Pharmaindustrie befragt Patientenverbände

Über die Bemühungen der Pharmaindustrie und des amerikanischen Branchenverbandes PhRMA, Patientenverbände und einflussreiche Aktivisten auf Patienten- oder Verbraucherseite für ihre Interessen zu gewinnen, habe ich vor ein paar Tagen berichtet. In der Zwischenzeit habe ich detailliertere Informationen erhalten.

Vieles scheint über das britische Beratungsunternehmen "PatientView" zu laufen. Das Unternehmen unterhält ein eigenes Netzwerk - Health and Social Campaigners' Network International (HSCNetwork International) - in dem mittlerweile nach Angaben von Patientview 2500 Einzelpersonen aus Patientenverbänden und anderen sozialen und medizinischen Verbraucherorganisationen zusammengeschlossen sind. Dabei geht es nicht um politische Aktivitäten, sondern einzig darum, für PatientView als Ansprechpartner und Panel zu agieren. Sozusagen als Kapital für die Befragungen der Auftraggeber aus der Pharmaindustrie. Als Gegenleistung gibt es Newsletter und Berichte. Informationskrümel, die beim grossen Fressen der Pharmakonzerne mit PatientView abfallen.

Aus den letzten 5 Monaten sind mir 3 Fälle bekannt, in denen Patientview deutsche Patientenverbände zur Teilnahme an Befragungen eingeladen hat.

Zum einen eine Umfrage zur Gesundheitsverorgung von Kindern - Fragebogen hier: umfrage_kinder (pdf, 114 KB). Als Auftraggeber wird Prof. Manfred Götz, Wilhelminenspital der Stadt Wien genannt. Bezahlt hat es Merck Sharp & Dohme (MSD, in USA Merck & Co). Im Einladungsschreiben wird betont, dass das Sponsoring die Umfrage in keiner Weise beeinflusst und diese von der unabhaengigen Körperschaft PatientView geleitet wird. Das Ziel und der Nutzen der Studie bleiben im Dunkeln, ausser, dass diese Prof. Götz es den Angeschrieben sehr ans Herz legt, an dieser wichtigen Umfrage teilzunehmen. Warum Prof. Götz? Eine mögliche Erklärung: PatientView hat die Selbstverpflichtung, nicht mehr als 20% der jährlichen Einnahmen von der Pharmaindustrie zu erhalten - natürlich nur die direkten Einnahmen.

Das Anschreiben und den Fragebogen der im vorangegangenen Artikel erwähnten Befragung von Patientenverbänden im Auftrag der PhARMA zum Thema "Gesundheitspolitik" habe ich hier als pdf-Datei: survey_patientgroups (pdf, 69 KB). Eine Präsentation der Ergebnisse ist auf der Internetseite der EUFAMI (European Federation of Associations of Families of People with Mental Illness) pdf-Dateizu finden. Den Fragen nach zu urteilen, dient die Befragung einer Standortbestimmung und zur Vorbereitung weiterer PR-Aktivitäten.

Ein weiteres PatientView-Projekt war eine Befragung zu Arzneimittelfälschungen. Hier das Anschreiben: survey_counterfeit_medicines (pdf, 36 KB). Als Auftraggeber fungierte die Beratungsfirma Together4Health, Geldgeber war Pfizer. Im Anschreiben wird darauf hingewiesen, dass der Gründer von Together4Health vorher in Patientenverbänden tätig war, sein Partner aus der Pharmaindustrie bleibt unerwähnt. Arzneimittelfälschungen sind ein besonders heisses Thema für PhRMA. Pfizer kämpft hier schon lange an vorderster Front. Unter dem Deckmantel des Patientenschutzes soll der Handel mit Medikamenten und der Import von Arzneimitteln und damit der Wettbewerb eingeschränkt werden. Besonders in den USA, wo zur Zeit angesichts der hohen Preise über Einsparpotenzial durch Parallelimporte diskutiert wird, ist die Patientensicherheit das einzige Argument, das von der Pharmaindustrie ins Feld geführt wird. Die Situation in Europa ist der Pharmaindustrie schon lange ein Dorn im Auge, da Europa als positives Beispiel von den Befürwortern genannt wird. Pfizer instrumentalisiert das Thema sogar, um in England den Medikamentenhandel stärker in den Griff zu bekommen. Wie Pfizer die Debatte um Arzneimittelfälschungen nutzt und anheizt zeigt auch ein Kommentar zu einer von Pfizer in Auftrag gegebene Studie. Eigentlich sollten Patientenverbände kein Interesse an der Ausschaltung des Wettwettwerbs im Arzneimittelhandel haben und dies noch durch die Teilnahme an einer Umfrage unterstützen.

Patientenverbände und Verbraucherorganisationen sind nicht mehr nur direkte Kooperationspartner für Marketing-Aktivitäten der Pharmaindustrie. Auch auf dem immer wichtiger werdenden Feld der Gesundheitspolitik sollen sie als Bündnispartner gewonnen werden. Das konnte man auch im vergangenen Jahr beobachten, als Patientenverbände mit Unterstützung der Pharmaindustrie PR gegen Beschlüsse des NICE oder IQWiG gemacht haben.
 
[PatientView]
Autor: strappato   2007-02-07   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  








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