Wir alle werden Kommunarden WGs sind diesen Sommer beliebt. Die konsequente Form der Wohngemeinschaft ist die Kommune. Die Kommunarden leben nicht nur zusammen, sondern teilen teilen auch ihre finanziellen Ressourcen miteinander. So mancher Alt-Kommunarde und Alt-68er freut sich sicher, dass dieses Prinzip nun auch in der Finanzierung unseres Gesundheitswesens Einzug hält. Trotz massiver Kritik von allen Seiten hat sich die grosse Koalition anscheinend auf den Gesundheitsfonds als kleinsten gemeinsamen Nenner geeignigt. Das Prinzip: Alles kommt in eine Kasse. Die gesetzlichen Krankenkassen bekommen daraus für jeden Versicherten einen fixen Betrag. Genau wie die Kommunarden durch ihre Lebens- und Wirtschaftsform ihre individuellen Bedürfnisse einschränken, werden die Krankenkassen zu reinen Geldverteilungsinstitutionen - der Weg in die Einheitskasse. Auf der Einnahmeseite funktioniert die Kommune auch: Das Geld in der Kasse verliert seine Persönlichkeit. Es soll nicht mehr nachzuvollziehen sein, wer mehr oder weniger zum Kassenstand beiträgt. Solange dies sich am Solidaritätsprinzip orientiert (jeder soviel er kann) ist dies kein Problem. Aber im Gesundheitswesen bestimmt der Gesetzgeber über die Leistungsbereitschaft. Finanzierungslöcher zu stopfen wird dadurch leichter und der Druck, über Strukturreformen die Effizienz und Qualität zu verbessern nimmt ab. Ob der Wettbewerb gestärkt wird, weil Krankenkassen, die besser wirtschaften, attraktiver für neue Kunden wären, wie es Gert Wagner vom DIW sieht, hängt entscheidend von der Strukturreform ab. Nur grosse Hoffnungen mache ich mir da nicht. Zerschlagung der Kassenärzlichen Vereinigungen, Einzelverträge von Krankenkassen mit Leistungsanbietern, Selbstbestimmung über den Leistungskatalog und andere Dinge, die die Krankenkassen in die Lage versetzen würden, aktiv die Effizienz zu beeinflussen, sind wohl politisch nicht durchsetzbar. Der Verlauf der Verhandlungen über die Gesundheitsreform lässt sogar befürchten, dass Strukturreformen auf der Strecke bleiben, wenn man sich erstmal darüber geeinigt hat, wie mehr Geld ins System kommt. Der Wettbewerb auf Kassenebene wird sich darauf beschränken, der Insolvenz zu entgehen. Es ist damit zu rechnen, dass einige der 260 Krankenkassen mit den 170 Euro für jeden Versicherten und einem noch nicht näher spezifizierten Ausgleich für höhere Ausgaben nicht auskommen. --- Alle werden natürlich nicht Kommunarden. Die Privatversicherten müssen sich wohl an der grossen Kasse nicht beteiligen und der Arbeitgeberbeitrag wird gedeckelt. [Reform]
Fehlversorgung Gestern habe ich wieder einmal den Irrsinn unserer Versorgungslandschaft erlebt. Wir haben ein Projekt zum Thema Schwerhörigkeit. Dazu habe ich ein Interview mit einem verantwortlichen HNO-Arzt in einer Universitätsklinik geführt, der auch in der Verbandspolitik aktiv ist. Ganz grob: Die niedergelassenen HNO-Ärzte überweisen die Patienten ungerne in die Kliniken zu Implantat-Versorgung und Chirurgie (Cochlear-Implantante, Mittelohrimplantate und andere Therapien, die es mittlerweile gibt). Weil der Patient dann "weg" ist und sie Angst haben, dass der Patient mit der Therapie nicht zufrieden ist und dies auf ihn zurückfällt. Die Hörgeräteakustiker versuchen ihrerseits, den Kunden möglichst lange zu halten und nicht an den Chirurgen zu verlieren. Es gibt keine Therapie-Leitlinien in diesem Bereich, ausser für Cochlear-Implantate. Die Qualität der Diagnostik und Versorgung ist mangelhaft. Was dazu führt, dass beim HNO-Arzt zwei Diagnostik-Termine vorgeschrieben sind (beim Privatpatient lang ein Termin) und die Auswahl und Anpassung eines Hörgerätes Monate dauert. Die Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes ist eine Katastrophe. Die Kliniken erhalten regelmässig Rückzahlungsaufforderungen, obwohl die Patienten von der Therapie profitieren. Für Cochlear Implantate gibt es in den Zentren Budgets, aber dennoch sieht man immer wieder, dass Krankenhäuser auf Einzelfall-Basis diesen Eingriff erstattet bekommen, mit unbestimmter Qualität. Durch die fehlende Qualitätskontrollen bei der Anpassung und Einstellung werden die Potentiale der Hörgeräte und andere Hörhilfen nicht ausgenutzt. Im Detail ist es noch schlimmer. Solange solche Versorgungsprobleme nicht gelöst werden, werden wir noch unzählige Reformen benötigen. [Reform]
Aussendienst Am 8. Mai war die Anhörung zu einem neuen Vertragsarztrecht im Bundestag. Ein Punkt der Änderungen ist, dass Ärzte gleichzeitig als Niedergelassene und angestellt in der Klinik arbeiten dürfen. Die Krankenhäuser könnten dies sogar fördern. Sind diese Ärzte doch dann sowas wie "Aussendienstmitarbeiter", die lukrative Patienten in die eigene Klinik lotsen können - und Patienten, bei denen absehbar ist, dass die feste DRG-Vergütung wohl nicht kostendeckend ist, zur Konkurrenz empfehlen. Liegt an sich auf der Hand, wenn man sieht, welche Klimmzüge die Kliniken machen, um ein gutes Verhältnis zu den Einweisern zu bekommen und vor welche finanzielle Probleme die DRG-Fallpauschalen die Kliniken gestellt haben. Experten rechnen damit, dass 20%-30% der Krankenhäuser diesen Wettbewerb verlieren und dicht machen müssen. Da können gute Aussendienstmitarbeiter Gold wert sein. Der Verlierer könnte aber am Ende der Patient sein - und mal wieder das Vertrauen in die Arzt-Patienten-Beziehung. [Reform]
Reformmodelle Langsam scheint sich ein Modell für die zukünfige Finanzierung unseres Gesundheitssystems zu entwicklen. Kindersoli, Inkassostelle, Gesundheitsfond - die Ärzte Zeitung erklärt es. [Reform]
KKH macht mobil Bei der Mitgestaltung der Versorgungslandschaft hängt sich die KKH besonders weit aus dem Fenster. Nun hat die Krankenkasse ein eigenes Internetangebot mit den gesundheitspolitischen Positionen der Kasse gestartet. Wie war das?: "Wer zahlt, der bestimmt die Musik" und die Politik ist sich immer noch nicht einig über das Stück, das gespielt werden soll. [Reform]
Reformgerüchte Es wird spannend. Ende März will Ulla Schmidt die Eckpunkte der Gesundheitsreform vorstellen. Die Erwartungen sind hoch. So meinte der CDU-Vize Böhr heute: Gesundheitsreform ist Grundlage für Gelingen der Koalition. Auch die Spekulationen über die Reform nehmen zu. So wollen der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung erfahren haben, dass geplant ist, neben dem gehaltsbezogenen Beitrags zusätzlich eine Kopfpauschale zu erheben und andere Einkommensarten mit einzubeziehen. Was natürlich postwendend von einem Sprecher des Gesundheitsministeriums dementiert worden ist. Eines scheint deutlich zu werden: Es soll mehr Geld ins System gepumpt werden, anstatt die vorhandene Überversorgung abzubauen und die Effizienz zu verbessern. Das war auch nicht anders zu erwarten, wenn der Termin 1. Januar 2007 eingehalten werden soll. Echte Strukturreformen sind angesichts des Lobbyisten-Minenfelds nicht im Hauruck-Verfahren zu bewerkstelligen. Im übrigen wären die Folgen einer Strukturreform unkalkulierbar. Die massiven Ärzte-Proteste haben die Lust auf Experimente sicher nicht gesteigert. Wenn es so kommt, darf der Arbeitnehmer zukünftig nicht nur weiterhin 6-7% der Beiträge von seinem Gehalt zahlen, sondern zusätzlich eine Gesundheitsprämie und einen Anteil an Zins oder Kapitaleinkommen an die Krankenkasse überweisen. Ich bin gespannt, wie dies mit der Beitragsbemessungsgrenze verrechnet werden soll, wenn ein Teil vom Arbeitgeber an die Kasse gezahlt wird, die Gesundheitsprämie vom Versicherten und der Anteil an den Kapitaleinkünften vom Finanzamt an die Krankenkasse überwiesen wird. Zur Erinnerung: Wir haben ja heute schon zusätzlich die Pflegeversicherung, die Zahnersatzversicherung und den Sonderbeitrag für das Krankengeld, die Krankenversicherung der Rentner. Klingt nicht nach Abbau der Verwaltungskosten der Krankenkassen. Einziges Ziel dieser Politik ist, dass man mehr Knebel hat, um die Einnahmen je nach Bedarf zu steigern: Ein paar Euro mehr bei der Gesundheitsprämie, ein paar Zehntelprozent bei den Kapitaleinkünften, ein paar Euro mehr Zuzahlung. Je mehr Stellschrauben desto begieriger werden die Hände, an diesen Hähnen auch zu drehen. [Reform]
Warnschüsse Das Arzneimittelsparpaket ist vom Bundesrat gestoppt worden. Das hat zwar nur eine aufschiebende Wirkung, da das Gesetz mit Kanzlermehrheit im Bundestag durchgebracht werden kann, aber es zeigt zweierlei: Zum einen haben die Ministerpräsidenten gezeigt, dass sie bei der geplanten "grossen" Gesundheitsreform ein Wort mitreden wollen. Kann man als Warnschuss interpretieren. Zum anderen hat Angela Merkel sich nicht konsequent für das Gesetz bei den Länderchefs eingesetzt. Das kann man auch als Warnsschuss sehen und zeigt, dass Angela Merkel trotz Umarmungs-Kurs von Ulla Schmidt selber das Heft in der Hand halten will. Gesundheitsminister ist halt ein Himmelfahrtskommando. [Reform]
Reformkonzepte Ulla Schmidts Zögern bei der Gesundheitsreform hat Folgen: Die Lobby formiert sich und legt eigene nicht ganz selbstlose Konzepte vor. Einige Ärzteverbände (Medi, Bundesverband der Ärztegenossenschaften, Freie Ärzteschaft, NAV-Virchow-Bund und Hartmannbund) haben ihr Eckpunktepapier vorgestellt. Ziel der Eckpunkte sei es, die Verantwortlichkeiten zwischen Gesetzgeber, Krankenkassen, Ärzten und Versicherten klarer zu definieren als bisher. Hört sich plausibel an, bedeutet aber nur, dass die Ärzte ohne Rücksicht auf das Gesamtsystem ihre Interessen verfolgen. Um es mal grob zusammenzufassen: Mehr Geld für die Ärzte durch Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse. Wenn die Reformdiskussion auf diesem Niveau weiter geht, bewahrheitet sich eine Prognose der Ärzte-Zeitung: Dabei ist zur Zeit weder klar, ob die Ministerin am Tisch sitzt, wenn die Reformentscheidung getroffen wird, noch, ob ihre Pläne dann überhaupt noch eine Rolle spielen. [Reform]
Leitlinien Die Frage der Verbindlichkeit von Therapieleitlinien wird kontrovers diskutiert. Best Clinical Practice steht gegen ärztliche Therapiefreiheit. Mit der Zahl und Qualität der Leitlinien erwächst auch der Notwendigkeit, Standards für den Umgang zu formulieren. Nun hat sich eine Jurist auf die Seite der Leitlinien geschlagen. In einem von der VolkswagenStiftung unterstützten Vorhaben wurde von Professor Dr. Dieter Hart die Bedeutung dieser medizinischen Handlungsempfehlungen für die Festlegung von Versorgungsstandards und für die Rechtsprechung untersucht Mediziner dürften in Zukunft gut beraten sein, wenn sie sich in Diagnostik und Behandlung an ärztliche Leitlinien halten. Denn Ärzte, die in der Behandlung unbegründet von solch einer Leitlinie abweichen, können damit einen Behandlungsfehler begehen, für den sie einstehen müssen. Dazu auch ein Interview mit Prof. Hart. Eine leitliniengerechte Versorgung hätte erhebliche Mehrausgaben in unserem Gesundheitswesen zur Folge. Daher werden bisher Therapieleitlinien in der Regel nur dann von den Gesundheitspolitikern herausgestellt, wenn sie Ausgaben vermeiden. Es ist an der Zeit, dass auch von dieser Seite Reformdruck aufgebaut wird. [Reform]
Ärzte und Patienten Hand in Hand Im südbadischen Elzach sind Ärzte und Patienten das erste Mal gemeinsam gegen die Pläne der Bundesgesundheitsminsterin auf die Strasse gegangen. Es ist die erste Aktion in Deutschland gewesen, die von Ärzten und Patienten gemeinsam organisiert worden ist. [Reform]
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