Interessenkonflikte: Kollektive Amnesie bei Demenz-Leitlinie

Leitlinien-Autoren, ihre finanziellen Verbindungen zur Pharmaindustrie und deren dummdreiste Verschleierung waren erst kürzlich Thema hier im Blog.

Heute geht es um das gleiche Thema, konkret um Merkwürdigkeiten rund um das Mammutwerk "S3-Leitlinie Demenzen", die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. An ihrer Erstellung waren insgesamt 11 medizinische Fachgesellschaften, 7 nicht-medizinische Gesellschaften und 14 Verbände beteiligt. Federführend dabei waren die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), bekannt für die herausragenden Verbindungen vieler ihrer Protagonisten zur Pharmaindustrie, und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Thematisch geht es um die Diagnostik und Therapie aller Demenztypen (insb. der Alzheimer Demenz) sowie um die Diagnose und das "Management" der "leichten kognitiven Störung" bis hin zur Prävention von Demenzen. Ohne Zweifel ein bedeutender Markt mit exzellenten Wachstumsaussichten.

In der pdf-DateiS3-Leitlinie Demenzen selbst sind keine Interessenkonflikte der Autoren angegeben. Statt dessen findet sich in dem Dokument aber im Abschnitt "Interessenkonflikte" ein Hinweis auf den zugehörigen pdf-Datei
Methodenreport und Evidenztabellen zur S3-Leitlinie Demenzen, erschienen im November 2009.

Blättert man in diesem Dokument bis Seite 113/114, stößt man tatsächlich auf eine Tabelle mit Angaben zu den Interessenkonflikten der beteiligten Experten. Diese möchte ich in ihrer Fulminanz ungekürzt wiedergeben:




Potzblitz! Ein ganzer Bus voller Demenz-Experten ohne Verbindungen zur Pharmaindustrie! Wäre in diesem Moment ein Schwarm von 68 blau-rosa karierten Elefanten in V-Formation am Himmel vorbeigezogen, ich hätte ihn mit weniger Verwunderung zur Kenntnis genommen.

Aber schon in Zeile 5 weicht meine freudige Überraschung einem hysterischen Lachen. Und dann beschließe ich, den blitzsauberen Damen und Herren Experten einmal der Reihe nach auf den Zahn zu fühlen.

Zur Marktsituation: Finanzkräftige Sponsoren mit besonderem Interesse an den Formulierungen dieser Leitlinie sind besonders im Bereich Alzheimer-Demenz zu vermuten. Fast alle namhaften Pharma-Unternehmen entwickeln in diesem Bereich Produkte, allerdings ist die Zahl der auf dem Markt verfügbaren Medikamente überschaubar: Es gibt die drei Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil (Aricept®, Hersteller: Eisai/Pfizer), Rivastigmin (Exelon®, Hersteller: Novartis) und Galantamin (Reminyl®, Hersteller: Janssen-Cilag) sowie den NMDA-Antagonisten Memantin (Ebixa®, Hersteller Lundbeck, Axura®, Hersteller: Merz). Daneben werden gerne noch Ginkgo-Präparate (Hersteller u.a. Schwabe) gegeben.

Der Nutzen all dieser Präparate geht gegen Null. Ob der marginale Nutzen der Acetylcholinesterase-Hemmer ihre Schadwirkungen rechtfertigt, ist immerhin noch umstritten. Das aggressiv beworbene und in Deutschland häufig verschriebene Memantin war immer wieder Thema hier im Blog. Es ist von unabhängiger Seite wiederholt als vollkommen ohne Nutzen bewertet worden. Und auch Ginkgo schneidet nicht besser ab; seine Wirkung entspricht der einer Zuckerpille.

Auf die genannten Firmen wäre also besonders zu achten. Maximal 3 Suchmaschinenanfragen pro Nase gönne ich jedem Experten, also nur einen Schnelltest mit einer vermutlich noch recht hohen Falsch-Negativ-Rate. Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle wieder einmal an die "Ärzte-Zeitung", die das umfangreichste deutsche Mietmaul-Event-Archiv betreibt.

Das Ergebnis stelle ich in einer Tabelle dar, die ich gegenüber der ursprünglichen Darstellung um eine Spalte erweitert habe:

Autor/Experte/Teilnehmer Konsensusprozess
(in alphabetischer Reihenfolge)
Angabe von möglichen Interessenskonflikten, laut Methodenreport und Evidenztabellen zur S3-Leitlinie Demenzen (November 2009), S. 113 f.Marketingauftritte für und/oder anders geartete finanzielle Verbindungen* mit folgenden Pharma-Unternehmen (Auswahl, Quelle: eigene Recherchen, vgl. den jeweils angegebenen Link).

*Nicht in jedem Einzelfall kann sichergestellt werden, dass die genannte Verbindung in den Fünfjahreszeitraum fällt, der bei der Selbstauskunft der Experten zu berücksichtigen war.
Dr. Jens Bohlken Keine Merz
Torsten Bur Keine
Prof. Dr. Pasquale Calabrese Keine Jannsen-Cilag
Prof. Dr. Günther Deuschl Keine Orion, Pfizer, Medtronic
Prof. Dr. Hans-Christoph Diener Keine AstraZeneca, Parke-Davis, GlaxoSmithKline, MSD, Pfizer, Lilly, Böhringer Ingelheim, Asta Medica, BASF, Knoll, Bayer Vital, Bristol-Myers Squibb, Fresenius, Grünenthal, Janssen Cilag, 3M Medica, Novartis, Pharmacia & Upjohn, Sanofi-Synthelabo, Schering, UCB, Allergan, Allmiral Spain Schaper & Brümmer, Johnson & Johnson, La Roche, Servier, Abbott, Eisai, Weber & Weber
Prof. Dr. Richard Dodel Keine Merz
Beatrix Evers-Grewe Keine
Prof. Dr. Klaus Fassbender Keine Eisai, Pfizer
PD Dr. Ulrich Finckh Keine
Dr. Simon Forstmeier Keine
Prof. Dr. Jürgen Fritze Keine Boehringer Ingelheim/Lilly
Prof. Dr. Lutz Frölich Keine Merz, Eisai, Pfizer
Michael Ganß Keine
Prof. Dr. Thomas Gasser Keine
Sabine George Keine
Prof. Dr. Hermann-Josef Gertz Keine Merz
Prof. Dr. Elmar Gräßel Keine Eisai, Pfizer
Dr. Manfred Gogol Keine
Carola Gospodarek Keine
Prof. Dr. Hans Gutzmann Keine Merz, Eisai, Pfizer
Prof. Dr. Gerhard Hamann Keine Bristol Myers Squibb, Boehringer Ingelheim, Eisai, Sanofi Synthelabo
Prof. Dr. Harald Hampel Keine
Hildegard Hegeler Keine
Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze Keine
Prof. Dr. Michael Heneka Keine Wyeth
Prof. Dr. Isabella Heuser Keine
Prof. Dr. Helmut Hildebrandt Keine
PD Dr. Werner Hofmann Keine
Prof. Dr. Michael Hüll Keine Merz
Prof. Dr. Ralf Ihl Keine Schwabe
Prof. Dr. Thomas Jahn Keine
Sabine Jansen Keine Merz
PD Dr. Frank Jessen Keine
Claudia Keller Keine
Manfred Koller Keine
Prof. Dr. Ina Kopp Keine
Prof. Dr. Johannes Kornhuber Keine Merz, Lundbeck, Sanofi, Astra Zeneca, Novartis, Hormosan Kwiszda, Schwabe, Eisai
Prof. Dr. Alexander Kurz Keine Novartis, Lundbeck, Eisai, Pfizer
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Christoph Lang Keine
Heinz Lepper Keine
Prof. Dr. Wolfgang Maier Keine Bristol Myers-Squibb
Prof. Dr. Dr. Andreas Märcker Keine
PD Dr. Moritz Meins Keine
Prof. Dr. Rüdiger Mielke Keine
PD Dr. Brit Mollenhauer Keine Boehringer-Ingelheim, Novartis, GlaxoSmithKline, Bayer Schering Pharma AG
Carmen Mothes-Weiher Keine
Dorothea Muthesius Keine
Prof. Dr. Hans-Georg Nehen Keine Janssen-Cilag
Prof. Dr. Wolfgang Oertel Keine Boehringer Ingelheim, Cephalon, Desitin, Eisai, GE Health Care, GlaxoSmithKline, Meda, Merck-Serono, Neurosearch, Novartis, Orion, Pfizer, Schering-Plough, Solvay, TEVA/Lundbeck, Schwarz/UCB Pharma
Prof. Dr. Markus Otto Keine
Prof. Dr. Walter Paulus Keine
Prof. Dr. Johannes Pantel Keine Merz
Dr. Oliver Peters Keine
Prof. Dr. Heinz Reichmann Keine Boehringer Ingelheim, Schwarz Pharma, Pfizer, GSK
Prof. Dr. med. Dipl-Phys. Matthias Riepe Keine Merz, Eisai, Pfizer, Lundbeck
Dr. Barbara Romero Keine
Prof. Dr. Klaus Schmidtke Keine Merz, Janssen-Cilag u.a.
Prof. Dr. Mathias Schreckenberg Keine
Prof. Dr. Johannes Schröder Keine
Prof. Dr. Jörg Schulz Keine Merz, Pohl-Boskamp
Dr. Annika Spottke Keine
Dr. Roland Urban Keine
Dr. Dieter Varwig Keine
Prof. Dr. Christine A.F. von Arnim Keine
Prof. Dr. Claus-W. Wallesch Keine Merz
Franz Wagner Keine
Prof. Dr. Markus Weih Keine
Prof. Dr. Jens Wiltfang Keine Eisai, Pfizer

 
[Ethik & Monetik]
Autor: hockeystick   2010-10-18   Link   (12 KommentareIhr Kommentar  



 

Links am Samstag

Diagnose Brustkrebs - Mammographie: Offizielles Merkblatt verschweigt Risiken.

Der 163 Millionen Dollar Betrug - Abrechnungsbetrug mit Mafia-Hintergrund in den USA.

Von schräg unten: Ärzteportale.

US-Streitkräfte planen gigantische Klinik - in der Westpfalz.

Gesundheitsreform: Großes Geschäft mit chronisch Kranken - "Morbi-RSA" macht Deutsche zu einem kranken Volk.

Verletzungen im Fussball: Sportärzte und Hütchenspieler.

Pest. Einst half nur Doktor Schnabel.

Antidepressant reboxetine no better than a placebo, study finds.

Sara Bloom: Fighting drug maker health care fraud.

Peter Mansfield von Healthy Skepticism: "Industry-occupied medicine...somewhat like a Communist state".

 
[Links]
Autor: strappato   2010-10-16   Link   (0 Kommentare)  Ihr Kommentar  



 

Mediziner-Jammer

Im kommenden Jahr erwartet die etwa 150.000 niedergelassenen Ärzte ein Rekordhonorar von 33 Milliarden Euro. Damit steigen die Einnahmen der Ärzte um rund eine Milliarde an. Zu wenig meinen, die im Jammern geübten Praxisinhaber. Lesenswert: In der TAZ widerspricht ein Frankfurter Allgemeinmediziner seinen Kollegen.

Das System der gesetzlichen Krankenversicherung, auf das zu schimpfen zum guten Ton von Ärzten, Standesvertretern, Patienten und populistischen Politikern gehört, sichert die Kontinuität der ärztlichen Einnahmen in einem Maße, von dem andere Selbständige nur träumen können.

 
[Aerzte]
Autor: strappato   2010-10-12   Link   (2 KommentareIhr Kommentar  



 



Stationäre Aufnahme












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