europe" a new alliance of prominent healthcare stakeholders. Its mission is to promote greater health equality. As of February 2006, the following individuals had joined the alliance in a personal capacity: Danach folgt eine Aufzählung mit auf den ersten Blick ehrenwerten Personen. Als Absender wird Sir Ken Collins genannt, Chairman der Scottish Environmental Protection Agency - SEPA. Eigentlich kümmert sich Sir Ken um Energie, Umwelt, Wettbewerbsfähigkeit. Ein Feld, auf dem er in eine Hochrangige Gruppe der EU-Kommission berufen wurde. Zwar weist das Anschreiben darauf hin, dass "Health Equality Europe" von Novartis unterstützt wird - aber nennen wir es beim Namen: Es ist eine von Novartis gegründete Lobbygruppe. Novartis nennt selbst die Ziele. Für 2005 erreicht: Established "Health Equality Europe", a forum for health-care leaders representing patients and professional organizations, academia, and other stakeholders.
Und für 2006:Three meetings of Health Equality Europe. Expand programs with patient advocacy groups and other key stakeholders.
Da wird auch der eigentliche Zweck der Befragung deutlich: Kontaktanbahnung mit Patientenverbänden. Unter anderem dabei in der "alliance": Alastair Kent von "European Genetic Alliances Network". Ein bekannter Pharmalobbyist, der es bis in einen ZEIT-Artikel geschafft hat. Oder Steven Kelmar, erfahrener PR-Arbeiter im US-Gesundheitsministerium, bei Medtronic und nun bei Novartis oberster Chefkommunikator. Oder Helen Evans vom Stockholm Network, einem Netzwerk von Think Tanks, das auch von der Pharmaindustrie Aufträge erhält, wie etwa zum Thema "Arzneimittelfälschungen" von Pfizer. Aufgabe des Networks: We conduct pan-European research on, and create a wider audience for, market-oriented policy ideas in Europe. Alles klar? Lust auf noch einen aus der honorigen Liste? Stephen Pollard vom Centre for the New Europe, eine Brüsseler Lobbyorganisation, die sich für Privatisierung und freien Markt, auch im Gesundheitswesen, einsetzt und deren Finanzierung intransparent ist. Und mit Tim Evans als Leiter, den wir schon vom Stockholm Network kennen. Mal ehrlich, was erwarten Patientenverbände oder aktive Patientenvertreter von dieser EU-Lobby-Bande? Mir fällt bei sowas immer der Titel eines Papers von Elisabeth Wager ein, in dem sich die Autorin über Verhaltensregeln für Ärzte im Umgang mit der Pharmaindustrie Gedanken macht: How to dance with porcupines: rules and guidelines on doctors' relations with drug companies. Wie tanzt man mit Stachelschweinen? Ich bin immer mehr geneigt, für Patientenorganisationen als Antwort ein "gar nicht" zu empfehlen. Denn die Interessen und Beziehungen sind für Personen, die zum Teil ehrenamtlich arbeiten und deren eigentliches Ziel in der konkreten Unterstützung von Betroffenen und Patienten liegt, nicht durchschaubar. Da kommt man schnell unter die Räder. [PatientView]
GSK sorgt mit Diätpille für Grummeln im Magen Die FDA hat eine Diät-Pille von GlaxoSmithKline (GSK) zugelassen. Ein Novum ist, dass "Alli™" rezeptfrei verkäuflich sein wird (OTC - over the counter). Die Pille selbst ist keine Neuheit. Der Wirkstoff Orlistat sollte auch in Xenical®, das 1999 auf den Markt kam, die Pfunde purzeln lassen. Alli™ ist eine OTC-Version mit der halben Wirkstoffdosis. Da Xenical® hinter den Umsatzerwartungen zurückblieb ($ 511 Millionen im Jahr 2005), hatte Roche kein Problem die Lizenz für die OTC-Version und die Vermarktungsrechte in den USA an GSK zu verkaufen. Ein Grund für den mangelnden Erfolg liegt auch in der Wirkungsweise des Medikaments. Orlistat ist ein "Fettblocker", der die Bildung des Enzyms Lipase hemmt, das im Darm für die Aufspaltung des Fetts zuständig ist und sorgt so dafür, dass ein Teil des Fettes unverdaut ausgeschieden wird. Wird die aufgenommene Fettmenge nicht reduziert, kommt es zu massivem Durchfall auf Grund der vermehrten Fettausscheidung. Nebenwirkungen sind Magenkrämpfe, Blähungen und Stuhlinkontinenz (laut Studien bei 8 Prozent der Patienten). Manche Ärzte loben den erzieherischen Effekt des Präparats, aber als OTC? Selbstkasteiung ist nicht gerade populär. Beim Marketing setzt GSK auf das Internet. Zum einen gibt es eine Produktseite: myalli.com. Zum anderen Question Everything, eine eher virale Internetseite, mit allgemeinen Informationen über Ernährung und Gewichtsreduktion. Auf den Initiator der Seite, GSK, wird nur in hellgrauer Schrift am unteren Rand hingewiesen. Can you feel a revolution coming? Feel it rumbling beneath the surface? The buzz is growing. People are talking about getting back to the basics of weight loss.
Ob das "rumbling beneath the surface" ein versteckter Hinweis auf die Nebenwirkungen von Orlistat ist?GSK versucht es aber noch mit einem neuen Marketing-Instrument: Ein 140-seitiges Buch, das in Apotheken und Verbrauchermärkten für $ 5 verkauft werden soll. are You Losing It?. Autoren sind drei US-amerikanische Diät-Gurus: Caroline Apovian, Madelyn Fernstrom und Gary Foster - und Kathleen Daelemans, eine in den USA bekannte Fersehköchin. Damit sollen die Verbaucher für das Thema sensibilisiert werden. Und wer keine 140 Seiten lesen kann, für den gibt es natürlich Marketing-Aktivitäten in Kooperation mit den Vereinigungen Shaping America's Youth und North American Association of the Study of Obesity. [Orlistat]
Musizierende Ärzte Hilfe, ich bin in den E-Mail-Verteiler von musizierenden Ärzten geraten und nun wird meine e-mail-Adresse in der Klassik-Szene weitergereicht. So erreichten mich in den letzten Tagen: Ein Bettelbriefe für ein Instrument, eine Anfrage zu einer unentgeltlichen ärztlichen Begleitung einer Orchester-Tournee in Osteuropa, eine Nachfrage über den Verbleib eines Dirigenten. Wie stellt man sowas ab? [Internet]
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