Verhütungspflaster verhütet keine Nebenwirkungen

Wenn junge, gesunde Menschen Opfer von vermeidbaren Nebenwirkungen von Medikamenten werden, ist das tragisch. Besonders, wenn alternative sichere Präparate auf dem Markt sind. Ethisch könnte man argumentieren, dass der Hersteller bei der Entwicklung eines Arzneimitteln, die nicht notwendigerweise zur Heilung von Krankheiten dienen, eine über das übliche Mass hinaus gehende Verantwortung hat.

Kontrazeptiva - "Die Pille" - gehören zu den Lifestyle-Medikamenten, die am längsten Markt sind und deren Wirkung und Risiken in klinischen Studien erforscht und durch Anwendungsbeobachtungen bestätigt sind. Man müsste meinen, dass neue Produkte eine dementsprechend hohe Hürde bei der Zulassung und der Bewertung des Zusatznutzens gegenüber den Gefahren zu überspringen haben.

Jim Edwards erzählt in brandweek die Geschichte des Verhütungspflasters Ortho Evra® Patch von Johnson & Johnson (J&J), das in Deutschland als Evra® von der J&J-Tochter Janssen Cilag vertrieben wird. Das Pflaster wird für jeweils eine Woche auf die Haut geklebt und gibt kontinuierlich den Hormonwirkstoff über die Haut, transdermal, an den Körper ab.

Seit der Markteinführung vor 5 Jahren sollen in den USA mindestens 23 Frauen nach Gebrauch des Pflasters verstorben sein. Über 1500 Frauen und deren Familien haben gegen J&J Klage eingereicht, weil J&J es versäumt haben soll, in der Werbung auf das erhöhte Risiko von Thrombosen gegenüber den üblichen oralen Kontrazeptiva hinzuweisen. Laut eines Dokuments, das Gegenstand einer Klage ist, enthält eine J&J-Datenbank 38.554 beobachtete "adverse events", die mit Ortho Evra® in Verbindung stehen, von einfachen Kopfschmerzen bis Herzanfall.

Brandweek hat die Dokumente der Gerichtsverfahren, zusammen mit Interviews, Material von J&J und aus anderen unabhängigen Quellen ausgewertet und kam zum Schluss, dass ernstzunehmende Fragen offen bleiben. Beispielsweise warum J&J das Produkt eingeführt hat, obwohl das Unternehmen eine sichere Verhütungspille mit Spitzenumsätzen auf dem Markt hatte. Oder warum J&J einen Arzt für OrthoEvra® engagiert hat, der durch gefälschte Ergebnisse bei klinischen Kontrazeptiva-Studien aufgefallen war. J&J hat relativ früh nach ersten Meldungen über fatale Nebenwirkungen, dutzende negativer Internetadressen registriert, wie "deathpatch.com".

Interessant zu lesen ist auch, wie offensiv das Verhütungspflaster vermarktet worden ist. Mit sehr viel Glamour, z.B. Naomi Campbell oder dem norwegischen Beachvolleyball-Olympiateam. Das neue Verhütungsmittel sollte zum coolen Accessoire werden, mit den die moderne Frau ihre Schwangerschaftsverhütung offen zeigen kann. Das Time-Magazin zeichnete es als die beste Erfindung des Jahres 2002 aus.

Die Nebenwirkungen waren bekannt. Der verantwortliche Vizepräsident des Herstellers räumt ein, dass die klinischen Studiendaten ein erhöhtes Risiko für tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien offenbarten. Seine Einwände wurden jedoch vom Unternehmen nicht berücksichtigt. Der Artikel in brandweek geht auch auf den schon erwähnten Fall des einschlägig durch Fälschungen in Erscheinung getretenen Arztes ein.

Und in Deutschland? Ende 2004 hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA einen Warnhinweis für das auch in Deutschland als Evra® erhältliche Verhütungspflaster erlassen. Jedoch sahen die europäische Arzneimittelagentur EMEA und die deutsche Zulassungsbehörde BfArM bisher keinen Anlass für einen entsprechenden Warnhinweis innerhalb der Europäischen Union.

Die enthaltenen Östrogenmengen der US-Variante und der des in Europa verkauften Pflasters unterscheiden sich geringfügig. Janssen-Cilag steht auf dem Standpunkt, dass es sich bei Evra um ein ganz anderes Produkt als das amerikanische handele. Doch die tägliche Hormonabgabe ist laut Herstellerangaben für beide Evras genau gleich. Bei beiden sollen 20 Mikrogramm Östrogen täglich direkt ins Blut gehen. Der WDR hatte im April 2006 einen aufschlussreichen Beitrag gesendet, in dem auch Wolfgang Becker-Brüser, der Herausgeber des Informationsdienstes Arznei-Telegramm, seine Bedenken zu dem Verhütungspflaster äusserte.

Im Juli-Heft des Informationsdiensts Pharmakotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen werden die Vertragsärzte auf eine Warnung der kanadischen Arzneimittelüberwachungsbehörde vor einer erhöhten Gefahr venöser Thromboembolien im Vergleich zu oralen Kontrazeptiva, insbesondere bei Übergewichtigen (BMI> 30 kg/m2) pdf-Dateiaufmerksam gemacht.

Während in den USA die Umsätze mit Ortho Evra® eingebrochen sind, wird es hierzulande noch gut verkauft. Obwohl im September 2006 die FDA eine weitere Warnung herausgab, dass das Risiko für Blutgerinsel gegenüber der normalen Pille um mehr als das 2-fache erhöht ist, haben weder J&J noch die Aufsichtsbehörden Evra bisher vom Markt genommen.
 
[Evra]
Autor: strappato   2007-08-18   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Ausgealcopopt

Jugendliche trinken weniger Alcopops. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, wenn auch die Beliebtheit der Biermixgetränke und die Zunahme des "binge-Drinkings" ein wenig das positive Bild trüben. Der Erfolg der Sonderabgabe auf Alcopops hat den Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ermuntert, auch für Biermixgetränke eine Sondersteuer zu fordern.

Jedoch das Symbolfoto, das auch das Ärzteblatt abgedruckt hat, muss die ddp bald einmotten. Bacardi hat Anfang der Woche angekündigt, seine Alcopops vom Markt zu nehmen.
 
[Public Health]
Autor: strappato   2007-08-18   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 

Spätzünder

Das Handelsblatt hat gemerkt, dass Krankenhäuser mit 0180-Mehrwertnummern bei Patiententelefonen abkassieren. Ich verweise da auf den Artikel hier im blog von Januar 2007.
 
[Journalismus]
Autor: strappato   2007-08-17   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

MRT-Hype

Die neue Gesundheitsbloggerin der ZEIT ist nicht besonders kommunikativ. Kommentatoren wird es schwer gemacht. Die Registrierung und der Login-Link sind versteckt, man wird über den nicht sehr nutzerfreundlichen wordpress-Login geleitet und wenn man es geschaft hat, endet der Kommentar im Spam-Nirvana, aus dem er nicht mehr herausgeholt wird.
Sorry, Ihr Kommentar wurde von dem Spamfilter dieses Blogs als Spam markiert. Dies mag ein Fehler sein, in diesem Fall bitten wir höflichst um Verzeihung. Ihr Kommentar wird dem Blog-Administrator vorgelegt, der ihn unverzüglich freischalten kann.
Sie können den Blog-Administrator per E-Mail darüber in Kenntnis setzen.
Wo ist die e-mail-Adresse? Daher erscheint mein erweiterte Komentar zum posting, das sich mit der MRT zur Früherkennung von Mammakarzinomen beschäftigt, hier:

***
Im Gegensatz zur Mammographie gibt es bei der MRT keine qualitativ hochwertigen Studien zum Nutzen der Früherkennung. Sollte man machen, aber die Forderung das 10-fache auszugeben, ohne dass der Nutzen evidenzbasiert gezeigt worden ist, halte ich für fahrlässig.

Falsch-positive Befunde sind in der Mammographie ein Problem, weil sie unnötige diagnostische Massnahmen auslösen und die Betroffenen belasten. Die Veringerung ist das Ziel der in den letzten Jahren etablierten qualitätsgestützten Programme. Nur wenn das MRT in der klinischen Praxis, nicht nur bei geschulten Studienärzten, zeigt, dass es besser ist - verbesserter positiver prädiktiver Wert - steigt auch für die Frauen die Sicherheit und die Akzeptanz. Im Begleitkommentar zu der Veröffentlichung wird von zwei Wissenschaftlern eine grosse multizentrische Brust-Screening-Studie mit MRT in der Normalbevölkerung als essentiell gefordert. Das Thema Kosten-Nutzen-Bewertung wollen wir gar nicht erst anschneiden.

Es ist zu einfach darauf zu verweisen, dass die Kooperationsgemeinschaft Mammographie von den Zahlern, den Krankenkassen, getragen wird und diese die Mehrausgaben scheuen.
 
[Public Health]
Autor: strappato   2007-08-16   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Gehaltsakrobatik

Das Ärzteblatt meldet, dass laut einer Kienbaum-Studie die Gehälter in der Pharmaindustrie steigen. Die Untersuchung weist darauf hin, dass die Gehälter sehr nach Unternehmensgrösse differieren. Pharmakonzerne zahlen besser.

Doch gerade Big Pharma entlässt Personal, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Aktuell: Amgen 2600 Stellen, 14% der Mitarbeiter.

Prozentsätze sind oft nur die halbe Wahrheit.
 
[Pharmaindustrie]
Autor: strappato   2007-08-16   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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