Über Pharmamarketing im "Deutschen Ärzteblatt"

Das "Deutsche Ärzteblatt" ist mit einer wöchentlichen Auflage von rund 400.000 Exemplaren das mit großem Abstand meistverbreitete Fachmedium für die Deutsche Ärzteschaft und das offizielle Organ der Bundesärztekammer. Während sich das Blatt mit einem Bein auf den mühsamen und steinigen Weg gemacht hat, sich durch zunehmende Transparenz und inhaltliche Qualität als ernstzunehmende medizinische Fachzeitschrift zu etablieren, steckt es mit dem anderen Bein hüfthoch im streng nach gewissenlosem Kaufjournalismus riechenden Sumpf des Pharmamarketings.

Die nicht immer von Erfolg gekrönten aber glaubwürdigen Bemühungen um Transparenz im Verantwortungsbereich der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion des "Deutschen Ärzteblatts" haben wir hier im Blog streckenweise kritisch begleitet und gewürdigt.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Ich erlaube mir, ein wenig auszuholen: In medizinischen Fachmedien findet sich mit erheblicher Verbreitung eine Stilform, die in jedem anderen Bereich des Journalismus - selbst in gleichermaßen PR-durchseuchten Themenfeldern wie Auto und Reise - von der Leserschaft ob ihres durchsichtigen und dummdreisten Schleichwerbecharakters mit hysterischen Lachanfällen und spontanen Abonnementskündigungen quittiert würde. Meist sind diese Artikel als eine Art Kongressbericht getarnt.

Viele Ärzte scheinen sie jedoch zu schätzen und ernst zu nehmen, diese erstaunlichen Artikel. Ihr Gegenstand ist der Inhalt von Pressekonferenzen oder Werbeveranstaltungen ("Satelliten-Symposien") von Pharmakonzernen, auf denen bestimmte Medikamente und deren Wunderwirkungen von akademischen Experten im Staatsdienst angepriesen wurden. Diese Experten sind der Auffassung, dass ihre karge Professorenbesoldung nicht genügt, um einen adäquaten Lebensstandard zu erlangen, und verdienen sich deshalb als "Meinungsbildner", vulgo "Mietmaul", den einen oder anderen Euro dazu. Auf diese Weise werden die Marketingbotschaften der Pharmaindustrie den Ärzten bekannt gemacht, die deren Produkte zum Wohle der Konzerne letztlich verschreiben müssen.

Solche Artikel tragen Titel wie "Rofecoxib: Analgetisch wirksam und protektiv für den Magen" oder "Kardiovaskuläre Erkrankungen: Ganzheizliche Risikointervention" und enthalten Sätze wie "Mit dem spezifischen COX-2-Inhibitor Rofecoxib (Vioxx®) stehe jetzt eine Substanz zur Verfügung, deren Nebenwirkungsrate gegenüber den NSAR verringert sei, so Prof. Henning Zeidler (Hannover)." oder "Untersuchungen an über 5 000 Arthrose-Patienten im Alter bis 80 Jahre, die Rofecoxib zum Teil länger als ein Jahr einnehmen mussten, haben die niedrige Nebenwirkungsrate bestätigt.". Oder auch: "Die effektivste Möglichkeit, das LDL-Cholesterin noch mehr zu senken, ist die duale Therapie mit Simvastatin und dem Cholesterin-Resorptionshemmer Ezetimib (Inegy®)." Die "Ärzte Zeitung" etwa ist randvoll mit solchen Artikeln. Der frühere Chefredakteur dieses Blättchens bezeichnete solcherlei Berichterstattung einmal ganz offen als "bezahlte Redaktion", wovon er sich später nur zögerlich und wenig glaubwürdig distanzierte.

Die wahllos herausgegriffenen Beispiele betreffen das inzwischen vom Markt genommene Medikament Vioxx®, das nach Schätzungen eines Experten der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA allein in den USA rund 56.000 Menschen das Leben gekostet hat, und den noch auf dem Markt befindlichen aber höchst umstrittenen Cholesterinsenker Ezetimib (Inegy®/Ezetrol®), von dem verschiedene Studienergebnisse nahelegen, dass er mehr Schaden anrichtet als nützt. Die Vioxx®-Artikel sind aus den Jahren 2000/2001. Der Inegy®-Artikel ist in der vorvergangenen Woche erschienen.

Die Beispiele stammen allerdings, und das soll das Thema dieses Artikels sein, nicht aus einer windig daherkommenden Postille nach Art der "Ärzte Zeitung", sondern aus dem seriös erscheinenden "Deutschen Ärzteblatt", einer Zeitschrift, die jeder bei einer Ärztekammer gemeldete Arzt in Deutschland zwangsweise in seinem Briefkasten vorfindet. Hochoffiziell herausgegeben von der Bundesärztekammer (Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.


Anlass für mich, per E-Mail folgende Fragen an das "Deutsche Ärzteblatt" zu richten:
1. Handelt es sich bei der Rubrik "Pharma" (Anm. d. Red.: früher hieß die einschlägige Rubrik noch "VARIA - Aus Unternehmen") um ein redaktionelles Angebot oder um bezahlte Werbung?

2. Falls es ein redaktionelles Angebot ist:

- Wer bestimmt die Auswahl der Themen?

- Warum sind die Artikel stets frei von kritischen Einschätzungen zu den besprochenen Produkten, auch wenn diese höchst umstritten sind?

- Warum machen sich die Autoren dieser Artikel die Meinung der zitierten Experten häufig unkritisch zu eigen?

- Warum werden die Interessenkonflikte der zitierten Experten nicht benannt?

- Wer bezahlt die Anreise der Autoren dieser Artikel zu den jeweiligen Veranstaltungen?

- Wer bezahlt das Honorar für die Autoren?

- Warum erscheinen keine Leserbriefe zu diesen Artikeln?

- Gibt es eine direkte oder indirekte Gegenleistung der Hersteller dieser Produkte, etwa in Form von geschalteten Anzeigen? Wenn nein: Mit welchen Maßnahmen stellen Sie sicher, dass dies nicht doch in der Praxis so gehandhabt wird?

3. Falls es Werbung ist:

- Warum fehlt stets das Wort "Anzeige"?

- Warum ist das Layout dieser Anzeigen nicht von dem der redaktionellen Seiten zu unterscheiden?

- Halten Sie es für denkbar, dass diese Anzeigen von einem Großteil der Leser als redaktionelles Angebot wahrgenommen werden?

4. In jedem Fall: Halten Sie diese Rubrik presserechtlich für zulässig, und wenn ja, mit welcher Begründung?

Der Chefredakteur des "Deutschen Ärzteblatts", Heinz Stüwe, möchte diese Fragen gegenüber einem Pseudonym nicht beantworten. Vielleicht ist das aber auch gar nicht notwendig.
 
[Medien]
Autor: hockeystick   2010-07-09   Link   (10 KommentareIhr Kommentar  


kelef   2010-07-09  
keine antwort
ist auch eine antwort, sie sagen es.


ian_a_ironside   2010-07-09  
Ha, die Gelegenheit so zu tun, als wäre man "hockeystick": Einfach die Fragen kopieren und unter seinem Klarnamen nochmal abschicken. :-D


hockeystick   2010-07-09  
Ich kann Euch ja nicht davon abhalten. :-)


jagothello   2010-07-10  
Pseudonym
Nein, so geht das wirklich nicht. Du müsstest schon unter deinem Realnamen anfragen. Es ist etwas seltsam, finstere Verschleierungstaktiken eines Fachorgans anzuprangern und selbst identitätslos bleiben zu wollen. Du solltest das schon deshalb tun, damit die Herren sich nicht derart preiswert der Auskunftspflicht in solch wichtiger Angelegenheit entziehen können.


hockeystick   2010-07-10  
Ich habe mich entschieden, dieses Hobby unter Pseudonym zu betreiben. Das geht aus meiner Sicht nur ganz oder gar nicht. Die Erfahrung zeigt, dass ein Mischmodell nicht funktionieren kann.


hockeystick   2010-07-09  
Zum Vioxx®-Skandal und der Rolle des oben im Zitat erwähnten Prof. Zeidler siehe auch den ausgezeichneten SPIEGEL-Artikel von November 2004: "Stunde der Mietmäuler"

Zeidler ist seit 2007 emeritiert ("Ein Leben für die Rheumatologie").


davidharnasch   2010-07-09  
Mal sehen...
... ob man gegenüber dem Cicero auskunftsfreudiger ist.


davidharnasch   2010-07-13  
Ist man tatsächlich:
Sehr geehrter Herr Harnasch,



Ihre Fragen, die mir in der vergangenen Woche schon einmal anonym von einem Blogger gestellt wurden, beantworte ich gern.



Bei der Rubrik „Pharma“ handelt es sich selbstverständlich um ein redaktionelles Angebot. Die Themen werden allein von der Redaktion ausgewählt. Überwiegend freie, meist seit vielen Jahren mit der Redaktion zusammenarbeitende Fachjournalisten schreiben die Texte, und sie werden für das Verfassen der Artikel ausschließlich von der Redaktion honoriert. Die Kosten für Anreisen, und - wenn notwendig - auch für Übernachtungen, werden im Allgemeinen von den Veranstaltern bezahlt.

Im Mittelpunkt der Berichte unter der Rubrik „Pharma“ steht das Referieren von Informationen, die auf Symposien und Pressegesprächen gegeben werden. Die Veranstalter (häufig Pharma-Unternehmen) und die Themen dieser Symposien werden immer genannt, so dass der Leser erkennt: Hier wird berichtet von einem Symposium, dessen inhaltliche Schwerpunkte und Referenten ein Unternehmen gewählt hat. Unternehmen sind damit auch – allerdings in einem deutlich geringeren Umfang als im Alltag des Arztes - Quelle von Informationen über Arzneimittel.

Wir meinen, dass es zum Informationsbedürfnis des Arztes gehört, über Neueinführungen von Medikamenten, über Indikationserweiterungen oder Änderungen in der Einschätzung des Stellenwertes eines Medikamentes unterrichtet zu werden. Bei den Berichten werden die Informationen aus Veranstaltungen häufig ergänzt um Informationen aus renommierten wissenschaftlichen Studien. Die Kollegen fragen nach und berichten auch über nachteilige Effekte oder Limitationen der Therapie. Rote-Hand-Briefe werden unter der Rubrik „Pharma“ abgedruckt und unabhängig davon häufig noch einmal unter den Bekanntmachungen der Bundesärztekammer, kommentiert von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.

Die langfristige Einordnung und kritische Begleitung von Therapieformen – dies betrifft Arzneimittel ebenso wie chirurgische Interventionsarten – erfolgen in den Beiträgen des „Medizinreports“, in der Rubrik AKUT, auf den Seiten AKTUELL, aber auch unter Politik und Themen der Zeit und natürlich durch die Medizinisch-wissenschaftliche Redaktion. Die Rubrik „Pharma“ ist als Teil des gesamten Spektrums der Berichterstattung im Deutschen Ärzteblatt. zu sehen: Die verschiedenen Ressorts bemühen sich um eine Berichterstattung mit kritischer Distanz und um Transparenz, wenn Interessengruppen zu Wort kommen.

Dass zu den Artikeln der Rubrik „Pharma“ selten Leserbriefe veröffentlicht werden, hat einen simplen Grund. Das Deutsche Ärzteblatt erscheint in drei Ausgaben, die Pharmaseiten sind aber nicht immer in allen Ausgaben enthalten. Wir möchten aber nur Briefe zu Artikeln veröffentlichen, die auch alle Leser im Blatt sehen konnten. Davon unabhängig wird Kritik von Lesern - wie bei allen anderen Seiten auch - in der Redaktion besprochen. Wir bemühen uns, jedem Leser zu antworten.

Es ist einigermaßen absurd, dem Deutschen Ärzteblatt zu unterstellen, es veröffentliche als redaktionellen Text getarnte Werbung. Ich bin seit 28 Jahren hauptberuflich Journalist, habe neun Jahre bei der „Welt“ und zwölf Jahre bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gearbeitet und kann Ihnen versichern, dass auch im Vergleich zu diesen Redaktionen die Trennung von Anzeigen und Redaktion beim Deutschen Ärzteblatt vorbildlich gehandhabt wird. Redaktioneller Inhalt und Anzeigen werden unabhängig und getrennt voneinander geplant. Beim Deutschen Ärzteblatt gibt es keine Koppelgeschäfte mit Anzeigen und redaktionellem Inhalt, kein Pharma-Sponsoring oder sonstiges Sponsoring von bestimmten Seiten, nicht einmal eine Vermarktung medizinischer Schwerpunktthemen, wie dies in Teilen der medizinischen Fachpresse üblich ist.

Sollten Sie weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.



Mit freundlichen Grüßen



Heinz Stüwe


hockeystick   2010-07-13  
Ui. Besten Dank!


mager   2010-07-20  
Gerade diese Pseudoartikel werden regelmäßig von Nicht-Mediziniern verfaßt.
Leider gibt es solche Rubriken in vielen Zeitschriften, auch ganz skurril, wie in der Marburger-Bund-Mitgleiderzeitung.
Stört mich schon lange, habe aber den Arsch nicht zu einem Brief hochgekriegt. Danke für die Vorlage!








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