Ratiopharm-Ermittlungsakte bei wikileaks aufgetaucht

Vor vier Jahren hatte der Ratiopharm-Skandal Aufsehen erregt. Zwischen 1996 und 2005 soll Ratiopharm Ärzte mit Geld, Gutscheinen und Geschenken dazu gebracht haben, bevorzugt die Produkte des Unternehmens zu verschreiben. Die Aufdeckung durch den Journalisten Markus Grill im Stern löste umfangreiche staatsanwaltliche Ermittlungen aus, deren Ergebnis nun im Internet bei Wikileaks aufgetaucht ist. Die 96-seitige Ermittlungsakte wurde von Unbekannten auf die Internet-Sammelstelle für geheime Dokumente hochgeladen und gibt einen Einblick in die Dimensionen des korrupten damaligen Vertriebsgeschäft von Ratiopharm.

Die Wirtschaftwoche erhielt das Dokument vorab und berichtet in einem Artikel über Details aus der Akte.

Ein paar Splitter: Im Jahr 2005 erreichten die Beteiligungen der Ärzte an ihren Verschreibungsumsatz mit Ratiopharm-Medikamenten alleine bis August eine Höhe von mehr als 450.000 Euro. Es ist ein Beispiel aufgeführt, in der eine Praxis 2004 von Ratiopharm über 7000 Euro erhalten hatte.

Zwischen den Zeilen wird jedoch auch deutlich, dass die Ärzte nicht unschuldig sich den Verlockungen des Ratiopharm-Aussendienstes hingegeben haben. Zur Korruption gehören immer zwei Parteien So heisst es in einer E-Mail einer Regionalleiterin vom Februar 1999 an ihre Pharmareferenten:
"wie Ihr auf der letzten Tagung berichtet habt, bietet Azu [ein Mitbewerber] Beteiligungen für Verordnungen. Falls Ihr diesbezüglich angesprochen werdet, bzw. Ihr erfahrt, daß Azu in diese Richtung etwas anbietet, fragt knallhart Eure Ärzte, was sie wollen und was Ihr für sie tun könnt. Wenn ein Arzt Geld möchte, ruft mich an, wir finden einen Weg.

Verordnungen brachten nicht nur Geld: Nach den Aussagen eines ehemaligen Ratiopharm-Aussendienstmitarbeiters sind ganze Arztpraxen samt Mitarbeiter zum Essen eingeladen worden - alles unter dem Deckmantel "Fortbildungsmassnahmen".

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Update:
Ratiopharm hat die Echheit der Akte bestätigt und wikileaks Strafverfolung angedroht.
 
[Pharmamarketing]
Autor: strappato   2009-11-19   Link   (18 KommentareIhr Kommentar  



 

Patientenverbände in Verzeichnis von Burson-Marsteller

Selbst PR-Agenturen sind manchmal uneigennützig. Die Brüsseler Dependance des Kommunikationsriesen Burson-Marsteller stellt allen Pharma-Lobbyisten ein pdf-DateiEuropean Patient Group Drectory zur Verfügung. In dem mittlerweile in 3. Auflage erschienenen Werk werden 186 Patientenorganisationen vorgestellt, die in Brüssel ihre Interessen oder die ihrer Sponsoren vertreten.

Bei den Sponsoren bleibt einiges im Dunkeln. Die meisten geben bei "Pharmaceutical funding" ein "-" oder "None" an. Überprüfbar ist dies nicht. Dennoch gibt sich der Leiter der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der EU-Kommission in seinem Vorwort zuversichtlich:
I have challenged the producers of this Directory in the past to give more funding information, and I welcome the improvements in this respect in the current edition. I am sure that even more transparency will come by
the time of the 4th edition, because it will become increasingly evident to those who wish to take part in policy debate that it is in their own interest to be fully transparent about governance and funding.

Burson-Marsteller ist der Herausgeber. Als Autor zeichnet sich eine Organisation verantwortlich, die Lesern des Blogs bekannt ist: PatientView. Das Beratungsunternehmen PatientView unterhält ein Netzwerk zu Patientenorganisationen und verkauft dies für Befragungen an Pharmaunternehmen und Lobbyisten.
 
[EU]
Autor: strappato   2009-11-17   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Besser bumsen mit Boehringer

The pre-specified pooled analysis of 1,378 pre-menopausal women with HSDD shows a statistically significant increase in the frequency of SSEs per month in women taking flibanserin 100mg (from 2.8 at baseline to 4.5), versus placebo (2.7 at baseline increasing to 3.7) over the 24-week study period. [...]

Other key secondary endpoints showed flibanserin significantly improved sexual functioning (as measured by the FSFI total score), distress related to sexual dysfunction (as measured by the Female Sexual Distress Scale-Revised, FSDS-R, score) and distress related to low sexual desire (FSDS-R Item 13 score) versus placebo.

Alles klar? Nein? Oder so:
„Flibanserin ist im Grunde ein Viagra für Frauen“, sagt John Thorp von der Universität North Carolina In Chapell Hill.

Wenn ich es richtig verstehe, muss die an HSDD (Hypoactive Sexual Desire Disorder) erkrankte Patientin jeden Tag ein Antidepressivum schlucken. Dafür erhält sie ungefähr 0,8 zusätzliche SSEs (Satisfying Sexual Events) im Monat.

Vielleicht doch lieber mal wieder zusammen ins Kino gehen?
 
[Flibanserin]
Autor: hockeystick   2009-11-17   Link   (7 KommentareIhr Kommentar  



 

Wunderwelt Pharmaindustrie

How is it possible for a drug to have $4 billion in sales without any evidence of benefit?
Harlan Krumholz, prominenter Kardiologe der Yale University, nach der Veröffentlichung der jüngsten Studie zum Cholesterinsenker Ezetimib (Inegy®/Ezetrol®, in den USA Vytorin®/Zetia®), die wie alle vorangehenden Studien keinerlei klinischen Nutzen des Medikaments ergeben und darüberhinaus zusätzliche Zweifel an der Sicherheit des Präparats geweckt hat.
 
[Quotes]
Autor: hockeystick   2009-11-16   Link   (1 KommentarIhr Kommentar  



 

Neuer Rückschlag für Inegy®/Ezetrol®

Eine gestern veröffentlichte Studie versetzt die medizinische Fachwelt in den USA ebenso in Aufruhr wie die Finanzpresse. Die englischsprachige Version von "Google News" findet Hunderte von Artikeln zum Thema. In Deutschland herrscht bislang absolute Funkstille.

Der Cholesterinsenker Ezetimib (Inegy®/Ezetrol®, in den USA Vytorin®/Zetia®), wegen seines nicht nachgewiesenen Nutzens und Bedenken bezüglich einer möglichen krebserzeugenden Wirkung ohnehin umstritten wie kaum ein anderes Medikament, hat in einer weiteren Studie verheerend schlecht abgeschnitten, dieses Mal gegen ein Nicotinsäurepräparat von Abbott namens Niaspan®.

Zur Einordnung der Ergebnisse muss man wissen, dass die im Vergleichspräparat Niaspan® als Wirkstoff enthaltene Nicotinsäure (Niacin) keinesfalls ein neues oder gar besonders wirkungsvolles Medikament ist. Ob Niaspan® überhaupt eine positive Nutzen-Schadensbilanz hat, ist unklar. Der unabhängige Arzneimittel-Informationsdienst "arznei-telegramm" bewertet Niaspan® wegen seines nicht nachgewiesenen lebensverlängernden Effekts und seiner unangenehmen und zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen als ein "Mittel der ferneren Reserve".

Die Frage, ob Niaspan® einen Nutzen gegenüber Placebo hat, wird mangels Placebogruppe auch in der vorliegenden Studie nicht beantwortet. Niaspan®-Hersteller Abbott als Auftraggeber der Studie hat anscheinend wenig Interesse daran.

Statt dessen schickt er sein Medikament - jeweils in Kombination mit einem Statin - gegen das schwer angeschlagene Ezetimib ins Rennen, bei dem schon die Ergebnisse vergangener Studien eher für eine negative Nutzen-Schadensbilanz sprechen.

Kein dummer Schachzug. Die Ergebnisse fallen denn auch positiv aus für Niaspan® oder, besser gesagt, erneut verheerend für Inegy®/Ezetrol®.

In der Ezetimib-Gruppe werden - trotz der geringen Probandenzahl - statistisch signifikant mehr "kardiovaskuläre Ereignisse" beobachtet, also insbesondere Herzinfarkte, zu deren Vermeidung das Medikament eigentlich vermarktet wird:
Major adverse cardiovascular events occurred at a significantly higher incidence in the ezetimibe group (9 of 165 patients [5%]) than in the niacin group (2 of 160 patients [1%]) (P=0.04 by the chi-square test).

Beim Surrogatparameter "carotid intima–media thickness", mit dem Ablagerungen an den Gefäßwänden gemessen werden sollen, schneidet Ezetimib hochsignifikant schlechter ab als Niaspan®.
As compared with ezetimibe, niacin had greater efficacy regarding the change in mean carotid intima–media thickness over 14 months (P=0.003), leading to significant reduction of both mean (P=0.001) and maximal carotid intima–media thickness (P≤0.001 for all comparisons).

Und schließlich führt die Senkung des "bösen" LDL-Cholesterins mit Ezetimib statistisch hochsignifikant zum Gegenteil des Gewünschten. Je stärker das LDL in der Ezetimib-Gruppe abgesenkt wurde, desto stärker nahmen die arteriosklerotischen Ablagerungen zu:
Paradoxically, greater reductions in the LDL cholesterol level in association with ezetimibe were significantly associated with an increase in the carotid intima–media thickness (R=–0.31, P<0.001).
[...]
The use of ezetimibe led to a paradoxical increase in the degree of atherosclerosis in association with greater reduction in LDL cholesterol, an effect we hypothesize may stem from unintended biologic effects of this agent.
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Weil es so schön passt, an dieser Stelle noch der Verweis auf ein Interview mit Peter Sawicki in der "Welt": "Viele Medikamente sind völlig nutzlos"
Wenn ein Medikament wirkt, entfaltet es im Körper irgendeinen Effekt – zum Beispiel ändern sich Rezeptorbindungen, oder die Höhe des Blutzuckers oder des Cholesterins oder der Blutdruck sinkt, Gefäße werden enger oder weiter. All dies sind nur Ersatzparameter – sogenannte Surrogate. Eigentlich geht es uns doch darum, nicht zu leiden, im Krankheitsfall wieder gesund zu werden, eine gute Lebensqualität zu haben und nicht zu früh zu sterben. Uns geht es also nicht um das Cholesterin im Blut, sondern darum, keinen Herzinfarkt zu bekommen. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass die Wirkung auf einen bestimmten Parameter zu keinem Nutzen führt. Bisweilen wird sogar das Gegenteil erreicht: Obwohl der Cholesterinwert niedriger geworden ist, sinkt die Lebenserwartung.

 
[Ezetrol]
Autor: hockeystick   2009-11-16   Link   (17 KommentareIhr Kommentar  



 

WDR arbeitet an "Aktualisierung" des Martens-Machwerks

Der WDR liefert unterschiedliche Aussagen zu der Streichung der geplanten Wiederholung der Regividerm-Reportage "Heilung unerwünscht" am 30.11. Am Freitag hieß es noch auf telefonische Anfrage von Zuschauern, laufende "juristische Auseinandersetzungen" wären hierfür ausschlaggebend, und es sei unklar, ob und wann das Stück wieder auf die Zuschauer losgelassen werde.

Heute gibt es nun neue Hoffnung auf ein weiteres unterhaltsames Kapitel dieser absurden Tragikomödie: Der WDR arbeitet nach Auskunft der Redaktion von "die story" an einer "Aktualisierung" des Films. (-> Update 77, 78).
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Bei der ARD hat man Erfahrung mit Schleichwerbungs-Recycling.
 
[Regividerm]
Autor: hockeystick   2009-11-16   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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